FINANCE: Was sind die aktuellen Herausforderungen für das Controlling in der Luftfahrt?
Karl-Heinz Steinke: Zurzeit beschäftigen uns die zunehmenden Ergebnisschwankungen des Geschäftes. Das Umfeld wird immer volatiler. In unserem Fall kommt hinzu, dass Risikoeinflüsse aus politischen Unruhen oder Naturkatastrophen in der letzten Zeit in viel kürzeren Abständen aufgetreten sind. Das hat zu verstärkten Ergebnisschwankungen geführt, so dass auch unsere Planungsabweichungen deutlich zugenommen haben.
FINANCE: Mit welchem Ergebnis?
Karl-Heinz Steinke: Es ist völlig klar, dass wir diese typischen Ereignisse, die sich auf unser Ergebnis auswirken, nicht vorhersehen können. Auf kurze Sicht kommt es daher darauf an, schnell reagieren zu können. Lufthansa verfügt mittlerweile über differenzierte Reaktionspläne für die unterschiedlichen Ereignisse wie z.B. Luftraumsperrungen, politische Unruhen oder Streiks. Wenn so ein Ereignis eintritt, ist es erst einmal wichtig, sich um unsere Kunden zu kümmern und, soweit möglich, für einen stabilen Flugplan zu sorgen. Dies trägt dazu bei, die Zusatzkosten so gering wie möglich zu halten – das hat nichts mit Planung zu tun. Auf lange Sicht wollen wir aber diese und alle weiteren relevanten Risiken hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf das wirtschaftliche Umfeld und das Unternehmen stärker berücksichtigen. Deshalb wollen wir im operativen Planungszeitraum von drei Jahren eine Bandbreite von Ergebnissen abbilden und damit den wahrscheinlichsten Pfad ausfindig machen. Für uns ist mit der Zeitspanne von drei Jahren der Mittelfristhorizont entscheidend. Genau da brauchen wir Klarheit, auf welche Schwankungen wir uns einstellen müssen.
FINANCE: Wie gehen Sie genau vor?
Karl-Heinz Steinke: Das Ziel ist, den Einfluss der wesentlichen Risiken auf das Unternehmensergebnis zu quantifizieren und mittelfristig eine Schwankungsbreite anzugeben, die der Realität entspricht. Die Grundlagen liefern natürlich vor allem Vergangenheitswerte, aber auch das Wissen der Planer zu ihren jeweiligen Märkten und Einflussfaktoren spielt eine große Rolle. Das betrifft sowohl interne als auch externe Faktoren wie die Preisbildung oder die Treibstoffpreise. In unserem Modell wollen wir die Wirkungsweise dieser Faktoren abbilden, nicht nur logisch, sondern auch zahlenmäßig. Wenn man die Verteilungsfunktion eines Einzelfaktors kennt, kann man auf dieser Grundlage mit einer Simulation die Gesamtverteilung ausrechnen. Es geht darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie risikoreich die unterschiedlichen Segmente eines Geschäftsfeldes sind und mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Ergebnisse zustande kommen. Daraus wollen wir ableiten, wie man die effektivste Risikovorsorge für die einzelnen Segmente und den Konzern treffen kann.
FINANCE: Wie weit sind Sie in der Umsetzung?
Karl-Heinz Steinke: Ende September gab es den Kick-off. Jetzt werden gemeinsam mit allen Planern die Faktoren, einschließlich ihrer Verteilung, die sie sonst implizit zugrunde legen, in das Modell übertragen. Natürlich müssen wir die Ergebnisse des Modells auch auf ihre Plausibilität überprüfen. Letztendlich hoffen wir aber, die Zusammenhänge besser verstehen und einfacher darstellen zu können, als es heute mit einer konventionellen Planung möglich ist.
FINANCE: Spielt die konventionelle Planung dann bald gar keine Rolle mehr?
Karl-Heinz Steinke: Nein, ganz und gar nicht. Wir wollen die bestehende Planung nicht durch ein Rechenmodell ersetzen. Die Ausgangsdaten ermitteln wir nach wie vor konventionell. Es gab bisher ohnehin auch schon eine Planung in Bandbreiten, nur auf eine sehr vereinfachte Art und Weise. Wir haben zum Beispiel im Nachhinein die durchschnittlichen Margenschwankungen innerhalb der vergangenen Jahre mit unseren zuvor erstellten Plänen verglichen. An diesen Werten kann man zumindest versuchen abzuschätzen, ob die Planungen eher optimistisch oder pessimistisch waren.
FINANCE: Ist die ganze Situation nicht zu komplex, um sie auch nur in Ansätzen modellieren zu können?
Karl-Heinz Steinke: Das glaube ich nicht. Ende Januar 2012 werden wir die Ergebnisse des Projekts haben. Dazu machen wir ein Backtesting, versuchen also nachzuweisen, dass wir unsere Ergebnisse der vergangenen Jahre in den Bandbreiten schon erfasst hätten, wenn wir diese Funktionen zu den entsprechenden Zeitpunkten zugrunde gelegt hätten. Sehr starke Einschläge wie die letzte Finanzkrise trifft man vielleicht nicht, aber die Tendenz muss stimmen. Sollte das nicht funktionieren, würde es uns zumindest zeigen, dass uns noch ein Stück Transparenz über die Wirkung der Risiken auf unser Geschäft fehlt. Dann müssen wir an diesem Punkt weiterarbeiten.