Neulich wurde hier bei FINANCE berichtet, dass sich CFOs deutscher Unternehmen nur eine Stunde am Tag mit strategischen Fragestellungen beschäftigen. Hochgerechnet ergibt das 20 bis 30 Stunden im Monat, was so gesehen nicht schlecht ist. Unbeantwortet ist die Frage, ob der CFO sich dann auch mit den richtigen Dingen beschäftigen darf.
Einer Umfrage von Accenture zur Folge ist dies leider nicht der Fall: Zwar darf der CFO sich demnach mit der Umsetzung von Kosteneinsparmaßnahmen beschäftigen – nicht aber mit der Ressourcenallokation, die im Bereich des CEOs verbleibt. Gemäß dem altbekannten Sprichwort „ein Sammler will von einem Verschwender gefolgt sein“ schließen die Unternehmensberater, dass erzwungene Kosteneinsparungen viel zu oft in den Sand gesetzt werden.
Das wirft die Frage auf, warum offenbar in den meisten Unternehmen kein Chief Value Officer (CVO) agiert, der integriertes Denken verkörpert und einen übergreifenden Ansatz vorlebt. Der die operativen und funktionalen Einheiten zusammenbringt, um Kosten einzusparen und Ressourcen gezielt zu streuen.
Was der Chief Value Officer alles können muss
Die Anforderungen an einen echten CVO sind nicht gerade niedrig: Ein CVO kennt nicht nur das eigene Geschäftsmodell, sondern kann es auch narrativ von den Alternativen der Konkurrenz unterscheiden. Um dies zu tun, reichen die Begrifflichkeiten einer einfachen SWOT-Analyse nicht aus. Die eigentliche Aufgabe eines CVOs ist es, die Pflichten zu moderieren, die Verantwortlichkeiten kalkulativ zu erfassen und die unterschiedlichen Rollen der Mitarbeiter zu koordinieren. Nur so kann der Organisation das Geschäftsmodell des Unternehmens klar vermittelt werden.
Periodisch (per Email) zu kommunizieren, dass es mal wieder nötig ist, Kosten zu sparen, um mit der Konkurrenz mithalten zu können, ist zwar ein Teil davon, aber bei weitem nicht genug. Diese Art der Kommunikation vermittelt nur einen Wert – den Wert des ökonomischen Trade-Offs. Wer so kommuniziert, erzeugt bei den Mitarbeitern ein Bild der eigenen Organisation, die sich nie weiterentwickelt, sondern nur hin und her schaukelt zwischen Sammler und Verschwender, Eigentümer und Kunden, zwischen Profit und Verlust.
Die Chefs müssen die Mitarbeiter zum Mitdenken bringen
Fakt ist: Von vielen Topmanagern wird viel zu viel kommuniziert wird, viel Nebensächliches, zahllose Details – manchmal nur aus der Furcht heraus, etwas Wesentliches zu vergessen. Dem möchte ich die Perspektive zweier Praktiker gegenüberstellen, die seit 2012 an dem Konzernprojekt „Integrierte Berichterstattung“ bei dem Energieversorger EnBW arbeiten. Die Herren Dolderer und Rieth haben die Erfahrung gemacht, dass „ein guter Bericht nicht dann entsteht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann“.
Das ist ein guter Standpunkt, denn im Kern ist von Managern doch die Fähigkeit gefragt, das Geschäftsmodell als Input-Output-Funktion darstellen zu können. Was dabei überraschend sein mag, ist, dass es nicht primär darum geht, darzustellen, was und wie viel ein Unternehmen herstellt – also die Regularität. In erster Linie geht es darum, diese Frage zu thematisieren: Wie wollen wir (im Kontrast zur Konkurrenz) etwas auf unsere Art und Weise erreichen, und warum? Die Antwort darauf ist genauso fundamental wie für die Mitarbeiter maßgebend. Sie zeichnet sowohl die Existenzbedingung als auch die Rahmenbedingungen einer Fortentwicklung des Unternehmens auf.
