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Kartelle: Der Kronzeugenschutz wackelt

Was im Kronzeugenantrag steht ist für die Kartellopfer tabu - dieser Grundsatz gilt jetzt nicht mehr ausnahmslos.
Mark Wragg/Thinkstock / Getty Images

Während die Bußgelder für Kartellteilnehmer immer höher ausfallen, bleiben die Opfer des Kartells auf ihrem Schaden meist sitzen. Das Problem: Die wettbewerbswidrigen Absprachen sind zwar bewiesen, aber die Kartellopfer haben meist kaum eine Möglichkeit nachzuweisen, wie hoch der Schaden war, den sie beispielsweise durch erhöhte Preise der Konkurrenz erlitten haben. Das könnte sich mit einem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm nun ändern. Das hat vor Kurzem entschieden, dass in die Kronzeugenanträge in bestimmten Fällen Einsicht gewährt werden darf. Den Informationsstand der Opfer würde das deutlich verbessern.

Bislang lag hier aus Sicht der Kartellopfer der entscheidende Knackpunkt: Mit den detaillierten Informationen aus den Kronzeugenanträgen wäre es für sie deutlich einfacher, eine eigene Schadensersatzklage gegen die Kartellbeteiligten vorzubereiten. Das hatte auch der Holzverarbeiter Pfleiderer versucht, der sich mit dem Wunsch nach Akteneinsicht am Ende bei den Gerichten aber einen Korb einhandelte. Seitdem galt der Grundsatz: Die Kronzeugenanträge sind für die Opfer tabu. Denn zu groß war die Sorge bei Richtern und Behörden, dass kein Kartellteilnehmer sonst mehr einen Kronzeugenantrag stellen würde. Ohne Kronzeugen aber ist es den Behörden oft kaum möglich, ein großes Kartell aufzuklären.

Staatsanwaltschaft als entscheidende Stelle

Das Bundeskartellamt verspricht Kronzeugen deshalb ausdrücklich, dass die Inhalte ihrer Anträge nicht in die Hände der Kartellopfer fallen. Daran wird sich in Zukunft auch nichts ändern – es sei denn, die Akten liegen wie im aktuellen Fall des Oberlandesgerichts Hamm bei einer Staatsanwaltschaft. „Sobald die Staatsanwaltschaft involviert ist, verliert das Bundeskartellamt seine Verfügungsbefugnis, da es sich um Akten der Staatsanwaltschaft handelt“, erklärt der Kartellrechtler Jens Steger von der Kanzlei Kaye Scholer. Das sei der Fall, wenn es in dem Verfahren um Betrug oder Submissionsbetrug gehe.

Auch hier haben die Kläger aber keine Möglichkeit, die Akten zur Vorbereitung anzufordern. Sie müssen vielmehr den Umweg über den Richter machen: „Voraussetzung ist, dass das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist und das Kartellopfer als Partei im Prozess einen Beweisantrag stellt“, sagt Steger. Wenn das Gericht die Akten dann anfordert, hat die Staatsanwaltschaft keinen Ermessensspielraum. Die Folge: Sie muss sie herausgeben, alle Beteiligten können die Unterlagen im Prozess einsehen, wenn das Gericht ihre Verwendung plant.

Keine Vergleiche mehr mit den Kartellteilnehmern?

Für Kartellopfer ist das ein großer Vorteil: „Normalerweise berechnet der Kläger den Schaden über rechnerische Modelle, die leicht beeinflussbar sind. Der Beklagte hält dann mit seiner eigenen Rechnung dagegen“, erklärt Steger. Um Mammutprozesse mit horrenden Prozesskosten zu vermeiden, steht am Ende oft ein Vergleich. Zumindest bei Absprachen in Ausschreibungsverfahren – dem typischen Fall des Submissionsbetrugs – dürften sich die geschädigten Unternehmen nun freuen. Sie hätten künftig eine verlässliche Basis für ihre Ansprüche. Steger ist sicher: „Man kann sich darauf gefasst machen, dass Unternehmen diesen Weg in Zukunft in derartigen Konstellationen grundsätzlich gehen werden, wenn sich die Methodik erst einmal herumgesprochen hat.“

sarah.nitsche[at]finance-magazin.de

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