Oliver Seidl: „Arbeiten in vielen Bereichen wie ein börsennotiertes Unternehmen“

Herr Seidl, die Bahn hat 2020 einen großen Verlust eingefahren, DB Schenker steht jedoch besser da denn je. Wie lief das vergangene Jahr im Detail? Wir konnten das Ergebnis um 32 Prozent auf 711 Millionen Euro steigern, der Umsatz kletterte gegenüber dem Vorjahr von 17,1 auf 17,7 Milliarden Euro. Für uns ist es das vierte Rekordergebnis in Folge. Speziell die Luftfracht hat 2020 gut abgeschnitten. Das lag einerseits daran, dass in Corona-Zeiten weniger Frachtgut mit Passagierflügen transportiert werden konnte und wir andererseits mit unserem exzellenten Netzwerk und Kapazitätsmanagement punkten konnten. Aber generell haben alle Business Units im vergangenen Jahr große Leistungen erbracht. Insgesamt ist es uns gelungen, dass unsere Kunden uns auch in Corona-Zeiten als verlässlichen Partner wahrnehmen. Wie haben Sie bei Schenker auf Corona reagiert? Wir sind bei den Ausgaben komplett auf die Bremse getreten und haben alle Kosten reduziert, die nicht unmittelbar kunden- oder unternehmensrelevant waren. Wir haben dann schnell mit einem Kompetenzteam verschiedene Covid-19-Szenarien entwickelt. Die große Frage war: Wie lange dauert der Lockdown? Unsere Planungen sind von Lockerung zu Lockerung besser geworden. Speziell im Liquiditätsmanagement haben wir einen Quantensprung gemacht. Waren wegen der Pandemie spezielle Finanzmaßnahmen nötig? Wurden die Liquiditätsplanung, das Cash Management oder das Controlling an die neue Situation angepasst? Ganz konkret haben wir den Bottom-up Forecast gestoppt und durch Top-down-Ansätze von qualifizierten Expertenkreisen mit einer sehr hohen Treffgenauigkeit ersetzt. Darüber hinaus wurden die Abschlüsse praktisch ausnahmslos „remote“ durchgeführt, und das reibungslos. Es war wirklich ein Genuss, gerade in solchen Krisensituationen die volle Leistungsfähigkeit des Unternehmens erleben zu dürfen. Ferner haben wir ein Liquiditätsmanagement-Tool implementiert, das zur Bewertung und Vorhersage der Cash-Positionen eingerichtet wurde. Sehen Sie sich vor allem als Kostenmanager? Die Kosten im Blick zu behalten ist ein wichtiger Teil des CFO-Handwerks. Ich bezeichne mich aber lieber als den Navigator des Unternehmens. Der Kern unserer Strategie im Finanzbereich ist es, tagesaktuelle Daten für die Steuerung zu liefern – bis tief hinein in die Gewinn- und Verlustrechnung. „Wir haben die Abschlüsse praktisch ausnahmslos remote durchgeführt.“ Sie haben vor drei Jahren das Programm „New Steering Concept“ ins Leben gerufen. Es sollte den bis dahin recht heterogenen Finanzbereich von Schenker harmonisieren. Funktioniert das? Ja, wir haben das Programm Schritt für Schritt umgesetzt. Im Zentrum stehen dabei Strategie, Strukturen und Prozesse. Durch unser „New Steering Concept“ haben wir die Transparenz der Zahlen deutlich erhöht: Wie sind die Margen in operativen Bereichen? Wo laufen Kosten aus dem Ruder? Dazu liegen jetzt immer aktuelle Informationen vor. Auch die Verantwortung für die Kosten ist transparenter geworden. Wir haben Unklarheiten reduziert und nutzen jetzt eine stringente Kostensteuerung im Konzern. Oliver Seidl hat Aufstellung im CFO-Bereich verändert Gleichzeitig haben Sie vor drei Jahren unter dem Motto „Onefinance“ auch die Aufstellung im CFO-Bereich verändert, direkte Berichtslinien reduziert und umorganisiert. Hat sich das bewährt? Auf jeden Fall. Ich habe acht direkte Berichtslinien. Dabei handelt sich im Kern um globale Funktionen wie Controlling, Accounting und Finance. Hinzu kommen die CFOs der vier großen Regionen – Americas, Mittlerer Osten/Afrika, Asien und Europa. Dieses „Onefinance Board“ haben wir zuletzt noch um den wichtigen Bereich Prozesse und