Bye, Börse: Wie ein Delisting die Transformation vorantreibt

Immer mehr Unternehmen ziehen sich von der Börse zurück, um transformative Veränderungen effizienter umzusetzen. So auch kürzlich Anfang Juni: Das Online-Netzwerk New Work gab seinen Rückzug von der Börse bekannt. In diesem Zuge will der Mehrheitseigner Burda Digital den Betreiber der Karriereplattform „Xing“ komplett übernehmen und bietet den übrigen Eignern 66,25 Euro je New-Work-Aktie an. Das Delisting kommt nicht von ungefähr. Derzeit befindet sich New Work in der Transformation. Anfang des Jahres beschloss der Vorstand ein Investitionsprogramm sowie einen Konzernumbau. Geplant sind Investitionen in das Job-Netzwerk „Xing“ sowie in die Arbeitgeber-Bewertungsplattform „Kununu“. Besonders das Arbeitgeber-Bewertungsportal gilt als Ertragsperle von New Work, die abseits der Börse besser und womöglich eigenständig weiterentwickelt werden könnte. Für die Transformation wurde im Januar kommuniziert, dass die Organisationsstruktur umgebaut und Personal im „signifikanten dreistelligen Bereich“ abgebaut werden solle. Dieser Personalabbau ist nach Unternehmensangaben mittlerweile zum größten Teil vollzogen. Delisting setzt finanzielle Ressourcen frei Derartige Transformationsprozesse können gelistete Unternehmen unter enormen Druck setzen. Die Notwendigkeit, regelmäßige Quartalsergebnisse zu liefern, sowie die Restriktionen der Handelsplattform und die Schwankungen des Marktes können Unternehmen belasten – besonders in der Transformation. Zudem stehen börsennotierte Unternehmen unter dem ständigen Druck der Aktionäre, die nicht selten auf kurzfristige Gewinne fokussiert sind. Christoph H. Seibt ist Partner der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Foto: Freshfields Bruckhaus Deringer Eine Lösung: ein Delisting. Denn dieses kann die Transformation erheblich beschleunigen. Kosten im Zusammenhang mit Vorschriften und Berichterstattungspflichten entfallen und finanzielle Ressourcen werden freigesetzt. „Unternehmen können sich so besser auf langfristige, strategische Ziele konzentrieren und eine stabilere, von Kurzfristinterventionen unabhängigere Geschäftsführung gewährleisten“, weiß Christoph Seibt, Partner der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, der das Hamburger Unternehmen New Work beim Delisting berät. Der Rückzug von der Börse ermöglicht es Unternehmen, diese Belastungen zu reduzieren. Der Co-Leiter der weltweiten Praxisgruppe Public M&A bei Freshfields erklärt, dass Unternehmen durch den Börsenrückzug mehr Autonomie über ihre Geschäftsführung gewinnen und von den strengen Kapitalmarktregularien befreit sind. Bei börsennotierten Unternehmen haben Aktionäre und institutionelle Investoren oft erheblichen Einfluss auf die Unternehmensführung. Ein Delisting kann es dem Management und den Haupteigentümern daher ermöglichen, mehr Kontrolle über die Unternehmensentscheidungen zurückzugewinnen und eine einheitlichere Strategie zu verfolgen. „Dadurch kann die Transformation abseits der Börse effizienter gestaltet werden, ohne den Druck dauernder Quartalsberichte und Aktionärskommunikation“, so der Hamburger Anwalt. Auch Axel Springer transformiert sich abseits der Börse Damit gehen Burda und New Work einen Weg, den bereits einige andere Unternehmen gewagt haben. So transformiert sich Axel Springer etwa unter der Fahne eines Private-Equity-Investors. Der Finanzinvestor KKR hat das Medienhaus kurz nach seiner Übernahme ebenfalls von der Börse genommen, um das Geschäftsmodell des Unternehmens grundlegend zu überarbeiten. „Unternehmen können sich so besser auf langfristige, strategische Ziele konzentrieren.