Diese Autozulieferer stehen vor einer Zerreißprobe

Ende September kassierte der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen seine Prognose. Demnach erwartet ZF weniger Umsatz, weniger Rendite und einen drastischen Einbruch des Cashflows. Moody’s prüft noch ein Downgrade des Ba1-Ratings. Der zweitgrößte deutsche Autozulieferer rechnet jetzt nur noch mit einem Umsatz zwischen 40 Milliarden und 42 Milliarden Euro – über 2 Milliarden weniger als bislang geplant. Auch die bereinigte Ebit-Marge soll nur noch zwischen 3 und 4 Prozent liegen statt bei 4,9 bis 5,4 Prozent. Noch drastischer ist der Free Cashflow eingebrochen: Das Unternehmen geht nur noch von 100 Millionen statt 800 Millionen Euro aus. Gleichzeitig sitzt der Konzern auf einem Schuldenberg von über 10 Milliarden Euro. ZF begründet die Prognosekorrektur in einer Pressemitteilung mit einem „beschleunigten signifikanten Marktrückgang und damit verbundenen stark rückläufigen Kundenabrufen“. Damit ist ZF Friedrichshafen ein Sinnbild für die Branche. Zwar ist die Krise der Automobilzulieferer schon lange bekannt und fing bereits vor der Corona-Pandemie an. Dennoch spitzt sich die Lage immer mehr zu. FINANCE hat mit verschiedenen Markt- und Restrukturierungsexperten gesprochen und keiner geht von einer sich verbessernden Lage aus. Im Gegenteil – für die Branche werde die Luft immer dünner. Die kassierten Prognosen seien nur der Anfang. Roland Berger sieht enormen Restrukturierungsbedarf Das bestätigt auch eine aktuelle Studie von Roland Berger. „Noch nie in der Geschichte unserer Restrukturierungsstudie fiel das Urteil über die Branche mit dem größten Restrukturierungsbedarf so eindeutig aus“, heißt es in der Studie. Fast neun von zehn Befragten sehen den größten Anpassungsdruck in der Industrie. Befragt wurden in diesem Jahr rund 200 Restrukturierungsexperten. Auch im aktuellen Restrukturierungsbarometer von FINANCE rangieren Fahrzeugbau und -zubehör auf Platz 1 der Hitliste der Branchen, die zurzeit besonders im Fokus der Restrukturierungsabteilungen stehen. Zwar straucheln hierzulande auch Autobauer wie VW, doch besonders die Zulieferer haben große Schwierigkeiten. Ein zentrales Problem sind laut der Studie die niedrigen und stark schwankenden Produktionsvolumina, die insbesondere in Europa weit hinter den Prognosen für 2024 zurückbleiben. Gleichzeitig müssen die Zulieferer ihre Portfolios zügig anpassen: Der Rückgang der Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und der steigende Bedarf an Komponenten für Elektrofahrzeuge setzen die gesamte Branche unter enormen Anpassungsdruck. Mehr zum Thema Wie Volkswagen aus der Sackgasse kommen will Volkswagen kämpft mit der Transformation des Geschäfts. CEO Oliver Blume und CFO Arno Antlitz fahren ein strenges Kostenprogramm, auch Werkschließungen sind kein Tabu mehr. Sparen allein reicht aber nicht. Mehr lesen Doch diese Probleme gibt es schon länger. „Während in den vergangenen Jahren steigende Material-, Energie- und Personalkosten durch Preisanpassungen und enge Kooperationen mit den OEMs noch aufgefangen werden konnten, hat sich dieses Zeitfenster angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage der Kunden geschlossen“, argumentieren die Studienautoren von Roland Berger. „Die derzeitigen Rahmenbedingungen stellen die Branche vor Herausforderungen, die mit herkömmlichen Ansätzen kaum zu bewältigen sind.“ WKW musste Insolvenz anmelden Für viele Unternehmen sind die Herausforderungen jetzt zu groß. So meldete der Zulieferer WKW im September nach einem geplatzten Rettungs-Deal Insolvenz an. Das Traditionsunternehmen aus Wuppertal mit über 3.800 Mitarbeitern beliefert unter anderem VW und BMW. WKW dürfte kein Einzelfall bleiben. Laut Alexander Timmer, Partner bei der Beratung Berylls by Alix Partners, könnten noch mehr Unternehmen die Reißleine ziehen. „Wir sehen circa 30 Prozent der Zulieferer derzeit in einer insolvenzbedrohlichen Situation.