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Dieser Artikel ist Teil unserer zehnteiligen Investigativ-Reihe, den „Wirecard-Files“, und ist im Sommer 2021 erstmalig erschienen.
Eines der vielen unrühmlichen Kapitel im Wirecard-Drama wurde 2015 aufgeführt. Damals übernahm der aufstrebende Tech-Konzern den indischen Zahlungsverkehrsabwickler Hermes i tickets. Die Umsetzung der Akquisition dauerte mehr als zwei Jahre und warf viele Fragen auf. Schon vor Jahren stieß bei Experten auf Skepsis, warum die Aschheimer für das winzige IT-Haus fast 330 Millionen Euro bezahlten – während der Verkäufer wenige Wochen zuvor nur ein Zehntel davon auf den Tisch gelegt hatte, um seinerseits Hermes zu erwerben.
Der Verkäufer war eine juristische Person, der Emerging Markets Investment Fund (EMIF) 1A mit Sitz auf Mauritius. Das Finanzvehikel ist eine Briefkastenfirma, und es gilt als einer der größten Rätsel in der Causa Wirecard, wer genau hinter dem Fonds steht. Selbst die Forensiker von KPMG konnten im Rahmen ihrer Sonderprüfung Anfang 2020 nicht genau herausfinden, wer die wirtschaftlich Berechtigten von EMIF 1A gewesen sind.
Immer wieder wurde der Fonds mit Jan Marsalek in Verbindung gebracht, allerdings konnte dem untergetauchten Manager eine solche nie nachgewiesen werden. In Dokumenten zu dem M&A-Deal, die FINANCE im Rahmen der „Wirecard Files“ ausgewertet hat, finden sich im Zusammenhang mit EMIF 1A jedoch gleich drei aufschlussreiche Namen, die Querverbindungen in das Herz des Wirecard-Konzerns nahelegen.
Marsalek fädelte den Hermes-Deal ein
Die Akquisition des indischen IT-Unternehmens war eine komplexe Angelegenheit, weil die Anteile zunächst bei verschiedenen natürlichen und juristischen Personen lagen und zunächst zusammengeführt werden mussten. Bereits Ende 2014 traf sich Wirecard-COO Jan Marsalek mit den indischen Brüdern Ramu und Palani Ramasamy in Wien, um den Kauf von Hermes i tickets zu besprechen. Die Brüder lenkten die GI-Retail-Group, die damals rund 90 Prozent der Hermes-Anteile hielt, aber eben noch nicht alle. Die restlichen Aktien hielten zwei Gesellschafter namens Prashant Manek und Sanjay Chandi sowie eine Venture-Capital-Gesellschaft.
Anfang Juli 2015 fand der Kick-off für die finale Phase des Deals statt, an dessen Ende Wirecard die Kontrolle über Hermes übernehmen sollte. Den Ramasamy-Brüdern war es gelungen, die übrigen Anteile einzusammeln, und Ende September kontrollierten sie über GI Retail Hermes alleine.
Bereits Mitte September 2015 hatte der Wirecard-Vorstand grünes Licht für den Deal gegeben, doch dann passierte etwas Merkwürdiges: Wirecard machte das Geschäft nicht mit GI Retail. Stattdessen verkaufte GI Retail genau in dieser Woche 99,9 Prozent der Hermes-Anteile an EMIF 1A. Kaufpreis: 42 Millionen Euro. Nur wenige Wochen später übertrug EMIF 1A diese Anteile dann an Wirecard – für fast 330 Millionen Euro. Dieser Umstand führte dazu, dass der Hermes-Deal schon lange vor dem Kollaps von Wirecard als dubios und verdächtig galt.
Komplexes Firmengeflecht rund um EMIF 1A
Doch die Ungereimtheiten begannen schon wesentlich früher: Bereits kurz nach dem Erstgespräch mit Wirecard-Vertretern Ende 2014 in Wien erklärten die Ramasamy-Brüder Marsalek, dass sie beabsichtigen, ihre Hermes-Anteile an EMIF 1A zu verkaufen. Nur: Zu diesem Zeitpunkt existierte dieser Fonds noch gar nicht, er wurde erst am 10. Februar 2015 auf Mauritius registriert. Wie konnten die Brüder davon wissen? Steckten sie am Ende hinter dem Fonds?
In den Deal-Dokumenten, die FINANCE vorliegen, werden die Namen der beiden Brüder zwar genannt, aber nie im Zusammenhang mit dem Mauritius-Fonds. Stattdessen tauchen dort zwei andere Namen auf: Maharoof Parokkot und Rohit Kumar. Beide firmierten als „Directors“ von EMIF 1A.
Auf dem Internetportal „aum13f.com“ werden Parokkot und Kumar als Mitarbeiter der Firma IIFL Asset Management Mauritius Limited geführt, die rund 50 Fonds in dem Steuerparadies verwaltet. IIFL Asset Management hatte 2017 eine Tochterfirma namens Emerging India Fund Management (EIFM). Dieses Unternehmen wurde am 18. Mai 2008 registriert und betrieb den Fonds EMIF 1A. Parokkot und Kumar waren als Senior Vice President und Vice President für den EIFM-Fonds zuständig.