Stammdatenmanagement erweitert. Warum räumen Sie ausgerechnet dem Datenbereich im Finanzwesen eine so eine hohe Bedeutung ein? DB Schenker ist im Laufe seiner Geschichte dezentral gewachsen. Dadurch hatten wir eine heterogene Daten- und Systemstruktur, die wir zusammenführen müssen. Deshalb war es auch so wichtig, den Finanzbereich unter dem Motto „Onefinance“ als eine Einheit aufzusetzen. DB Schenker stellt auf SAP S/4 Hana um Was trennt Sie noch vom selbst ausgerufenen Ziel der „Financial Excellence“? Der „Digital Boardroom“ ist das Zielbild unseres Steuerungskonzepts. Die Finanzprozesse sind inzwischen zwar harmonisiert, sie müssen aber noch stärker automatisiert werden. Ein Beispiel: Wir haben heute 64 unterschiedliche SAP-Mandanten im Konzern. Um damit effizienter zu arbeiten, haben wir einen globalen Datenpool aufgebaut. Bereits heute können die Regionen Mittlerer Osten/Afrika und Americas daraus ihre Monatsberichterstattung automatisiert erstellen. Wir haben dadurch die Abschlussdaten jetzt nach dem fünften statt dem achten Arbeitstag eines Monats. Manuelle Tätigkeiten haben wir nahezu eliminiert. „Der Digital Boardroom ist das Zielbild unseres Steuerungskonzepts.“ Welche Schritte wollen Sie als Nächstes angehen? Der Roll-out dieser Automatisierung steht noch in Asien und Europa an und soll bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Der Prozess basiert auf der S/4-Hana-Technologie und zahlt schon auf die spätere Umstellung ein. SAP S/4 Hana wird dann mittelfristig kommen. Wir setzen zurzeit erste Pilotprojekte wie einen weltweiten Workflow für alle Eingangsrechnungen um. Zudem ist ein globales Reisemanagement-Tool in der Entwicklung. Darüber hinaus sind weitere Anwendungen in der Roll-out-Phase. Verkauft die Bahn DB Schenker? Der Erfolg von Schenker weckt aber auch Begehrlichkeiten. Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen oder auch die FDP fordern in ihren Wahlprogrammen offen einen Verkauf. Dann könne sich die Bahn auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und erhielte noch Milliarden aus dem Veräußerungsgewinn. Was bedeutet die Diskussion für Ihre Arbeit? Das Thema ist nicht neu. Schon als ich 2016 als CFO verpflichtet wurde, sollte Schenker an die Börse gebracht werden. Bevor ich antrat, wurde das Thema wieder ad acta gelegt. Wir haben selbst auf einen möglichen Verkauf überhaupt keinen Einfluss. Das ist allein Entscheidung der Deutschen Bahn und ihres Aufsichtsrats. Unabhängig davon arbeiten wir inzwischen in vielen Bereichen wie ein börsennotiertes Unternehmen. Das hilft uns gerade mit Blick auf Prognosefähigkeit und verlässliche Daten. Wie verzahnt ist die Schenker-Organisation heute mit der Bahn? Es gibt einige Funktionen, die wir über die Bahn nutzen. Eine wesentliche davon ist der Treasury-Bereich, über den externe Finanzierungen und die Sicherungsgeschäfte laufen. Bei einem möglichen Verkauf kommt sofort der Vergleich mit anderen Unternehmen auf. Ist Kühne + Nagel weiterhin die Benchmark für Schenker? Auch die Schweizer profitierten zuletzt von der Nachfrage nach Luftfracht und konnten das Ergebnis steigern. Wir spiegeln uns an einer Peer Group aus vier bis fünf Unternehmen mit vergleichbarer Größe. Kühne + Nagel gehört natürlich dazu. Im Vergleich mit dieser Peer Group haben wir uns hervorragend entwickelt. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass daneben neue Wettbewerber entstehen, eine sozusagen „neue Peer Group“. FINANCE-Köpfe Oliver Seidl, Schenker AG Nach seinem Studium steigt Seidl 1990 ins Rechnungswesen von Mercedes-Benz ein. Nach verschiedenen Stationen im Controlling und im Rechnungswesen wird er 1997 zum „Head of Corporate Controlling PKW“ ernannt. 