“ Die Beratung erstellt jährlich ein am Umsatz gemessenes Ranking der europäischen Top-100-Zulieferer. „Wir sehen circa 30 Prozent der Zulieferer derzeit in einer insolvenzbedrohlichen Situation.“ Alexander Timmer, Berylls by Alix Partners Webasto und Eberspächer mit mageren Margen Eine aufschlussreiche Kennzahl, wie schlimm die Zulieferer dastehen, ist die am operativen Gewinn (Ebit) gemessene Marge. „Seit 2021 schwanken die Margen der Zulieferer zwischen 5 und 6 Prozent und liegen damit auf einem historischen Tiefpunkt. Auch für dieses Jahr ist hier keine Erholung zu erwarten“, beobachtet Zulieferer-Experte Timmer. Dabei hätten viele Unternehmen mit ihren Margen schon eine kritische Größe erreicht. „In Marktkreisen ist eine Marge von 5 Prozent gerade noch auskömmlich“, erklärt Timmer. Bei den Zulieferern, die unter die 5-Prozent-Schwelle fallen würden, läuteten demnach die Alarmglocken: „Besonders kritisch wird es, wenn man die 2-Prozent-Marke unterschreitet.“ Das beobachtet er vor allem in den Bereichen Innenraum und Metallverarbeitung. Ein Blick in den Zuliefermarkt zeigt, dass es einige Wackelkandidaten gibt. Die Mehrheit der großen Zulieferer hat im vergangenen Jahr eine geringe Ebit-Marge erreicht. Die drei schlechtesten Margen der 20 größten Autozulieferer in der DACH-Region entfallen auf Mahle (2,4 Prozent), Eberspächer (0,9 Prozent) und Webasto (0,4 Prozent). Brose hat Marge unter 2 Prozent Nicht bekannt ist dagegen die Marge von Brose. Das fränkische Familienunternehmen mit weltweit über 32.000 Mitarbeitern gehört zu den größten Zulieferern in Deutschland. Ein Unternehmenskenner, der anonym bleiben will, sagt, dass Brose „minimale Margen“ einnähme. Die Rede sei von unter 2 Prozent. Brose bestätigt gegenüber FINANCE, dass die aktuelle Ebit-Marge unter 2 Prozent liegt. Gewinnkennzahlen sowie einen konsolidierten Konzernjahresabschluss veröffentlicht Brose nicht. In einer Mitteilung von April 2023 gab der Autozulieferer zu, dass sich die Rendite auf einem „absolut unbefriedigenden Niveau“ befinde. Die Umsatzrendite lag demnach Ende 2022 bei 1,1 Prozent. Brose hat 2022 bei einem Umsatz von 7,5 Milliarden Euro also gerade einmal magere 83 Millionen Euro Gewinn nach Steuern eingefahren. Aus dem Jahr 2023 ist nur die Umsatzzahl öffentlich (7,9 Milliarden Euro). Die finanzielle Lage sei damals so angespannt gewesen, dass „die Eigenfinanzierung des Familienunternehmens erstmals“ nicht mehr gewährleistet war und Brose im April 2023 „Bankkredite in beachtlichem Ausmaß“ aufnehmen musste, wie der Zulieferer mitteilte. Zu den Finanzierungsdetails schweigen die Franken. Auch, ob es schon Pläne für die Refinanzierung gibt, ließ Brose auf Anfrage unkommentiert. Dominic Waldeier ist neuer CFO von Brose Neben der finanziellen Lage belastete den Konzern auch die personelle Situation. Im Juli 2023 übernahm Philipp Schramm zusätzlich zu seinem CFO-Posten auch interimistisch die CEO-Rolle von Ulrich Schrickel, was FINANCE seinerzeit exklusiv aus einem internen Memo erfuhr. Im Oktober dieses Jahres teilte Brose dann plötzlich mit, dass Schramm durch Stefan Krug, bisher für die Produktion zuständig, als CEO abgelöst wird. Die CFO-Rolle übernimmt ab Januar 2025 Dominic Waldeier, wie FINANCE exklusiv berichtete. Waldeier kommt vom Autozulieferer Eberspächer aus Esslingen am Neckar. Dort hatte er seit Juli 2022 die CFO-Rolle inne. Dominic Waldeier kommt vom Mitbewerber Eberspächer. Foto: Brose Dem neuen CFO wäre gut geraten, die Interessen von Patriarch Michael Stoschek zu vertreten. Seit kurzem sitzt der 76-jährige Stoschek erneut auf dem Aufsichtsratsposten. Gegenüber der F.A.Z. beschrieb er die Situation so: „Ich dränge keineswegs an die Macht. Aber ich unterstütze die Führung, weil unsere Eigentümer und die Geschäftsführung es wünschen, dass ich in diesen schwierigen Zeiten meine jahrzehntelange Erfahrung einbringe.