Hätte EY das Gutschein-Debakel von ProSieben auffallen müssen?

Kleine Tochtergesellschaft, große Probleme: ProSiebenSat.1 ist weiter mit der Aufarbeitung des Compliance-Falls bei der Jochen Schweizer Mydays-Gruppe (JSMD) beschäftigt. Dass beim Geschäft mit den Erlebnisgutscheinen ein regulatorisches Problem schwelt, war erst im vergangenen Jahr aufgefallen, nachdem ein Hinweisgeber sich an den Abschlussprüfer EY gewandt hatte. Mittlerweile unterstellt ProSiebenSat.1 ehemaligen Vorständen Pflichtverletzungen, und auch mögliche Versäumnisse des Abschlussprüfers stehen im Raum. Was ist da los? Manche Gutscheine fallen in den Aufsichtsbereich der Bafin Rückblick: Ende Februar 2023 gab ein Whistleblower der Big-Four-Gesellschaft EY einen Hinweis, wonach die Erlebnisgutscheine von JSMD zumindest teilweise unter das Zahlungsdienstaufsichtsgesetz (ZAG) fallen könnten. Solche Zahlungsdienste müssen bei der Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) angemeldet sein und werden von dieser beaufsichtigt. Tatsächlich bestätigte sich der Verdacht: Weil die Gutscheine flexibel für unterschiedliche Erlebnisse bei verschiedenen Anbietern eingelöst werden können, können sie den Charakter von E-Geld haben. Konkret hätte JSMD für Gutscheinprodukte mit einem Gutscheinwert von mehr als 250 Euro eine Erlaubnis der Bafin benötigt. ProSieben räumt bei Jochen Schweizer Mydays auf Diese Gutscheine machten bis dahin rund 20 Prozent der Gesamtumsätze von JSMD aus. Auf Konzernebene von ProSiebenSat.1 standen sie für nicht einmal 1 Prozent des Umsatzes. Insgesamt steuert die Tochter JSMD, die 2017 nach dem Zukauf von Jochen Schweizer entstanden war, 2 Prozent zum Gesamtumsatz der Mediengruppe bei. ProSieben hat reagiert: Mittlerweile ist das Gutschein-Angebot so aufgesetzt, dass dafür keine Bafin-Erlaubnis mehr erforderlich ist. Zudem wurde die Rechnungslegung angepasst und auf Konzernebene auch bei den internen Kontrollsystemen nachgebessert. Ehemalige ProSieben-Vorstände sollen „vertuscht“ haben Damit ist der Fall aber keineswegs erledigt: Im Auftrag des Aufsichtsrats untersuchte die Kanzlei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom den Fall zurück bis zum Kauf von Jochen Schweizer und Mydays. Das Ergebnis: Zwei ehemalige, namentlich nicht genannte Vorstandsmitglieder sollen ihre Pflichten verletzt und Schäden verursacht haben. „Hier wurde vertuscht. Es bedurfte eines anonymen Hinweises im Februar 2023, damit der Aufsichtsrat erstmals von den Rechtsverstößen bei Jochen Schweizer Mydays erfährt“, sagte Aufsichtsrat Rolf Nonnenmacher, der zu dem Zeitpunkt dem Prüfungsausschuss vorsaß, bei der Hauptversammlung Ende April. Er kündigte an, dass werthaltige Ansprüche auf Schadensersatz verfolgt werden sollen. Nonnenmacher selbst wurde von den Aktionären nicht entlastet, und Großaktionär MFE konnte letztlich sogar seine Abberufung durchsetzen. Nonnenmacher wird im Aufsichtsrat nun von Simone Scettri ersetzt. Mehr zum Thema Showdown bei ProSiebenSat.1: MFE scheitert mit Aufspaltungsplan Großaktionär MFE ist mit seiner Forderung nach einer Aufspaltung gescheitert. Ruhiger wird es für CFO Martin Mildner aber nicht: Er muss Verkäufe vorantreiben und einen Compliance-Fall aufarbeiten. Mehr lesen Rückt auch Abschlussprüfer EY ins Visier? Ob ProSiebenSat.1 auch gegen andere Parteien vorgeht, muss wiederum der Vorstand um CEO Bert Habets und CFO Martin Mildner entscheiden. Der hatte seinen Posten als Finanzchef im Mai 2023 angetreten – also nach Bekanntwerden des Compliance-Falls – und muss jetzt als Compliance-Verantwortlicher die Altlasten aufräumen. Hier wurde zur Prüfung die Kanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz mandatiert. Laut ProSieben hätten sich „keine Hinweise auf Pflichtverletzungen eines amtierenden Aufsichtsratsmitglieds ergeben“. Ob stattdessen den Abschlussprüfern Ärger droht, ist unklar. EY hatte ab dem Geschäftsjahr 2019 sowohl den Jahresabschluss des Konzerns als auch der Tochter JSMD testiert. Davor war Jochen Schweizer von Deloitte geprüft worden, ProSiebenSat.1 und Mydays von KPMG. Hätte das Gutschein-Problem auffallen müssen? Bislang ist ProSieben mit Blick auf den Abschlussprüfer nicht aktiv geworden. CFO Mildner hatte bei der Hauptversammlung Ergebnisse bis Sommer in Aussicht gestellt. Auf eine aktuelle Anfrage von FINANCE wollte der Medienkonzern sich nicht weiter dazu äußern. ProSiebenSat.1 hatte jedoch von einer anderen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft untersuchen lassen, ob dem Abschlussprüfer die regulatorische Thematik hätte auffallen müssen. „Die Gutachter haben diese Frage bejaht“, erklärte Aufsichtsrat Nonnenmacher bei der Hauptversammlung. Experten äußern Zweifel an Einschätzung von ProSieben Wirtschaftsprüfungs- und Bilanzierungsexperten, die FINANCE befragt hat, sind sich auf Basis der öffentlich verfügbaren Informationen da allerdings nicht so sicher. Die Aufgabe des Abschlussprüfers sei die Überprüfung des Jahresabschlusses. Er habe zu prüfen, ob sich das Unternehmen an die geltenden Bilanzierungsvorschriften gehalten hat, betont Bilanzierungsexpertin Carola Rinker. „Die Überprüfung der Einhaltung anderer Gesetze ist grundsätzlich nicht Aufgabe der Abschlussprüfung. Sollte der Abschlussprüfer davon erfahren, dass das Unternehmen gegen andere Gesetze verstoßen hat, muss er dies jedoch entsprechend melden“, so Rinker weiter. Auch Professor Kai-Uwe Marten vom Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung an der Universität Ulm hat anhand der öffentlich verfügbaren Informationen Zweifel, ob EY eine Pflichtverletzung attestiert würde, sollte die Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) eine Untersuchung einleiten. Er stellt wie Rinker infrage, ob die Bestimmungen des ZAG in den Umfang der Abschlussprüfung fallen. Beide betonen zudem, dass der Fall recht speziell ist. Dass Gutscheine regulatorischen Anforderungen der Bafin unterliegen können, dürfte nach ihrer Einschätzung in der Praxis eher selten vorkommen. EY wollte sich auf Anfrage von FINANCE nicht äußern. Aus Unternehmenskreisen ist jedoch zu hören, dass man dort bis dato relativ entspannt auf den Fall blickt.

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