Warum Meyer Burger jetzt auf die USA setzt

Normalerweise überlässt er seinem CEO Gunter Erfurt die Bühne. Auf der 19. Structured FINANCE aber steht Finanzvorstand Markus Nikles im Herbst 2023 selbst am Mikrofon und berichtet über das Unternehmen, dessen Finanzgeschicke er verantwortet. Dort stellt der feingliedrige Mann mit dem zurückhaltenden Lächeln dem Fachpublikum jene Frage, die knapp drei Monate später die deutsche Solarbranche aufwühlen wird: „Würden Sie für ein hier produziertes Solarmodul mehr bezahlen als für ein Modul aus China?“ Drei von vier Teilnehmern beantworten die Frage mit Ja. Meyer Burger produziert in Ostdeutschland Meyer Burger, dessen CFO Nikles ist, produziert Solarmodule und Solarzellen. In Hohenstein-Ernstthal (Sachsen) werden die Systeme entwickelt, in Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) entstehen die Solarzellen und in Freiberg (Sachsen) die Module. Der Hauptsitz von Meyer Burger aber befindet sich südlich von Bern im Schweizer Örtchen Thun am Thuner See, den die weißen Alpengipfel umrahmen. Weit weniger idyllisch sieht die Lage in Freiberg aus, wo laut Meyer Burger die größte in Betrieb befindliche Solarmodulproduktion Europas steht: Im Februar wurde publik, dass Meyer Burger das dortige Werk schließen wird – es sei denn die Politik entscheide sich, unterstützend einzugreifen. Auch die Existenz des Werks in Bitterfeld ist bedroht. Deutsche Fabriken von Meyer Burger stehen vor dem Aus Der Grund für die Schließungen: Die Zahlungsbereitschaft der tatsächlichen Marktteilnehmer ist nicht so hoch wie die der SF-Teilnehmer. Meyer Burger rechnet für das Geschäftsjahr 2023 mit einem operativen Verlust vor Abschreibungen (Ebitda) von mindestens 126 Millionen Schweizer Franken (umgerechnet rund 132 Millionen Euro), im Vorjahr lag der Verlust noch bei 35 Millionen Schweizer Franken. Die Ursache dafür liegt laut Meyer Burger im Ausland, genauer gesagt in China. Von dort stammt das Gros der in Deutschland verkauften Module. „Diese chinesischen Solarmodule werden zu Dumpingpreisen von bis zu 10 US-Cent verkauft; die dabei gemeldeten Produktionskosten betrugen etwa 20 US-Cent“, so CFO Nikles bei der Structured FINANCE. Seither ist der Preis weiter gefallen. Laut der Online-Handelsplattform PV Xchange haben sich die Preise Anfang 2024 im Vergleich zum Januar 2023 in etwa halbiert. In der deutschen Solarindustrie scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Vor über zehn Jahren rutschten zahlreiche Modulhersteller wie Solarworld in die Krise, weil sie unter Dumpingpreisen aus China litten. Das mittlerweile insolvente Solarworld produzierte ebenfalls in Freiberg. In den USA lockt der IRA Meyer Burger will dieses Schicksal vermeiden und sucht nach Alternativen. Die USA etwa locken mit dem Inflation Reduction Act (IRA) und festen Abnahmeverträgen. Der Solarkonzern schätzt die zukünftigen US-Steuergutschriften durch den IRA auf 1,4 Milliarden US-Dollar. Eine stattliche Summe. „Gemeinsam mit Partnern könnten wir unsere Position dort erheblich verbessern, ohne eigene größere Investitionen tätigen zu müssen“, sagt daher Meyer-Burger-Chef Erfurt. Mit dem Know-how aus Deutschland wollen die Schweizer nun zwei Werke in den USA betreiben, eine Modulfabrik in Arizona und eine Zellproduktion in Colorado. Aber: Um die Fabriken in den USA fertigzustellen und im Jahr 2025 wie geplant einen positiven Cashflow zu generieren, benötigt Meyer Burger Finanzmittel in Höhe von 450 Millionen Schweizer Franken. Gesucht: 450 Millionen Schweizer Franken Meyer Burger und CFO Nikles kommen bei dem Vorhaben voran. Die deutsche Bundesregierung hat bereits eine Exportkreditgarantie für einen Bankkredit von bis zu 95 Millionen US-Dollar bei einer Laufzeit von zehn Jahren genehmigt. Darüber hinaus führt Meyer Burger nach eigenen Angaben Gespräche mit einer Bank für einen Advanced Manufacturing Production Tax Credit in Höhe von bis zu 300 Millionen US-Dollar und einer Laufzeit von bis zu sechs Jahren. Die ersten Gelder könnten bereits im Frühsommer 2024 fließen. Zudem befinden sich die Schweizer im Antragsverfahren für ein vom US-Energieministerium garantiertes Darlehen in Höhe von 200 Millionen bis 250 Millionen US-Dollar, das