Wie der Ukraine-Krieg RRPS zur Transformation gedrängt hat

Lange Zeit war die Welt bei Rolls-Royce Power Systems (RRPS) in Friedrichshafen recht ruhig. Der Hersteller von Panzergetrieben und Notstromaggregaten hatte eine solide Auftragslage, fand in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch kaum Beachtung. Mit der Arbeit im stillen Kämmerlein war es spätestens im März 2022 kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine schlagartig vorbei. Denn seither steigt die Nachfrage nach den Produkten von RRPS. Angesichts des boomenden Geschäfts musste Andreas Strecker, der im Dezember 2022 in den RRPS-Vorstand eintrat, seine 300-köpfige Finanzabteilung grundlegend umstrukturieren. Weiteres Personal war keine Option, berichtet der CFO rückblickend gegenüber FINANCE. Daher musste er schauen, welche Themen Zeitfresser waren, aber nicht den notwendigen Mehrwert brachten. „Wir haben viele Berichte in Frage gestellt. Manche braucht man nicht monatlich, da haben wir Rhythmen umgestellt, um Mitarbeiter zu entlasten und anderen Themen wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen“, so Strecker. „Wir haben einige ‚geglaubte Wahrheiten‘ widerlegt.“ Andres Strecker, CFO von RRPS Eine gesunde Portion Pragmatismus gehörte zu dieser Zeit dazu, wie der CFO des Motorenherstellers sagt: „Man kann auch mit 80 Prozent Wissen sehr gute Entscheidungen treffen.“ Kern der Umstrukturierung seiner Abteilung sei die Übergabe von Verantwortung an alle gewesen. „Wir haben einige ‚geglaubte Wahrheiten‘ widerlegt und eine ‚Tiefenbohrung‘ in allen Segmenten und bei allen Kunden durchgeführt. Dabei kamen wichtige Erkenntnisse heraus, wo wir an den Preisschrauben drehen und Verträge nachverhandeln müssen“, berichtet der Finanzvorstand. RRPS beliefert alle Nato-Verbündeten Auslöser für die Sonderkonjunktur für RRPS-Produkte war die im Februar 2022 getroffene Entscheidung der Bundesregierung über ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr, kurz nach dem Einfall Russlands in die Ukraine. Das war der Startschuss für MTU, die Vertriebsmarke hinter Rolls-Royce Power Systems. RRPS stellt Motoren für Panzermodelle wie „Puma“ und „Leopard 2“ sowie Notstromanlagen her. Neben dem Militär beliefert das Unternehmen auch Kunden aus dem Yacht- und Bergbau und stellt Güterlokomotiven her. RRPS hat aber auch große Batteriespeicher oder Gasmotoren im Angebot. Besonders gut, heißt es, hätten sich 2023 Notstromsysteme für Rechenzentren verkauft. Info Seit 1909 stellt RRPS Antriebe für Schiffe, Schienenfahrzeuge, schwere Landfahrzeuge und Industriemaschinen sowie Energieanlagen auf der Basis von Dieselmotoren, Gasmotoren, Gasturbinen und Stromaggregate her. Das Unternehmen beschäftigt weltweit 10.500 Mitarbeitende, 6.000 davon in Friedrichshafen am Bodensee. Diese Geschäftsfelder waren dem erfahrenen Finanzmanager Andreas Strecker nicht fern, als er zu RRPS kam. Doch bei RRPS stand er bei seinem Amtsantritt gemeinsam mit dem Vorstand vor allem vor der Herausforderung, einen Umgang mit den Behördenkunden zu finden, wie er im Gespräch mit FINANCE erzählt. Denn der Konzern erhält zahlreiche Aufträge aus der öffentlichen Hand. „Das Behördengeschäft tickt anders“, erklärt Strecker. Die Abläufe seien insgesamt langfristiger, die Vorbereitung aller benötigten Unterlagen sei massiv. Und das habe seinen Grund: „Wir beliefern alle Nato-Verbündeten“, da habe jedes Land seine eigenen Themen, die sie bei RRPS prüfen müssten, so Strecker. Entsprechend komplex sei das Geschäft. FINANCE Köpfe Dr. Andreas Strecker Rolls-Royce Power Systems Mehr lesen RRPS fährt 2023 Rekordgewinne ein Die Reputation der Rüstungsindustrie habe sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine gewandelt, hat Strecker beobachtet. Immer wieder würden Menschen auf ihn und seine Vorstandskollegen zukommen, die ihm sagten, wie wichtig die Arbeit von RRPS für die Sicherung der wehrhaften Demokratie sei. In diesen Momenten werde Strecker die emotionale Komponente seiner Arbeit sehr präsent, wie er sagt. Die Zahlen sprechen für sich: Eigenen Angaben zufolge erzielte RRPS im Jahr 2023 mit einem Umsatz von 4,6 Milliarden Euro sein historisch bestes Umsatzergebnis. Das entspricht einem Plus von 16 Prozent gegenüber 2022. Was den CFO aber besonders freut: Das Umsatzwachstum ging nicht auf Kosten der Profitabilität. Der um Zinsen und Steuern bereinige Betriebsgewinn (Ebit) lag laut Unternehmen bei 474 Millionen Euro – ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von satten 44 Prozent. Und das Geschäft brummt: Die Bundeswehr hat Medienberichten zufolge Motoren für 50 Panzer des Modells „Puma“ und 18 Motoren für den Kampfpanzer „Leopard“ bestellt. Finanzer bekommen durch Strecker eine Doppelfunktion Unerwartetes Wachstum bringt häufig Herausforderungen mit sich. Oft sind die Strukturen von Unternehmen nicht auf einen rasant steigenden Umsatz vorbereitet. Für die Produktion, aber auch Überholung der Getriebe benötigt RRPS neues Personal, Maschinen und Werkzeuge, um die gefüllten Auftragsbücher abzuarbeiten. Bei jeglicher Investition ist Strecker mit seiner Finanzabteilung gefragt. Hier hilft, dass der CFO auch den Einkauf verantwortet. „Das ermöglicht schnellere Entscheidungsfindungen“, wie er sagt. „So konnte das Unternehmen vieles schnell auf die Schienen setzen.