Volocopter-CFO: „Wir haben uns für den Tesla-Weg entschieden“

Volocopter aus Bruchsal bei Karlsruhe entstand 2010 aus der Idee heraus, eine Drohne so groß zu bauen, dass damit Menschen fliegen können. Das erste Demonstrationsmodell hob 2011 ab und lockte die ersten Investoren an. Zwischenzeitlich galt das Start-up als „Tesla der Lüfte“ und Verkehrsmittel der Zukunft. Doch zuletzt schien die Begeisterung für die elektrischen Luftfahrzeuge zu schwinden, kritische Stimmen wurden laut – und nachdem die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern dem Unternehmen keine Landesbürgschaft geben wollten, stand zwischenzeitlich sogar eine Insolvenz im Raum. Im Interview mit FINANCE erläutert Volocopter-CFO Christian Bauer, wie die Finanzierung doch noch zustande kam, warum es Start-ups ab einer gewissen Größe in Deutschland immer noch schwer haben und warum er zuversichtlich ist, dass es trotzdem schon bald die ersten kommerziellen Flüge mit Volocoptern geben wird. Die Finanzierung gerät zur Hängepartie Herr Bauer, Volocopter war in den vergangenen Monaten wegen Finanzierungsschwierigkeiten in den Schlagzeilen: Landesbürgschaften wurden nicht genehmigt, zwischenzeitlich war sogar von einer Insolvenz die Rede. Letztlich konnten Sie sich mit Ihren bestehenden Investoren auf eine neue Finanzierung einigen. Ist diese Hängepartie bezeichnend für den Standort Deutschland? Zunächst zeigt es, dass das Finanzierungsumfeld für Technologieunternehmen aktuell deutlich schwieriger ist als noch vor zwei, drei Jahren, als der Hype um Tesla den Markt beflügelte. Unsere Schwierigkeiten zeigen auch, dass Deutschland und Europa gegenüber Asien und den USA im Technologiesektor deutlich hinterherhinken. Können Sie das präzisieren? Gern. Aktuell arbeiten weltweit rund 300 Unternehmen an der Technik für elektrisch angetriebene Fluggeräte, kurz Evtols. Hier entsteht ein Markt. Unser Vorteil gegenüber der Konkurrenz: Wir stehen kurz vor der Zertifizierung durch die europäische Luftfahrtbehörde EASA. Christian Bauer ist seit 2018 Chief Commercial Officer (CCO), seit 2021 zusätzlich CFO von Volocopter. Vorher war der studierte Wirtschaftswissenschaftler lange Zeit für Mercedes-Benz im Corporate-Finance-Bereich tätig. Foto: Volocopter Damit könnte der kommerzielle Betrieb beginnen. Genau, und damit stehen wir vor dem Markteintritt. Uns fehlte nur die letzte Finanzierung bis dahin. Da sind die USA zum Beispiel weiter, die Förderprogramme haben und ohne große bürokratische Hürden unseren Konkurrenten Archer Aviation und Joby Aviation dreistellige Millionenbeträge zur Verfügung stellen. Oder China, das beschlossen hat, dass Flugtaxis ein Kernelement des Transportwesens bis 2030 werden. Das heißt, da fließen viele Investitionen in Infrastruktur und Entwicklung. Solch eine Unterstützung würden wir uns auch wünschen. Wir haben mit Lilium und uns schließlich zwei Player, die gute Chancen haben, sich an der Spitze zu etablieren, wenn man sie nur lässt. Keine Förderung für Later-Stage-Start-ups wie Volocopter Aber es gibt in Deutschland doch beispielsweise den High-Tech Gründerfonds und zahllose Förderprogramme. Helfen die nicht? Den gibt es, und es gibt auch weitere Förderprogramme. Aber diese richten sich nicht an Unternehmen wie uns, die kurz vor dem Markteintritt stehen, sondern stellen Seed- oder Series-A, -B- oder -C-Finanzierungen zur Verfügung. Sogenannte Late-Stage-Start-ups wie wir sind davon ausgeschlossen. Info Volocopter Der Flug-Taxi-Hersteller wurde 2010 mit der Vision gegründet, ein