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Gibt Corona der China-Konjunktur den Rest?

Welche Folgen hat das Coronavirus für die chinesische Wirtschaft? Unser Interview mit zwei Experten, die das Ganze vor Ort erleben.
Gilnature/iStock/Getty Images

Frau Pang, lässt sich schon messen, wie schwer der Ausbruch des Coronavirus die chinesische Wirtschaft trifft?
Das Coronavirus ist ein erheblicher Wachstumsdämpfer für die chinesische Volkswirtschaft. Einige Bremsspuren sind schon klar zu sehen, vor allem bei den Einzelhandelsumsätzen. Wir erwarten mittlerweile, dass diese im Jahresvergleich heuer nur noch um 3 bis 4 Prozent steigen werden, nur noch halb so viel wie ursprünglich prognostiziert. Und auch wenn die Fallzahlen seit einigen Tagen nicht mehr so schnell steigen wie davor, werden die Menschen auch weiterhin Kontakt mit Mitmenschen meiden. Wegen der Produktionsausfälle wird die chinesische Industrieproduktion im ersten Quartal sogar in eine Rezession abrutschen. Alles in allem wird das Wirtschaftswachstum in diesem Zeitraum auf unter 6 Prozent fallen – und selbst diese Schätzung gilt nur, sofern die offiziellen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus greifen. Es ist nicht garantiert, dass dies gelingt.

Wie genau trifft das die ausländischen Unternehmen, die in China tätig sind?
Es ist bereits zu beobachten, dass es für Unternehmen Einschränkungen beim Personal, bei den Lieferketten und in der Produktion gibt. Die Lieferketten sind zumindest teilweise unterbrochen, und es ist noch unklar, wie sich dies auf die Performance der Unternehmen auswirken wird. Es gibt Projektverzögerungen, aber auch positive Entwicklungen: In der Automobilindustrie und ähnlichen Branchen nehmen Unternehmen nach und nach den Betrieb wieder auf. Das hilft zwar der Inlandsnachfrage noch nicht wieder auf die Beine, allerdings erwarten wir stark unterschiedliche Auswirkungen: Premium-Marken scheinen sich schneller zu erholen, gestützt durch anhaltende Nachfrage und aufgelaufene Aufträge, die abgearbeitet werden müssen. Falls der Virusausbruch länger als zwei bis drei Monate anhält, werden voraussichtlich eher Marken des mittleren Marktes stark betroffen sein.  Diese standen bereits 2019 unter Druck.

Corona-Ausbruch zeigt Bedarf an Healthcare-Knowhow

Viele ausländische Unternehmen operieren aus Hongkong heraus. Wie ist dort die Lage?
Auch in Hongkong ist die Situation angespannt. Die Ausbreitung des Virus wirkt sich auf den Alltag aus: Schulen bleiben bis Mitte März geschlossen, Arbeiter sind angehalten, im Home Office zu bleiben. Insbesondere der Einzelhandel und die Gastronomie sind jetzt durch die Proteste und das Virus gleich doppelt betroffen. Außerdem hat Hongkongs Regierung Beschränkungen für Besucher aus dem chinesischen Mutterland eingeführt, den Hochgeschwindigkeitszugverkehr ausgesetzt und die Zahl der Flüge um die Hälfte reduziert. Cathay Pacific schickt 27.000 Mitarbeiter für drei Wochen in unbezahlten Urlaub. Die Beeinträchtigung der Ein- und Ausreisen durch die Einstellung von Flügen ist auch in Hongkong von großer Bedeutung für ausländische Unternehmen. Und noch mehr für den weltweiten Tourismus, der stark von chinesischen Besuchern abhängt. Hier ist ein Rückgang von mehr als 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr möglich.

Endet jetzt die Wachstumsstory China?
Nein. Insgesamt finden deutsche Unternehmen in China trotz des Coronavirus nach wie vor einen sehr attraktiven Wachstumsmarkt vor. Allerdings hängen die konkreten Möglichkeiten von der jeweiligen Branche ab. Dass der Umweltsektor ausländischen Unternehmen besonderes Potenzial bietet, ist bekannt – denken Sie nur an die „Blue Air“-Initiative für saubere Luft in den Metropolen. Das Coronavirus zeigt aber schlaglichtartig, dass China auch bei Healthcare eng auf internationale Zusammenarbeit angewiesen ist.

Das Coronavirus schwächt den Yuan

Herr Schratz, welcher Handlungsbedarf ergibt sich für Ihre europäischen Firmenkunden in China?
Der Yuan wird durch die geschilderten Entwicklungen zumindest temporär geschwächt. Und die mit rund 7 Prozent bereits im Jahr 2019 recht hohe Wechselkurs-Volatilität zwischen Yuan und US-Dollar wird in diesem Jahr aller Voraussicht nach weiter zunehmen. Für Ende 2020 sehen wir weiterhin einen Dollar-Yuan-Wechselkurs von 6,85, wobei im Worst-case von einer Abschwächung des Yuan auf 7,20 auszugehen ist.

Können CFOs das aussitzen?
CFOs sollten ihre Hedging-Bemühungen anpassen und ihre Finanzierungsbasis zwischen lokalen chinesischen Banken und international tätigen Kreditinstituten aus den Heimatmärkten weiter diversifizieren. Denn die Folgen für das chinesische Finanzsystem sind noch unklar.

Ein wichtiger Faktor ist die Frage, ob die Regierung der Volksrepublik zumindest einen Teil der Kosten für den angeordneten Produktionsstopp in der Industrie – zum Beispiel durch Steuererleichterungen – mitigiert und wie sich die kürzlich eingeführten Policies für FIEs (foreign-invested enterprises) auswirken. Bisher hat es die Führung vermieden, einen ähnlichen Weg zu Niedrigzinsen wie die Eurozone und die USA einzuschlagen.

Am 20. Februar hat die People’s Bank of China die einjährige Loan Prime Rate (LPR) nur leicht um 10 Basispunkte auf 4.05 Prozent gesenkt. Offenbar will sie eine Wiederholung der Ereignisse des Jahres 2009 vermeiden, als im großen Umfang Liquidität in den Markt gepumpt wurde und dadurch die Zahl von Spekulationsgeschäften mit verschiedenen Vermögenswerten erheblich zunahm.

„Die Folgen des Coronavirus für das chinesische Finanzsystem sind noch unklar.“

Stefan Schratz, ING

Info

Iris Pang ist Volkswirtin für die Volksrepublik China bei ING Wholesale Banking, Stefan Schratz leitet das Firmenkundengeschäft für deutsche, schweizer und österreichische Firmenkunden der ING in Asien. stefan.schratz[at]asia.ing.com

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