2001wechselt er zum Holzwerkstoffhersteller Pfleiderer, wo er bis 2004 als Generalbevollmächtigter den Bereich Strategie/M&A leitet. 2004 geht er zum Anlagenbauer Dürr und wird dort Leiter Corporate Controlling, Accounting & Tax sowie CFO der Geschäftseinheit Factory Assembly Systems. Anschließend wechselt Seidl 2006 zum Elektronikhersteller Loewe, wo er bis 2013 verschiedene Führungspositionen inne hat. Von 2006 bis 2010 verantwortet er als CFO die Ressorts Finanzen, Controlling, Personalwesen, IT, Interne Revision sowie Investor Relations. 2010 wird er zum CEO ernannt und übernimmt zusätzlich die Bereiche Marketing, Vertrieb, Customer Service, Qualität und PR. Seit April 2013 ist Seidl CFO und CIO der Media-Saturn Holding. Im Juli 2016 kündigt Seidl seinen Wechsel zur Bahn-Logistiktochter Schenker an. zum Profil Neue Wettbewerber attackieren DB Schenker Sie sprechen vermutlich auch von Amazon, das zu den Top-Frachtflugzeugbetreibern gehört. Ja, unter anderem. Es gibt auch eine Kooperation zwischen dem Internetkonzern Alibaba und der Reederei Maersk. Daneben entstehen aber auch Start-ups, die mit neuen Angeboten in den Markt drängen. Auch darauf müssen wir uns einstellen. „Über unsere digitalen Plattformen wurden bis heute schon rund 4,2 Millionen Buchungen abgewickelt.“ Wie genau? Wir digitalisieren unser Geschäft zunehmend. Die wichtigste Prämisse ist: Zwischen uns und den Kunden darf niemand kommen. Dafür haben wir beispielsweise die Plattform „Connect 4.0“ eingeführt. Es handelt sich dabei um ein Online-Buchungs-Tool, das immer mehr Kunden nutzen. Insgesamt wurden über unsere digitalen Plattformen bis heute schon rund 4,2 Millionen Buchungen abgewickelt. Wir investieren zudem massiv in Robotic Process Automation (RPA), um wiederkehrende manuelle Prozesse effizienter zu bearbeiten. Ihre Wettbewerber sind zum Teil massiv über Zukäufe gewachsen. Spielt M&A in der Schenker-Strategie derzeit eine Rolle? Wir müssen in der Zukunft organisch wachsen, aber wir müssen natürlich auch ständig global Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Unternehmens im Blick zu behalten. Beteiligt hat sich DB Schenker zuletzt aber an dem Start-up Volocopter. Kann Ihnen die Drohne helfen? Ja, Drohnen sind ein spannendes Thema für uns. Sie eignen sich speziell für Gebiete, die man schlecht anfahren kann. Wir können bei Volocopter unser Logistikfachwissen einbringen. Und wir wollen die Lastendrohne Volodrone, die Lasten von bis zu 200 Kilogramm über 40 Kilometer transportieren kann, in unsere Lieferkette der Zukunft integrieren, um schnelle, emissionsneutrale Lieferungen für unsere Kunden zu ermöglichen. Zum Schluss noch eine Frage zum CFO-Alltag: Früher pendelten Sie zwischen unterschiedlichen Standorten weltweit. Wie ist das heute? Für mich hat sich das Arbeitsleben massiv verändert. Ich reise deutlich weniger, aber das wird akzeptiert. Dadurch treffe ich leider viel weniger Kollegen und Kunden persönlich. Virtuell kann man aber mit deutlich mehr Personen sprechen, auch die Meetings sind enger getaktet. Wir haben im Finanzteam gemerkt, dass Führung anders stattfinden muss und zum Beispiel eine sogenannte bewegte Pause eingeführt: Drei Mal wöchentlich treffen wir uns virtuell mit einem Trainer. Das tut nicht nur körperlich gut, sondern stärkt auch den Teamspirit und die Psyche. markus.dentz[at]finance-magazin.de Info DB Schenker Der Logistiker ist seit 2002 in Besitz der Deutschen Bahn. Im vergangenen Geschäftsjahr setzte der Konzern über 17,7 Milliarden Euro um. Schenker hat sich auf See-, Luft und Landfracht spezialisiert. Außerdem sind die Essener in der Kontraktlogistik aktiv. Immer wieder wird über einen Verkauf von Schenker spekuliert, weil die Bahn dringend Geld braucht.

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