Der komplexe Betrugsfall bei Voestalpine

Vor wenigen Tagen hat der Voestalpine-Konzern für einiges Erstaunen gesorgt: Am gleichen Tag, als CEO Herbert Eibensteiner und CFO Gerald Mayer in der Jahrespressekonferenz die Zahlen präsentierten und über das schwierige konjunkturelle Umfeld sprachen, berichteten die „Oberösterreichischen Nachrichten“ von einem Bilanzbetrug bei dem österreichischen Stahlkonzern. Der Vorstand selbst verlor über den Sachverhalt kein Wort. Die Berichte stimmten jedoch: Bei einer deutschen Tochter aus der Metallverarbeitungseinheit von Voestalpine ist es zu Fehlbuchungen von gut 100 Millionen Euro gekommen. Voestalpine: Bilanzkosmetik auf Seite 112 Der Konzern hatte die Information im Geschäftsbericht weit hinten auf Seite 112 hinterlegt. Schnell wurden Stimmen laut, Voestalpine hätte eine Ad-hoc-Nachricht verschicken müssen. „Das Verhalten von Voestalpine ist transparenzschädlich“, sagt auch Florian Beckermann, Geschäftsführender Vorstand beim Interessenverband für Anleger (IVA). Auf FINANCE-Nachfrage heißt es seitens Voestalpine hierzu: „Wir haben die Ad-hoc-Pflicht natürlich laufend beurteilt. Aus unserer Sicht war zu keinem Zeitpunkt eine Ad-hoc-Pflicht gegeben.“ Der Grund: Der Fall inklusive der finanziellen Auswirkungen sei nicht wesentlich. Angesichts eines Betrugsfalls von 100 Millionen Euro ist diese Einschätzung erstaunlich. Jedoch scheinen die Aktionäre keineswegs das Vertrauen ins Management verloren zu haben; die Aktie reagierte infolge der Berichterstattung wenig bis gar nicht. Externer Inhalt von Datawrapper Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen. Immer entsperren Einmalig entsperren Grund für die Nonchalance der Aktionäre dürfte sein, dass es um eine bilanzielle Wertberichtigung und nicht um eine Cash-wirksame Korrektur geht. Es handele sich um Fehlbuchungen hinsichtlich der Bilanzierung und Bewertung von Vermögensgegenständen in einem Zeitraum von gut zehn Jahren, schreibt der Konzern. Voestalpine hat das Eigenkapital daher von 7,6 Milliarden auf 7,5 Milliarden Euro reduziert. „100 Millionen Euro sind auch für einen Großkonzern kein Trinkgeld.“ Florian Beckermann, Aktionärsvertreter „100 Millionen Euro sind auch für einen Großkonzern kein Trinkgeld“, entgegnet Aktionärsvertreter Beckermann. „Es gibt qualitative und quantitative Kriterien, ob eine Nachricht ad-hoc-pflichtig ist. Letztlich kann zunächst nur Voestalpine die Einschätzung vornehmen.“ Schlussendlich wird die österreichische Börsenaufsicht FMA einschätzen müssen, ob Voestalpine den Publizitätspflichten nachgekommen ist. Die Behörde prüft den Fall. Einige Fragen beim Bilanzbetrug offen Aber auch so bleiben einige Fragen offen. Etwa, wie über einen so langen Zeitraum Fehlbuchungen in einer solchen Größenordnung vorgenommen werden konnten. Laut Voestalpine waren zumindest zwei Personen involviert. „Diese Personen haben die internen Kontrollsysteme bestens gekannt und diese bewusst umgangen.“ Grund sollen laut Medienberichten weniger eine persönliche Bereicherung sein. Vielmehr hätten die beschuldigten Manager die Zahlen vermutlich aufgehübscht, um persönlich besser dazustehen und ihre Karrierechancen zu verbessern. Tatsächlich ist es so, dass bei Betrugsfällen insbesondere interne Manager ein Risiko für Konzerne darstellen. Laut einer Untersuchung des Versicherers Allianz Trade waren Innentäter 2022 für fast drei Viertel aller Schäden verantwortlich. „Ein Manager mit langer Betriebszugehörigkeit weiß, wie der Hase läuft, wo Nischen und Kontrolldefizite sind und hat die notwendigen Befugnisse“, erklärte der Rechtswissenschaftler und Kriminologe Hendrik Schneider Anfang des Jahres in einem Gespräch über interne Betrügereien gegenüber FINANCE. Alles zum Thema Bilanzskandale Fehlbilanzierung, Betrugsverdacht, Insiderhandel: Immer wieder erschüttern Bilanzskandale die deutsche Börsenlandschaft. Die größten Skandale, die schlimmsten Fehler – die FINANCE-Übersicht. Mehr lesen Der Betrug bei Voestalpine fiel offenbar erst auf, als der unter Verdacht stehende frühere Geschäftsführer der Tochtereinheit das Unternehmen im Oktober 2023 verlassen hat. Im Februar 2024 hätten interne Controlling-Untersuchungen dann die betrügerischen Aktivitäten aufgedeckt. „Wenn das über zehn Jahre ging, dann stellt sich mir schon die Frage, was die Kontrollinstanzen in den vergangenen Jahren kontrolliert haben“, moniert Beckermann. Für Unverständnis sorgt auch, dass der Konzern nicht schon unmittelbar nach Bekanntwerden der Manipulationen den Kapitalmarkt über den Fall aufklärte. Big-Four-Haus soll aufklären Die Rolle von Aufsichtsratschef Wolfgang Eder könnte in den kommenden Wochen noch in den Fokus rücken. Er ist ein Voestalpine-Eigengewächs und arbeitet seit 40 Jahren für den Traditionskonzern. Er hat sich intern bis zum CEO hochgearbeitet und gilt als entsprechend mächtiger Chefkontrolleur. Ob er einen ausreichend kritischen Blick auf die internen Prüfprozesse werfen kann, wird indes in manchen Kreisen angezweifelt. Voestalpine hat zur Aufklärung des Falles daher auch externe Hilfe organisiert. Wie das Unternehmen mitteilt, habe man einen spezialisierten Berater und eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragt, den Sachverhalt aufzuarbeiten. Um welche Häuser es sich dabei handelt, möchte Voestalpine auf Nachfrage nicht kommunizieren, da man die Namen von Dienstleistern generell nicht kommuniziere. Wie „Der Standard“ berichtet, soll ein Prüfer der Big Four involviert sein, aber nicht der Voestalpine-Abschlussprüfer Deloitte. Auch ein juristisches Nachspiel ist noch nicht ausgeschlossen. Voestalpine könne weitere Details erst nach Vorliegen des Abschlussberichts bekanntgeben, heißt es. Ob es dann zu zivilrechtlichen Klagen oder strafrechtlichen Anzeigen kommt, könne der Konzern erst nach Klärung des Sachverhalts entscheiden. Die Ergebnisse werden im September erwartet.

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