“ Dass Brose seit Jahren nicht mehr die Kurve kriegt, schiebt Stoschek auf das ehemalige Management. Die bisherige Geschäftsführung habe nicht die richtigen Schlüsse gezogen, behauptet er. Während das Management von Brose diese Situation auf frühere Führungsfehler zurückführt, weisen Branchenexperten darauf hin, dass eine komplexere Reihe von Faktoren eine Rolle spielt, darunter Probleme im Produktportfolio und interne Managementdynamiken. Webasto könnte demnächst IDWS6 beauftragen Fast 300 Kilometer entfernt von Brose soll es einen weiteren Kandidaten geben, der vor Problemen steht. „Auch Webasto navigiert durch finanzielle Herausforderungen“, so ein Restrukturierer. Der bayerische Zulieferer aus Stochdorf bei München, der Schiebedächer und Dachmodule für Cabrios produziert, hat in diesem Jahr ebenfalls einen Abbau von 1.600 Stellen angekündigt und fährt einen strikten Sparplan. Bereits 2023 erzielte Webasto eine mickrige Marge von 0,4 Prozent. Die Lage scheint sich noch mehr zugespitzt zu haben. Wie die „Wirtschaftswoche“ schreibt, soll Webasto auf Druck der Banken demnächst ein Sanierungsgutachten beauftragen können. Auch soll ein CRO engagiert werden. Besonders kritisch wird in Finanzkreisen auf den Ende September 2026 fälligen Konsortialkredit in Höhe von 681 Millionen Euro geblickt. Die Banken hatten im Juni dieses Jahres bereits die Covenants angepasst. Das Ruder herumreißen soll der seit November amtierende CFO Jörg Bremer, kein Unbekannter in der Autobranche. Er war bereits bei Sixt, Brose und zuletzt Krauss Maffei tätig. Doch soll nicht jeder von der Berufung überzeugt sein: „Die Meinungen über seine Erfolge im Bereich der Restrukturierung sind in der Branche geteilt“, so der Restrukturierer. FINANCE Köpfe Jörg Bremer Webasto SE Mehr lesen Kostenmaßnahmen reichen alleine nicht Maßnahmen wie bei ZF und Brose sind das typische Vorgehen bei Restrukturierungen. Laut Timmer reagieren die meisten Zulieferer in dieser Situation mit sogenannten Ergebnissicherungsprogrammen. Möglichkeiten der Ergebnisverbesserung liegen klassischerweise in den Bereichen Produktion, Einkauf/Lieferanten und Vertrieb. Typische Maßnahmen konzentrieren sich auf die Einführung von Lean-Ansätzen in der Produktion, Werkskonsolidierungen, Verhandlungen von Preisreduzierungen mit Lieferanten, die Verlängerung von Zahlungszielen sowie Nachverhandlungen mit Kunden. Allerdings reiche das nicht, um wirklich nachhaltig wirtschaftlich erfolgreich agieren zu können. Auch müssten Organisationsanpassungen stattfinden. „Nur weil man die Kosten herausnimmt, sind die strukturellen Probleme in der Organisation noch lange nicht gelöst“, sagt Timmer. Zur langfristigen strategischen Ausrichtung gehöre etwa auch, das derzeitige Produktportfolio und die Wertschöpfungstiefe kritisch auf den Prüfstand zu stellen. Nach Verkauf an Luxshare: Was bleibt von Leoni? In Restrukturierungskreisen wird als Negativbeispiel häufig das Nürnberger Unternehmen Leoni genannt. „Leoni hat es versäumt, seine strategische Ausrichtung zu überarbeiten. Das Unternehmen hat strukturelle Probleme, die vor allem durch einen schlecht aufgestellten Vertrieb und ein ineffizientes Projektmanagement verursacht wurden, nie konsequent angegangen“, so ein Restrukturierer. Nach dem im Dezember 2022 geplatzten Verkauf der Kabel-Sparte an einen Investor aus Thailand, der mehrere Millionen Euro in die Leoni-Kassen spülen sollte, hatte sich Leoni hochverschuldet in ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren (Starug) geflüchtet. Der österreichische Investor Stefan Pierer übernahm die Schulden und investierte frisches Geld. Doch ist der Turnaround wirklich gelungen? Im September wurde bekannt, dass die Nürnberger mehrheitlich nach China verkauft werden sollen. Der Apple-Zulieferer Luxshare übernehme 50,1 