IIFL Asset Management und EIFM sind wiederum über eine dritte Firma namens Emerging India Funds (EIFF) verbunden. Wie so oft bei Geschäftspartnern von Wirecard ist das Firmengeflecht unübersichtlich, aber in der IIFL-Bilanz von 2017 wird das Unternehmen laut dem Nachrichtenmagazin „African Intelligence“ als hundertprozentige Tochter aufgeführt. Da EIFM im Firmenregister von Mauritius als alleiniger Anteilseigner von EIFF genannt wird, muss EIFM – der Betreiber des dubiosen Mauritius-Fonds, von dem Wirecard Hermes schlussendlich erwarb – demnach ebenfalls eine Tochter von IIFL Asset Management sein.
Der Name „James“ taucht auf
So lässt sich EMIF 1A über verschiedene Querverbindungen der IIFL-Gruppe zuordnen. Ein Zusammenhang zu Jan Marsalek existiert auf den ersten Blick nicht. Dies könnte sich jedoch bei einem zweiten und dritten Blick ändern. Denn mit EMIF 1A stand noch eine dritte Person in Verbindung, und deren Name hat es in sich.
Sie heißt „James“ und wird in einer „Closing Checklist“, die auf den 21. November 2015 datiert ist, erwähnt. Die Checkliste wurde von der Kanzlei Linklaters CIS in Moskau erstellt, die EMIF 1A bei der Akquisition beriet. Hinter „James“ könnte sich ein alter Bekannter aus der Welt von Wirecard verbergen: James Henry O’Sullivan.
Hinter „James“ könnte sich ein alter Bekannter aus der Welt von Wirecard verbergen: James Henry O’Sullivan.
Der britische IT-Experte und Unternehmer gilt als einer der Strohmänner von Jan Marsalek und als ähnlich gewieft. Manche sehen ihn – neben Marsalek – sogar als Schlüsselfigur im ganzen Wirecard-Skandal. Laut früheren Recherchen der „Zeit“ war O’Sullivan im Auftrag von EMIF 1A unterwegs und soll Termine für Jan Marsalek koordiniert haben. Das Ganze erweckt den Anschein, dass der Brite sowohl für den Mauritius-Fonds als auch für Wirecard arbeitete.
Verbindungen von EMIF 1A zu Shan Rajaratnam
Es gibt noch weitere auffällige Verbindungen. Von den rund 330 Millionen Euro, die EMIF 1A für Hermes erhielt, flossen 50 Millionen Euro in den Kauf eines Unternehmens namens Goomo Holdings PTE mit Sitz in Singapur. Bei Goomo verdingte sich als Director beziehungsweise Secretary wiederum Shanmugaratnam „Shan“ R. – die vielleicht wichtigste Figur in dem größtenteils fingierten Drittpartnergeschäft des Skandalkonzerns. Shans Firma Citadelle war Treuhänder des TPA-Geschäfts von Wirecard und hat angeblich Konten mit insgesamt 1,9 Milliarden Euro geführt. Der Nachweis, dass dieses Geld nicht existierte, ließ Wirecard vor einem Jahr zusammenbrechen.
Desweiteren kaufte Goomo über die beiden Töchter Goomo Holding Services und Orbit Corporate & Leisure Software-Lösungen von Hermes. Dadurch floss Geld wieder zu Wirecard zurück, welches der Dax-Konzern in spe als Umsatz auswies. Ein Kreislaufgeschäft zum Aufblähen der Bilanzen?
Bemerkenswert ist, wer die Goomo Europe mit Sitz in München leitete und dies laut der Firmendatenbank Northdata immer noch tut: Aleksandar V. Der 52-Jährige war Geschäftsführer des Finanzinvestors IMS Holding Partners und enger Geschäftspartner von Jan Marsalek. Die Tochterfirma IMS Capital investierte offenbar sowohl Geld von Jan Marsalek als auch von Markus Braun in mehrere Start-ups.
Auch der libysche Ex-Geheimdienstleister Rami El Obeidi soll 20 Millionen Euro in das Vehikel investiert haben. El Obeidi hatte auch die von der „Financial Times“ aufgedeckte Beschattungsaktion gegen Hedgefondsmanager und Journalisten beauftragt, betroffen davon war auch die FINANCE-Redaktion. In Libyen wollte Marsalek eine Söldnertruppe aufbauen, um den Flüchtlingsstrom nach Europa zu bremsen. Aus dem Plan wurde nichts, und El Obeidi verklagt V. mittlerweile wegen Untreue. Im alten Netzwerk von Marsalek ist es unruhig geworden.
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Dies ist ein Teil unserer laufenden Enthüllungsserie. Alle Artikel finden Sie auf unserer Spezialseite zu den „Wirecard Files“. Mehr News und Hintergründe zum Wirecard-Skandal gibt es auf der FINANCE-Themenseite zu Wirecard, alle aktuellen Entwicklungen in unserem Wirecard-Ticker.