Balanced Scorecards und andere Werkzeuge helfen auf diesem Weg. Aber sie funktionieren nur, wenn die Mitarbeiter in die dahinter stehenden Überlegungen eingebunden werden. Ein Vorstand, der sich in der Rolle als patriarchaler Alleswisser und Alleskönner sieht, kann integriertes und integrierendes Denken nicht vorleben. Auch hilft selbst ein ausgeklügeltes Kennzahlensystem dem Management nicht, um zu erklären, dass das Unternehmen sich ganzheitlich orientiert. Kennzahlensysteme funktionieren nur, wenn auch die Mitarbeiter versuchen herauszufinden, welche Faktoren vorrangig die Existenz und Fortentwicklung des Unternehmens festlegen.
Der CFO muss die Initiative der Mitarbeiter moderieren
Worum geht es bei dieser Übung? Darum, ökonomisch (rationales) Verhalten abzuverlangen? Jein. Aus der Verhaltensforschung wissen wir, dass sich ein solches Verhalten nur entwickeln kann, wenn man Mitarbeitern die Möglichkeit und den Freiraum gibt, ihre eigenen Erfahrungen einzubringen. Anders gesagt: Geben Sie den Traum auf, ein technisch perfektes Kennzahlensystem zu haben, das in Echtzeit alles erfasst und Big Data mit Frühwarnsystemen kombiniert! Statt Daten-Disco sollten Sie lieber Prozesse initiieren, die es den Mitarbeitern ermöglichen, sich schlau zu machen, wie sie eine Herausforderung am besten angehen.
Im Prinzip lässt sich dieser Prozess nie beenden. Aber das ist auch nicht Sinn und Zweck der Sache, weil es ja gerade darum geht, dieses Verhalten unter den Mitarbeitern anzuregen. Nur so kann jenes Humankapital aufgebaut werden, das im Rahmen von „Integrated Reporting and Thinking“ in den Fokus rücken soll.
Wie stellt man aber sicher, dass die ganze Sache nicht im Sande verläuft? Traditionell hat man diese Frage damit beantwortet, dass der CFO sich als Score-keeper aufstellt. Dies muss ein CFO natürlich auch weiterhin tun. Zusätzlich aber sollte ein CFO sich die Rolle eines CVO einverleiben. Und dabei geht es nicht so sehr um Zahlen, sondern um die Fähigkeit, Ideen und Initiativen der Mitarbeiter moderieren zu können.
Das wird vor allem dann wichtig, wenn Ansätze verschiedener Mitarbeitergruppen, beispielsweise Vertrieb und Produktion, sich gegenseitig widersprechen. Gerade dann geht es darum, die Mitarbeiter darin einzuführen, wie sie das Geschäftsmodell in seine Einzelteile zerlegen, es gemeinsam prüfen und dann integrativ wieder zusammenbauen, damit das „Morgen“ in den Mittelpunkt des organisatorischen Blickfeldes rückt.
Was integriertes Denken dem CFO bringt
Zugegeben, das Konzept von Integrated Reporting und Thinking mag vielen CFOs etwas obskur erscheinen. Doch das Konzept ist interessant, weil es den CFO dazu anregt, zum Chief Value Officer zu werden und sich damit auseinanderzusetzen, wie man a) sich als Unternehmen den Mitarbeitern gegenüber darstellt, wie man b) die Mitarbeiter in die Generierung neuer Ideen und Initiativen einbindet, und wie man c) deren Beiträge verwenden kann, um die Prämissen des eigenen Geschäftsmodells immer wieder kritisch zu hinterfragen. Leider ist die Wirklichkeit in vielen Unternehmen weit davon entfernt.
Info
Niels Dechow, PhD, ist Professor für Unternehmensrechnungslegung und Controlling an der European Business School (ebs). Für FINANCE bloggt er regelmäßig zu den neuesten Trends im Controlling. Hier geht es zu allen Beiträgen seines Blogs „Controlling 2020„: