Private Equity im Krisenmodus

Die Nacht ist schon weit fortgeschritten. Draußen ist es zappenduster, während Christian Sturmhardt an seinem Schreibtisch sitzt. Die rote Tischlampe ist exakt auf die Dokumente gerichtet, die Sturmhardt gerade sichtet. Er ist Manager bei einem Private-Equity-Fonds und prüft mögliche Investitionsziele, die er und sein Team im Visier haben. Doch kein Unternehmen scheint zu passen, irgendwo gibt es bei jeder Firma einen Haken. „Das darf doch nicht wahr sein“, denkt sich Sturmhardt. Er klappt den Hefter mit den Papieren kopfschüttelnd zusammen und murmelt: „Wir dürfen solche Risiken zurzeit nicht eingehen.“ Am nächsten Tag im Investment Committee wird er gegen einen Einstieg in die analysierten Unternehmen stimmen – und mit ihm der Großteil seiner Kollegen. Private-Equity-Midmarket verliert weiter an Boden So oder so ähnlich dürfte es im vergangenen Jahr vielen Private-Equity-Managern ergangen sein. Denn das Jahr war geprägt von einem schwachen Dealflow und Beteiligungsmöglichkeiten, deren Qualität deutlich schlechter war als in den Vorjahren. Der Dealflow erholte sich zwar Richtung Jahresende leicht, doch für einen Aufwärtstrend hat es nicht gereicht. Unter dem Strich hat der Private-Equity-Midmarket 2023 weiter an Boden verloren, und zwar sowohl bei der Anzahl der Transaktionen als auch beim Volumen: Insgesamt 34 Deals mit einem Gesamtvolumen von rund 3,9 Milliarden Euro fanden 2023 im Midmarket-Segment statt. Das entspricht gemessen an der Deal-Anzahl einem erheblichen Rückgang von fast 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mit Blick auf das Transaktionsvolumen beträgt der Rückgang lediglich knapp 5 Prozent. Beide Werte fallen außerdem schon das zweite Jahr in Folge. Das zeigt die exklusive Buy-out-Liste, auf der FINANCE seit 2004 mehrheitliche Private-Equity-Übernahmen in Deutschland mit einem Unternehmenswert zwischen 50 Millionen und 250 Millionen Euro aufführt. Info Jeden Januar präsentiert FINANCE zusammen mit der DBAG die Midmarket-Buy-out-Liste des abgelaufenen Jahres. Die FINANCE-Midmarket-Buy-outs listen Mehrheitsübernahmen deutscher Unternehmen durch Private-Equity-Investoren mit einem Transaktionsvolumen zwischen 50 Millionen und 250 Millionen Euro auf. Basis der Liste sind umfangreiche Recherchen der FINANCE-Redaktion. Die vollständige Liste mit allen Deals sowie weiteren Marktdaten und Informationen zu den aktivsten Finanzinvestoren finden Sie ab dem 26. Januar hier. Kaufpreise unter Druck „2023 war ein schwieriges Jahr für die Branche“, sagt Marc Thiery, Partner und Gründer von DPE Deutsche Private Equity. Er und sein Team hätten im vergangenen Jahr zwar um die 1.000 potentielle Zielunternehmen gesichtet. Doch bei den wenigsten ist es zu einer Transaktion gekommen. Dabei hat der Rückgang im Private-Equity-Midmarket nicht nur etwas mit der Qualität der Assets zu tun. Ein großes Problem ist immer noch, einen Kaufpreis zu finden, der für beide Seiten akzeptabel ist. „Keiner will aktuell zu viel für ein Unternehmen ausgeben, um danach zu merken, dass es sich schlechter entwickelt als erwartet“, sagt DPE-Gründer Thiery. Er geht davon aus, dass die Unternehmensbewertungen in den nächsten Monaten weiter sinken werden, was Käufer verständlicherweise noch zurückhaltender werden lässt. Und das wiederum wirkt sich negativ auf die Sell Side aus. „Es gab durchaus Transaktionen, die an unterschiedlichen Preisvorstellungen gescheitert sind“, hat Andi Klein, der die Mid-Cap-Fonds von Triton verantwortet, beobachtet. „Zurückgehalten haben sich vor allem etablierte Häuser, viele Deals wurden von neuen Playern getätigt“, ergänzt er. Aber auch einige schon länger in Deutschland aktive Häuser seien zuletzt von ihren Renditeerwartungen abgewichen, um zum Zuge zu kommen. Institutionelle Investoren treten auf die Bremse Auch wenn es kein Private-Equity-Manager der Welt zugeben würde: Der Druck, einen Deal abzuschließen, steigt. Doch dass Deutschland in eine Rezession hineinsteuert und parallel überall auf der Welt geopolitische Konflikte gewaltsam ausgetragen werden, hilft nicht, eine Transaktion abzuschließen. Ein weiterer Grund für die aktuelle Flaute ist die Zurückhaltung