“ „Meine Leute sollen aktiv am Geschäft mitwirken und nicht im stillen Kämmerlein sitzen.“ Andreas Strecker, CFO von RRPS RRPS profitiert darüber hinaus von einem Konzept, das Strecker frühzeitig in die Finanzabteilung gebracht hat: Alle Finanzer werden zu sogenannten Businesspartnern entwickelt. Das bedeutet: Der Vertrieb wird in der Finanzabteilung gespiegelt. Kundenverhandlungen werden gemeinsam vorbereitet und fallweise geführt. Das hat einen guten Grund, erklärt Strecker: „Wenn man selbst den Druck vor Kunden erlebt, ist man anders betroffen und trifft in seiner täglichen Arbeit andere Entscheidungen. Meine Leute sollen aktiv am Geschäft mitwirken und nicht im stillen Kämmerlein sitzen.“ Das habe seinen Finanzern einen realistischen Blick für notwendige Veränderungen ermöglicht, die mit dem boomenden Geschäft einhergingen: So habe die Finanzabteilung unter anderem Kosten und Umlagen noch verursachungsgerechter für manche Bereiche neu zugeordnet, um eine bessere Transparenz herzustellen. Rolls-Royce-Mitarbeiter in der Montage der MTU-Baureihe 199, ein Hybrid-Antrieb etwa für militärische Landfahrzeuge, in Friedrichshafen. Foto: RRPS Der Finanzbereich habe zudem gemeinsam mit dem Vertrieb und dem Einkauf seine allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Blick auf Anzahlungen und Zahlungsziele tiefgreifend überarbeitet. Dadurch sei die Finanzabteilung zu einem „Enabler der Transformation“ geworden, sagt Strecker. „Durch diese Maßnahmen haben wir unser Working Capital deutlich verbessert und deutlich mehr Handlungsspielraum bekommen.“ Strecker: „Wir müssen kein externes Kapital aufnehmen“ Der Finanzvorstand konnte durch das freigeschaufelte Kapital im Juni 2023 ein neues Montagewerk für 30 Millionen Euro errichten. Im Januar 2024 erweiterte RRPS ein Überholzentrum in den USA für einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag und gab im April 2024 bekannt, Gasmotorenkraftwerke zu bauen, um mit der Energiewende Schritt zu halten. Und das alles aus eigener Tasche. „Wir haben uns die Mittel erarbeitet, um diese Investitionen aus dem eigenen Cashflow zu stemmen. Wir müssen kein externes Kapital aufnehmen“, so Strecker. Das ist insofern praktisch, als Rüstungskonzerne aufgrund von ESG-Vorgaben bei vielen Banken als „non-bankable“ gelten und daher andere Wege finden müssen, um finanzielle Mittel freizusetzen. Info Der größte Motor von RRPS, der 20V8000, hat mit 10.000 Kilowatt so viel Leistung wie etwa 100 VW Golf in Standardmotorisierung. Frisches Geld kam auch aus einem Spartenverkauf: Im Dezember 2023 hat RRPS seine Sparte „Off-Highway-Motoren“ an den Wettbewerber Deutz verkauft. Die Einnahmen aus der Transaktion sollen im höheren zweistelligen Millionen-Euro-Betrag liegen. Mutterkonzern Rolls-Royce steckt in Restrukturierung Zwar hat RRPS laut Strecker in 115 Jahren noch kein einziges Mal rote Zahlen geschrieben, doch insbesondere die vergangenen fünf Jahre waren nicht immer rosig für den Konzern. Das Londoner Mutterhaus Rolls-Royce war durch die Corona-Pandemie verschuldet, was zu einer weitreichenden Restrukturierung der gesamten Gruppe führte. CFO Strecker berichtet, dass es – wie überall in großen Unternehmen – immer wieder diverse Diskussionen etwa über die Zuteilung von Mitteln innerhalb des Konzerns gebe. „Wir hatten bislang immer einen guten Track Record und gehalten, was wir versprochen haben. Das hilft bei der Argumentation mit den Shareholdern, und wir sind daher auch künftig gut aufgestellt“, so Strecker. „Wir dürfen uns auf unseren Erfolgen nicht ausruhen.“ Andreas Strecker, CFO von RRPS Der CFO muss künftig in seiner eigenen Abteilung weiter an der Transformation arbeiten. Mit Blick auf die technische Seite gebe es viele historisch gewachsene SAP-Plattformen, die nun vereinheitlicht werden müssten. Zudem bestehe Nachholbedarf bei automatisierten Prozessen. Gut für Strecker: Da er auch den Bereich IT verantwortet, kann er direkt wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen. Derzeit hat der CFO einen anderen Fokus: Es sei verführerisch, jetzt neue Mitarbeiter einzustellen und noch mehr zu investieren. Doch wenn die Auftragslage wieder zurückgehe, müsse das Unternehmen auch dann wettbewerbsfähig bleiben. Daher habe die Abteilung nun weiter auf die Fixkosten zu achten, so Strecker. „Wir dürfen uns auf unseren Erfolgen nicht ausruhen. Wir müssen Maß halten und wachsam sein.“

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