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Mittelstand: Steigen Pensionsverpflichtungen um ein Drittel?

Wie mit steigenden Pensionsrückstellungen umgehen? Ein Automobilzulieferer berichtet anonym.
Thinkstock / Getty Images

Es ist ein Thema, das allen auf den Nägeln brennt, doch über das niemand öffentlich reden will: Die drückenden Pensionsrückstellungen in der aktuellen Niedrigzinsphase. Denn die Einhaltung der Pensionsverpflichtungen stellt Unternehmen vor immer größere Herausforderungen und viele CFOs such händeringend nach Lösungen. Nur unter dem Schutz der Anonymität äußert sich jetzt der CFO eines mittelständischen Metallverarbeiters und Autozulieferers.

Schon seit drei Jahren steigen in seinem Unternehmen die Rückstellungen – und werden es voraussichtlich auch in den kommenden Jahren tun. Denn gerade Mittelständler, die nach HGB bilanzieren, stehen vor einer besonders schwierigen Situation, erklärt  Paulgerd Kolvenbach, Geschäftsführer des Pensionsberaters Longial. Der Zinssatz, mit dem die Pensionsverpflichtungen abgerechnet werden, muss als Durchschnitt der vergangenen sieben Jahre ermittelt werden.

Pensionsrückstellungen: Marginale Zinssenkungen schlagen durch

Die niedrigen Zinsen werden die Mittelständler demnach noch auf Jahre hinaus belasten, selbst wenn das Zinsniveau irgendwann wieder ansteigt – worauf derzeit im Euroraum aber nichts hindeutet. „Ende 2013 lag der Zinssatz bei 4,84 Prozent, bis 2019 könnte er auf etwa 3 Prozent sinken“, prognostiziert Paulgerd Kolvenbach. Damit würden die notwendigen Rückstellungen um mindestens 35 Prozent steigen – normale Effekte wie Gehaltserhöhungen, die die Pensionsrückstellungen ohnehin ansteigen lassen, sind nicht berücksichtigt.

Für das mittelständische Unternehmen, das derzeit bei einem Umsatz von 20 Millionen Euro einen Überschuss von 800.000 Euro aufweist, schlägt sich diese Entwicklung direkt im Gewinn nieder: Die Pensionsrückstellungen sind in den vergangenen drei Jahren um 600.000 Euro auf 3,1 Millionen Euro im Jahr 2013 angestiegen. Zum Vergleich: Das Eigenkapital liegt bei 1,5 Millionen Euro.

Wenn der Rechnungszins, wie von Longial berechnet, 2015 um nur 0,3 Prozentpunkte sinkt, steigen die Rückstellungen allein durch diesen Effekt um zusätzliche 200.000 Euro an, das sind 25 Prozent des zu erwartenden Jahresüberschusses. Bis 2019 könnte der Gewinn insgesamt um 1,5 Millionen Euro belastet werden – für den beschriebenen Mittelständler ist dies eine zunehmend schwierige Situation.

Ausfinanzierung ist kaum möglich

Das Gegensteuern fällt CFOs nicht leicht, „denn ihre Einflussmöglichkeiten sind begrenzt“, sagt Berater Kolvenbach. Denkbar ist zwar die Auslagerung der Ansprüche an einen externen Anbieter wie einen Pensionsfonds oder die Übertragung an ein Lebensversicherungsunternehmen – jedoch kämpfen auch diese mit den niedrigen Zinsen.

„Die Risiken etwaiger Nachschusspflichten bleiben ja bei uns“, sagt der Finanzchef eines Konsumgüterherstellers mit Milliardenumsatz und Pensionsrückstellungen im dreifachen Millionen-Euro-Bereich, der ebenfalls anonym bleiben möchte, zu FINANCE. „Ich kenne kein System, nach dem man die Risiken für die Pensionsrückstellungen loswird.“ Nur durch die üppige Ausfinanzierung verschwänden die Pensionsrisiken aus der Bilanz – dies sei allerdings äußerst teuer und lohnt sich daher für die meisten Unternehmen nicht.

Es bleibt die Option, die Pensionszusagen für neue Mitarbeiter als wertpapierorientierte Zusagen (defined contribution) auszugestalten – wie dies etwa die Lufthansa diskutiert. Doch auch wenn dies die Bilanz entlasten würde, scheuen die Unternehmen den offenen Konflikt mit den Arbeitnehmern. „Viele Unternehmen wollen das auch aus sozialpolitischen Gesichtspunkten nicht“, fügt Kolvenbach hinzu. Die Folge: Viele versuchen die Niedrigzinsphase einfach auszusitzen – eine Entscheidung, die man sich leisten können muss.

Bilanzierungsspielräume ausnutzen – solange es noch geht

Der eingangs zitierte Mittelständler ist einen anderen Weg gegangen und hat Bilanzierungsspielräume ausgenutzt. Dabei profitiert er von der Erhöhung des Pensionseintrittsalters von 65 Jahre auf 67 Jahre: Durch die längere Arbeitszeit flacht die notwendige Rückstellung ab und die Rückstellungsbeträge in der Bilanz sinken.

Die Lösung bewirkt indes nur eine einmalige Verschnaufpause und keine Lösung des Problems: Immerhin 200.000 Euro kann das Unternehmen so 2015 sparen. Längerfristig indes hilft dem Unternehmen nur, dass neue Mitarbeiter niedrigere Pensionszusagen erhalten. Auch der CFO des Konsumgüterherstellers hat den Kreis der Betriebsrentenberechtigten deutlich eingegrenzt. Neue Mitarbeiter erhalten nur noch  beitragsbezogene Leistungszusagen – die Hoffnung auf steigende Zinsen alleine reicht nicht aus.

julia.becker[at]finance-magazin.de