der institutionellen Investoren, auch Limited Partners oder kurz LPs genannt. Viele von ihnen, die in den vergangenen Jahren sehr bullish nach PE-Investments gesucht haben, treten bei Investitionen in die Anlageklasse Private Equity gehörig auf die Bremse. Viele können – der Zinswende sei Dank – nun leichter mit klassischen Anlagen Geld verdienen. Hinzu kommen aber auch die Allokationsvorgaben der Institutionellen, die ein bestimmtes Gleichgewicht im Portfolio wahren müssen. Aber Private Equity ist selbst auch nicht ganz unschuldig an der eigenen Misere. Denn da sich die Branche mit Transaktionen zurzeit schwertut, vor allem aber mit Exits, fehlen den Geldgebern Rückflüsse aus ihren Anlagen, die sie in Private Equity reinvestieren können. Und ohne diese können wiederum nur schwerlich neue Deals gemacht werden – ein Teufelskreis. Der ein oder andere Stratege hat diese Gunst der Stunde genutzt und sich ein Unternehmen geschnappt, für das auch ein Finanzinvestor geboten hatte. „Strategen haben ab und zu ein Auge zugedrückt“, findet Triton-Manager Klein. Viele Debt-Equity-Swaps im Jahr 2023 Für einige Private-Equity-Häuser stand im vergangenen Jahr jedoch nicht das Dealmaking an erster Stelle, sondern die Schadensbegrenzung. 2023 gab es einige Debt-Equity-Swaps, bei denen die Kreditgeber bei einem Unternehmen die Schlüssel übernommen haben. Prominentes Beispiel: KKR musste den Zahlungsdienstleister Unzer an den Debt-Fonds Alcentra sowie Goldman Sachs und die Partners Group abgeben. „Die Restrukturierungen werden kommen“ Aber auch bei Midmarket-Häusern wie der Deutschen Beteiligungs AG (DBAG) ist so etwas passiert: Sie gab den Fertiggerichtehersteller Oscar Mayer über einen Debt-Equity-Swap an den Debt-Fonds Pemberton ab, der 2017 auch die Übernahme finanziert hatte. Doch dies dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein, viele solcher Fälle dürften gar nicht bekannt geworden sein. „Die Restrukturierungen werden kommen“, glaubt ein Private-Equity-Manager, mit dem FINANCE gesprochen hat. Bregal mit Milliarden-Exit bei EA Elektro-Automatik Wie so oft bestätigen Ausnahmen die Regel. So ist etwa dem Private-Equity-Haus Bregal Unternehmerkapital (BU) 2023 ein Kunststück gelungen, das zeigt, dass der Markt trotz zahlreicher Widrigkeiten für gute Assets offen war (und ist): Ende Oktober hat der Investor die Beteiligung EA Elektro-Automatik für fast 1,6 Milliarden Euro an den US-Konzern Fortive veräußert. Die Unternehmensbewertung lag bei nahezu 23x Ebitda, was außerordentlich hoch ist für ein Unternehmen in der Größenordnung. Was hat BU anders gemacht als die Investoren, denen 2023 kein Exit gelungen ist? „EA ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen und arbeitet sehr profitabel“, leitet Florian Schick, Managing Partner und Mitgründer von BU, ein. Der Umsatz habe sich seit der Übernahme im Jahr 2019 bis 2023 mehr als verdreifacht, von 56 Millionen auf 170 Millionen Euro – und das rein organisch. Interesse an dem Unternehmen aus Viersen gab es laut Schick sowohl von Private Equity als auch von Strategen. Den Zuschlag habe letztlich der US-Konzern Fortive erhalten, der laut Schick „schnell und geländegängig“ agiert und einen „sehr attraktiven Preis“ auf den Tisch gelegt habe. Info EA Elektro-Automatik aus Viersen entwickelt elektronische Test- und Messgeräte. Die Anwendungen kommen etwa im Bereich E-Mobilität zum Einsatz. Bregal hatte EA 2019 übernommen und laut Mitgründer Florian Schick Millionen in Forschung und Fertigung investiert. Die Mitarbeiterzahl wuchs von 200 auf 450, der Umsatz hat sich mehr als verdreifacht. Im Oktober 2023 erfolgte der Exit. Bregal setzt auf „Socializing the Asset“ Hervorsticht der Ansatz von BU bei der Vermarktung von verkaufsbereiten Beteiligungen, den Schick „socialize the Asset“ nennt: „Wir führen über Jahre hinweg Gespräche mit potentiellen Käufern, und auch nur diese sind bei uns in die engere Auswahl gekommen. Dabei versuchen wir, möglichst fair und transparent zu kommunizieren, was unsere Vorstellungen sind.“ Der Gefahr, dass Konkurrenten das Wissen gegen die Beteiligung verwenden könnten, ist sich Schick bewusst. Aber: „Der Austausch ist uns wichtiger, schließlich erweitern wir dabei unseren und den Horizont unserer Firmen.