elektrisches Flugzeug zu entwickeln, das sicher, leise und umweltfreundlich sein sollte. Während der erste Prototyp noch ein Gymnastikball mit Elektromotoren und -rotoren war, wartet das Start-up zurzeit auf die Zulassung der Fluggeräte durch die Europäische Agentur für Flugsicherheit, damit der kommerzielle Betrieb aufgenommen werden kann. Bislang sollen mehr als 500 Millionen Euro investiert worden sein. Sie vermissen also Förderprogramme für Late-Stage-Unternehmen? Ja, was ich sehr schade finde. Wir sind ein innovativer Forschungs- und Entwicklungsstandort, wir bauen Prototypen, und bis zu einer gewissen Phase gibt es auch Möglichkeiten zur Finanzierung, aber dann reißt der Finanzfluss, um das Ganze auch umzusetzen, leider ab. Mit dem Resultat, dass diese Unternehmen oder ihre Innovationen ins Ausland verkauft werden. Es hat schon seinen Grund, dass unter den globalen Top-100-Unternehmen nur noch SAP vertreten ist. Andere Möglichkeiten zur Finanzierung sind vermutlich rar gesät? Ja, als Start-up sind unsere Möglichkeiten limitiert. Die einzigen Finanzierungsmöglichkeiten laufen über Equity Capital oder Venture Capital. Da wir in unserem Stadium noch keine nennenswerten Umsätze erzielen, können wir nicht einfach zu einer Bank gehen. Aber das wird sich nächstes Jahr ändern! „Irgendwann reißt der Finanzfluss leider ab.“ Wenn Volocopter von der EASA zertifiziert wurde und Sie den kommerziellen Betrieb aufgenommen haben? Genau, dann können wir den gesamten Corporate-Finance-Werkzeugkasten nutzen. Volocopter wartet auf die EASA-Zertifizierung Zwischenzeitlich gab es Verkaufsgerüchte. Ihr Investor Geely aus China wurde als Interessent genannt. Stand ein Verkauf zur Debatte? Wir haben momentan eine sehr breite Gesellschafterstruktur. Unsere Investoren sitzen im Mittleren Osten, in Asien, den USA, Deutschland und anderen europäischen Staaten, für deren Engagement wir sehr dankbar sind. Zur aktuellen Finanzierungsrunde kann ich Ihnen jedoch keine Details nennen, da diese erst bis Jahresende komplett abgeschlossen sein wird. Sie haben aktuell knapp 40 Investoren an Bord, darunter auch Corporate-Venture-Kapitalgeber wie Mercedes oder DB Schenker. Diese CVC-Investoren stellen meist nicht nur Kapital zur Verfügung, sondern auch Wissen. Können Sie deren Erfahrungen für Volocopter nutzen? Ja, so half uns Daimler – beziehungsweise jetzt Mercedes-Benz – in der Frühphase bei der Batterieentwicklung, indem wir dessen Testzentrum nutzen konnten oder auch Experten für uns abgestellt wurden. Der Corporate-Venture-Fonds von Japan Airlines unterstützt uns beispielsweise bei der Zertifizierung durch die japanische Flugbehörde sowie bei den lokalen kulturellen Gepflogenheiten. Sie sehen also, die Unterstützung geht in bestimmten Phasen über das reine Finanzinvestment hinaus und hilft unserer Entwicklung enorm. Info Evtol Ein Evtol ist ein elektrisch angetriebenes, senkrecht startendes und landendes Flugzeug. Der Begriff steht für „Electric Vertical Take-off and Landing“. Die Fluggeräte sollen künftig im Bereich der urbanen Mobilität eine wichtige Rolle im Personentransport, insbesondere in städtischen Gebieten, spielen. Wenn die EASA-Zertifizierung kommt, wäre Volocopter der erste kommerzielle Anbieter im Evtol-Markt. Aber ist es überhaupt sinnvoll, First Mover und Pionier in diesem Geschäftsfeld zu sein? In unserem Markt geht es sehr viel um Vertrauen. Die Luftfahrt hat die höchsten Sicherheitsstandards weltweit. Das gilt auch für Evtols. Wir werden so sicher fliegen wie ein Airbus. Wir