die Federal Financing Bank gewähren würde. Meyer Burger sammelt Geld für neue Fabriken in den USA Finanzchef Nikles sucht aber auch auf anderen Wegen Kapital. Um dieses aufzutreiben, haben die Schweizer zur außerordentlichen Generalversammlung im März eingeladen, auf der eine Bezugsrechtsemission genehmigt werden soll. Dadurch können Aktionäre zusätzliche Aktien von Meyer Burger zu einem reduzierten Preis erwerben. Mit dem Finanzmanöver wollen die Thuner einen Bruttoerlös von 200 Millionen bis 250 Millionen Schweizer Franken erzielen. Diesen Betrag will Meyer Burger in die beiden US-amerikanischen Werke investieren. Die Fabriken gelten als lukrativ: Die Schweizer rechnen damit, aus den US-Aktivitäten mittelfristig ein jährliches Ebitda von rund 250 Millionen Schweizer Franken zu generieren. Finanzinvestor Sentis Capital – mit einem Aktienanteil von knapp über 10 Prozent der größte Anteilseigner – hat bereits zugesagt, bis zu 50 Millionen Schweizer Franken in die Eigenkapitalfinanzierung investieren zu wollen. Jedoch weniger, um die deutschen Fabriken zu retten, sondern „um von einem sehr profitablen Geschäftsmodell in den Vereinigten Staaten zu profitieren“, wie es in einer Mitteilung heißt. Der Aktionär wollte bereits in der Vergangenheit bei der Strategie mitreden und hatte im Jahr 2019 etwa den Einstieg in die Solarzellenproduktion gefordert. Die Frage, was mit den bestehenden Finanzierungen für die deutschen Fabriken bei einem Rückzug aus Deutschland geschieht, beantworteten die Schweizer auf Nachfrage nicht. Info NZIA Der Net Zero Industry Act (NZIA) ist ein Gesetz der Europäischen Union (EU), das sogenannte Netto-Null-Technologien – wie die Solarenergie – fördern soll. Bis 2030 sollen 40 Prozent der für die gesteckten Klimaziele jährlich benötigten grünen Schlüsseltechnologien in der EU selbst hergestellt werden. Dafür können die EU-Länder bestimmte Projekte finanziell unterstützen oder Garantien bereitstellen. Das Bundesarbeitsministerium bezeichnet dieses Gesetz als „Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA)“. Kein fairer Wettbewerb in der Solarbranche? Meyer-Burger-CEO Erfurt betont, wie gern er eine Schließung der deutschen Werke vermeiden wolle. Er moniert aber, der Gesetzgeber solle gegen die „aktuellen Marktverzerrungen“ angehen und einen „fairen Wettbewerb“ herstellen. Gemeint sind dabei politische Maßnahmen wie der Net Zero Industry Act (NZIA) der Europäischen Union oder ein Resilienzbonus der Bundesregierung. Für Letztgenannten setzt sich vor allem der Bundesverband für Solarwirtschaft (BSW) ein. Meyer Burger sieht sich als Opfer schlechter Politik und hofft auf Beistand. Die angedrohte Werksschließung in Freiberg sei notwendig, weil „es noch keine Entscheidung über politische Unterstützungsmaßnahmen zur Behebung der aktuellen Marktverzerrungen durch Überangebot und Dumpingpreise bei Solarmodulen gibt“. Info Resilienzbonus Der Grundgedanke des Resilienzbonus besteht darin, dass Solarstrom höher vergütet wird, wenn die Module oder Zellen aus lokaler Produktion stammen. Laut Bundesverband für Solarwirtschaft könnte dieser Bonus zwischen 1 und 3,5 Cent pro Kilowattstunde liegen. Der Bonus ist ein Teil des von der Bundesregierung geplanten Solarpakets 1, dessen Beschluss mehrfach vertagt wurde. Gegenüber FINANCE teilte das Unternehmen auf Nachfrage mit, dass es noch Hoffnung für den Standort gebe. Erst „wenn es in der ersten Märzhälfte keine Entscheidung von der Politik zu Resilienzmaßnahmen zur Stärkung europäischer Photovoltaikhersteller gibt, wird der Produktionsstopp zu einer dauerhaften Schließung unseres Standortes Freiberg führen“. Meyer Burger scheint sein Heil nun tatsächlich in Übersee zu suchen. Das Solarzellenwerk in Bitterfeld-Wolfen dient dabei vorerst als Back-up. Die neue Modulfabrik in Arizona kann so zunächst mit den deutschen Zellen hochlaufen, bis die Zellfabrik in Colorado bereitsteht. Daniel Menzel, Chief Operating Officer des Konzerns, sagt klar: „All unsere Erfahrungen aus dem erfolgreichen Produktionshochlauf in Deutschland werden wir nun nutzen, um die Solarmodulproduktion in den USA so schnell wie möglich hochzufahren.“

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