“ Manch einer mag munkeln, dass Bregal die Perle EA veräußert hat, um benötigte Liquidität freizusetzen. Schließlich war das Unternehmen mit gut dreieinhalb Jahren kurz im Portfolio des Finanzinvestors. Ein M&A-Berater, mit dem FINANCE gesprochen hat, hält grundsätzlich gegen Notverkäufe: „Jeder Deal in der aktuellen Marktphase muss sitzen. Keiner will sich hinterher für einen schlechten Deal rechtfertigen müssen.“ So viel kostet Fremdkapital zurzeit Was für die Sell Side gilt, ist für die Käuferseite vielleicht sogar noch ein Stückchen wahrer. Denn eine erfolgreiche Übernahme abzuschließen ist ebenfalls nicht trivial. Zwar herrscht keine Kreditklemme, doch Private Equity muss viel mehr Kapital für Zukäufe einplanen als noch vor ein paar Jahren. So wurden Deals etwa komplett mit Eigenkapital finanziert und teilweise später durch einen Kredit abgelöst, wenn überhaupt. Für eine Bankfinanzierung müssen Kreditnehmer im Schnitt mit 4,25 bis 4,75 Prozent Marge rechnen, institutionelle Liquidität (Term Loan B) ist für durchschnittlich 4,75 bis 5,00 Prozent zu bekommen – jeweils zuzüglich Euribor. „Während regionale Geldinstitute zum Teil auch Margen mit einer drei vor dem Komma darstellen können, liegen Debt-Fonds bei durchschnittlich 6,5 bis 7,0 Prozent. So kommt für ein Private-Debt-Darlehen schnell eine Blended Marge von 10 bis 11 Prozent zusammen“, sagt Thorsten Weber, Managing Director bei Houlihan Lokey. Zweiter Covenant könnte wiederkehren Eine weitere Hürde bei der Fremdkapitalfinanzierung: „Die Finanzierungsniveaus sind mehrheitlich konservativer, wobei es nach wie vor attraktive Assets gibt, für die Leverage Levels jenseits der 5x Ebitda erzielt werden können“, so Weber. Dafür müsse man den Finanziers aber deutlich aufzeigen, wie ihrem Kreditrisiko und den Kapitalkosten Rechnung getragen wird. Der Berater glaubt auch, dass 2024 weitere Hürden auf die Branche warten könnten. „Ab und an sehen wir Forderungen nach einem zweiten Covenant. Das könnte ein Thema werden“, nennt er ein Beispiel. Zu dem gängigen Leverage Covenant könnten sich noch eine Interest Service oder Debt Service Coverage Ratio gesellen, die zuletzt meistens aus den Kreditverträgen herausgehandelt wurden. Mehr zum Thema Private Equity 2022: Die fetten Jahre sind vorbei Das mittelständische Private-Equity-Geschäft verzeichnete 2022 einen massiven Einbruch. Viele Faktoren richteten sich gegen die Branche – und dennoch wurden vereinzelt Rekordpreise bezahlt. Mehr lesen Kann Private Equity Krise? Ein Knackpunkt für die Entwicklung des Private-Equity-Geschäfts wird vermutlich das Verhalten der LPs sein. Investieren sie wieder mehr in PE – oder werden andere Anlageklassen bevorzugt? Dass Geldgeber ausgerechnet jetzt wieder kritischer sind, ist kein gutes Zeichen. Das weiß die Branche selbst. Auf die Frage, ob Private Equity in der Krise steckt, antwortet DPE-Gründer Thiery: „In der Aussage steckt schon ein ganz schönes Stück Wahrheit.“ Auch Klein von Triton erwartet in den nächsten zwei Jahren „keine bedeutende Verbesserung des Marktumfelds“: „Die Zinserhöhungen werden sich 2024 auswirken, wenn zahlreiche Häuser ihre Beteiligungen refinanzieren müssen.“ Bei Triton blicke man auf ein weiteres Jahr mit vielen Chancen, aber auch Risiken. Christian Keller, Co-Head der europäischen Sponsor Coverage bei Houlihan Lokey, stimmt indes positive Töne an: „Ich bin für 2024 leicht optimistisch. Der M&A-Markt wird zwar nicht durch die Decke gehen, aber er könnte langsam und stetig anziehen – sofern uns kein unerwarteter exogener Schock trifft.“ Fakt ist: Mit 2023 ist für Private Equity ein schwieriges Jahr zu Ende gegangen, und Besserung ist noch nicht in Sicht. Eher teilt sich der Markt in zwei Hälften: die Häuser, die gut performen und wenige Probleme damit haben, frisches Kapital einzuwerben – und die Fonds, die aus vielerlei Gründen einen schweren Stand haben. 2024 dürfte sich diese Zweiteilung verschärfen, und nicht nur das: Die Branche muss beweisen, dass sie Krise kann. Sonst stellt sie das Vertrauen aufs Spiel, das sie sich hart erarbeitet hat.

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