sind überzeugt, dass die ersten Anbieter, die sich am Markt platzieren und einen guten Namen machen, das Geschäft dominieren werden und es für andere Anbieter schwer werden dürfte, uns dann noch zu verdrängen. Ich bin zudem davon überzeugt, dass wir mit unseren Kooperationen mit zahlreichen Städten schon jetzt einen USP haben, den spätere Anbieter nicht haben werden. Kooperationen mit Städten heißt genau? Um Flugstrecken aufzubauen, benötigen wir neben den Freigaben der einzelnen Behörden auch Start- und Landeplätze und Partner, um diese Flugstrecken aus- und aufzubauen. Dazu gehören zum Beispiel Flughäfen, Fluggesellschaften und die lokale Luftsicherung, um die „Last Mile Mobility“ gewährleisten zu können. Wir befinden uns in bereits langjährigen Partnerschaften mit Paris, Rom, Osaka sowie Neom in Saudi-Arabien und sprechen aktuell mit zehn weiteren großen Städten über eine Kooperation. Diese Beziehungen verschaffen uns einen klaren Wettbewerbsvorteil. Kritiker bemängeln, dass der zweisitzige Volocopter innerstädtische Verkehrsprobleme aufgrund der mangelnden Kapazität nicht wird lösen können. Das stimmt natürlich. Mit einem Einsitzer werden wir Stauproblematiken nicht lösen können. Aber wir können mit einem voll zertifizierten Zweisitzer zeigen, wie sicher und leise wir in der Stadt operieren. Wir haben zudem immer kommuniziert, dass das für uns ein fließender Übergang ist und wir mittelfristig fünf bis sechs Personen transportieren wollen. Nur ist das mit der heute zugelassenen Batterietechnologie noch gar nicht möglich, das wird noch ein bis zwei Jahre dauern. Statt darauf zu warten, haben wir uns für den Tesla-Weg entschieden. Wir starten mit einem Zweisitzer und bauen unser Produktportfolio analog zur Batterieentwicklung aus. Im Übrigen haben wir aktuell rund 400 Vorbestellungen für den Zweisitzer, ganz falsch kann unser Weg also nicht sein. Volocopter schließt Börsengang nicht aus Ein geplanter Börsengang ist vor ein paar Jahren gescheitert. Steht ein IPO von Volocopter noch zur Debatte? Wir schauen uns alle Finanzierungsoptionen an, dazu gehört auch ein Börsengang. Aber diese Entscheidung ist natürlich davon abhängig, wie unsere Shareholder dazu stehen. „Ich bin abenteuerlustig und hier an der richtigen Stelle.“ Vor Volocopter waren Sie viele Jahre bei Daimler im Corporate-Finance-Bereich tätig. Sie kennen also beide Welten: mit Mercedes-Benz, wie Daimler heutzutage heißt, ein alteingesessenes Unternehmen, eine Weltmarke, mit Volocopter ein junges Unternehmen, das erst ganz am Anfang seiner Geschichte und Entwicklung steht. Wie sehr unterscheidet sich die Arbeit in diesen beiden Welten? Was mich am meisten nach meinem Wechsel zu Volocopter beeindruckt hat, ist die Umsetzungsgeschwindigkeit. In einem etablierten Unternehmen hast du oftmals 20 Prozent Output und musst dafür 80 Prozent intern regeln. Bei Volocopter ist es genau umgekehrt. Die Hierarchien sind flach, die Wege kurz und Entscheidungen werden schnell getroffen. Bei einem Start-up habe ich zudem ein größeres Weiterentwicklungspotential, man ist noch nicht in den eigenen Strukturen gefangen. Man kann mehr ausprobieren, die Fehlertoleranz ist größer. Wenn etwas nicht klappt, dann hakt man es ab und macht mit etwas Neuem weiter. In der Corporate-Welt ist das schwieriger. Sie haben den Wechsel von der Old Economy in die Start-up-Welt also nicht bereut? Nein, zu keinem Zeitpunkt. Ich bin abenteuerlustig und hier genau an der richtigen Stelle.

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