“ Christoph Seibt, Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer Die Beispiele sind ein Symptom einer grundlegenden Ursache: Deutsche Unternehmen stehen derzeit unter dem größten Transformationsdruck in Europa. Das ergab eine neue Studie der Boston Consulting Group. Gründe seien die steigenden Kosten – angetrieben durch Inflation, höhere Zinsen, schwankende Energiepreise und Unterbrechungen der Lieferkette. Laut dem BCG-Index für Transformations- und Sondersituationen steht etwa jedes fünfte europäische Unternehmen heute unter starkem Transformationsdruck. Freshfields-Anwalt Seibt geht daher davon aus, dass es aufgrund des starken Transformationsdrucks in Deutschland in den kommenden Jahren vermehrt zu Public-to-Private-Deals kommen wird. Delisting-Vereinbarung und Investment Agreement Ein Delisting sollte indes gut vorbereitet sein. Grundvoraussetzung ist ein Geldgeber, um das Delisting zu ermöglichen. Dieser muss das gesetzlich erforderte Aktionärsangebot abgeben. Bei diesem gibt der Mehrheitseigner den übrigen Aktieneignern ein Preisangebot je Aktie zur Übernahme ab. Mehrheitseigner kann etwa ein neuer Investor – etwa ein Private-Equity-Unternehmen wie bei Axel Springer – sein oder wie im Falle von New Work ein bestehender Aktionär, der die vorgesehene Transformation unterstützt. In letzterem Fall ist die Delisting-Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und dem Mehrheitseigner wichtig. Dort ist verankert, auf welche Transformationsaspekte sich die Parteien geeinigt haben. So wird sichergestellt, dass der Großaktionär und das Unternehmen eine Sprache sprechen. Im Falle eines Investoreneintritts, wie es etwa dem Private-Equity-Unternehmen KKR bei Springer getan hat, geht dem Delisting ein Übernahmeangebot voraus. Sobald der Investor die Kontrolle übernimmt, kann dieser über das Delisting entscheiden. Hierbei ist ein Investment Agreement der Delisting-Vereinbarung vorgelagert. Die Vertragswerke sind nur ein Teil des Delisting-Prozesses. „Darüber hinaus ist es wichtig, auch mit den übrigen Stakeholdern zielgruppengerecht in einen Dialog zu treten“, so Seibt, der etwa GK Software, Aareal Bank, Osram Licht oder Stada beim Delisting begleitete. Das umfasse eine proaktive Ansprache und möglicherweise vertragliche Absprachen, um mögliche Nachteile vor allem für Anleger und Geschäftspartner aus dem Delisting zu minimieren. Freshfields-Anwalt: „Der CFO ist der ‚Vertrauensanker‘“ Der CFO gilt hierbei als einer der Schlüsselvorstände, meint Seibt. „Er hat – gemeinsam mit dem CEO – die Transformationsstrategie und die wesentlichen Meilensteine mit auszuarbeiten, diese dann zunächst dem Aufsichtsrat und den Führungskräften zu erläutern und auf dieser Basis weiterzuentwickeln sowie schließlich den relevanten Stakeholdern zu erklären“, so der Freshfields-Partner. Häufig ist der CFO ohnehin für Investor Relations und die Kapitalmarktkommunikation verantwortlich. „Der CFO soll transparent und nachprüfbar die Vorteile des Delisting für die Transformation erläutern.“ Christoph Seibt, Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer „Der CFO ist der ‚Vertrauensanker‘ der Aktionäre, gerade auch bei institutionellen Fonds, die nur in börsennotierte Wertpapiere investieren dürfen. Daher besteht gerade für den CFO bei der Kommunikation des Delisting ein persönliches Reputationsrisiko“, erinnert Seibt. Das gelte insbesondere bei Erwerbspreisen in Delisting-Angeboten des Großaktionärs, die deutlich unterhalb der vom Vorstand kommunizierten Wertzielen liegen, also nach eigener Einschätzung „unangemessen niedrig“ sind. Er solle daher transparent und nachprüfbar die Vorteile des Delisting für den Transformationsprozess erläutern: die Möglichkeit, sich auf die Transformation-Kommunikation zu Geschäftspartnern und Mitarbeiter zu konzentrieren, ohne dass diese Kommunikation durch Reaktionen des Kapitalmarktes auf Ad-hoc-Meldungen, Quartalsberichte und Analysten Calls gestört werde.

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