Prozent der Anteile. Der Restrukturierer nennt den Deal einen „Notverkauf“. Noch muss dieser vom Bundeswirtschaftsministerium genehmigt werden. „Im schlimmsten Fall könnte Leoni komplett vom Markt verschwinden. Das Unternehmen wird schrittweise abgebaut, und letztendlich könnte es unklar sein, was noch zu Leoni gehört“, so der Restrukturierer. So stelle sich für ihn auch die Frage, wie nachhaltig die Restrukturierung und in dem Zusammenhang die Rolle von Pierer überhaupt gewesen sei. Alles zum Thema Restrukturierung Sparprogramme, Verlagerungen, Bilanzsanierung: Kaum ein Unternehmen kommt über die Jahre ohne eine Restrukturierung aus. Für Sanierungsberater ist das ein gutes Geschäft. Mehr lesen Ein weiteres Beispiel ist Benteler aus dem österreichischen Salzburg. Der Zulieferer einigte sich 2020 auf eine Sanierung mit den Banken. „Benteler profitierte von der gestiegenen Nachfrage nach Stahlprodukten während der frühen Phase des Ukraine-Konflikts. Allerdings gibt es weiterhin tieferliegende Probleme, die die langfristige Stabilität des Unternehmens in Frage stellen“, so ein Branchenkenner. Gemessen an der Ebit-Marge gibt es allerdings andere Kandidaten, die schlechter als Benteler dastehen. Im vergangenen Jahr nahm Benteler im Automotive-Bereich 7,3 Milliarden Euro Umsatz ein, die Ebit-Marge lag bei 3,4 Prozent. Ausblick für die Autozulieferer ist düster Die gesamte Automobilbranche durchläuft eine langanhaltende Phase der Restrukturierung. Viele Branchenbeobachter glauben, dass diese Krise unvermeidlich war, da der Wirtschaftszweig nur langsam auf den Aufstieg der Elektromobilität reagierte und sein Fokus stark auf bestimmten Wachstumsmärkten, insbesondere China, lag. Auch die Experten Arno Fuchs und Kai Frömert von der Finanzierungsberatung FCF Fox Corporate Finance blicken sorgenvoll in die Zukunft. Fuchs meint, dass derzeit von den Analysten ein noch zu positives Bild suggeriert wird. „Offiziell präsentiert sich die Profitabilität und Verschuldungssituation der börsennotierten Automobilzulieferer derzeit stabil.“ Auch die Analystenschätzungen für das zweite Halbjahr 2024 und 2025 würden ähnlich aussehen. „Gerade angesichts der rückgängigen europäischen und chinesischen Absatzzahlen – zwei der drei größten Märkte – sind die Einschätzungen viel zu optimistisch.“ Er erwartet, dass die meisten Unternehmen in diesem und auch noch im nächsten Jahr ihre Prognosen mehrmals nach unten korrigieren werden. Jedoch reagieren die ersten Ratingagenturen bereits. Moody’s prüft etwa, das Rating des Zulieferers Hella von Baa3 herunterzustufen. Hella, das unter der Dachmarke Forvia agiert, würde damit aus dem Investmentgrade fallen. Daneben geht Kai Frömert von FCF davon aus, dass die Verschuldungsgrade der Zulieferer weiter steigen. „Ab einer nachhaltigen Nettoverschuldungsquote von 4x Ebitda landet man bei den Banken schnell im Restrukturierungsbereich.“ Frömert erwartet, dass die Banken durch strenger ausgelegte Regularien viel schneller gezwungen sein werden, kritischer zu prüfen und schneller zu handeln. Frühzeitige Refinanzierung sei enorm wichtig: „Besser jetzt refinanzieren, zu einem Zeitpunkt, da der letzte Jahresabschluss beziehungsweise die Halbjahreszahlen noch gute Zahlen aufweisen.“ Er geht davon aus, dass die Branche den Tiefpunkt noch nicht erreicht hat. Keine Frage, auf die Automobilzulieferer kommen harte Zeiten zu. Strukturanpassungen in Fertigung und Entwicklung werden die Agenda in den nächsten Jahren prägen. Perspektivisch wird jedoch auch das nicht reichen. Die Unternehmen sind gefordert, neue Zusammenarbeitsmodelle mit ihren OEM-Kunden zu definieren und sich für andere Industrien zu öffnen. Während einige Unternehmen gestärkt aus dieser Krisen-Phase hervorgehen könnten, wird es wahrscheinlich andere geben, die den Übergang nicht überleben.

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