„Horizont muss größer sein als eine Saison“

Es ist ein sonniger Morgen in Gelsenkirchen. Der Platz vor der Veltins Arena ist leer. Nur vereinzelt laufen Schulklassen an der Tausend-Freunde-Mauer entlang, wo sich Fans des Vereins mit persönlichen Inschriften verewigen können. Von den Trainingsplätzen zwischen Stadion und Geschäftsstelle dringt Gelächter ans Ohr. Eine Jugendmannschaft trainiert den Torabschluss. Insgesamt liegt eine friedliche Stimmung über dem Gelände. Äußerlich ist kein Anzeichen zu sehen, dass sich der FC Schalke 04 in der größten sportlichen Krise der vergangenen Jahre befindet. Am Tag vor dem Interview mit FINANCE wurde Cheftrainer Thomas Reis entlassen. Eine Niederlagenserie hat den Fußballverein zwischenzeitlich nah an die Abstiegsplätze der 2. Bundesliga gebracht. Noch ist die Saison 2023/24 jung, doch jede weitere Niederlage gefährdet die sportlichen und damit auch die finanziellen Ziele. Christina Rühl-Hamers lässt sich die sportlich prekäre Lage ebenfalls nicht anmerken. Die 47-jährige Finanzvorständin ist freundlich und nimmt sich Zeit für das Gespräch. Fast scheint es so, als sei sie froh, mal nicht über die sportlichen Herausforderungen reden zu müssen, sondern nur über die Finanzen. Denn hier läuft es für Schalke 04 – man mag es kaum glauben – deutlich besser. Trotz des Abstiegs in die 2. Bundesliga konnte Rühl-Hamers Ende Oktober ein positives Halbjahresergebnis verkünden. Erstmals seit 2018 schreibt Schalke 04 wieder schwarze Zahlen. Der Umsatz stieg – vor allem weil der Verein bis Ende Mai 2023 noch in der 1. Bundesliga spielte – von 55,9 Millionen Euro auf 81,7 Millionen Euro. Nach den ersten sechs Monaten 2023 bedeutet das einen Jahresüberschuss von 9,3 Millionen Euro. Gleichzeitig konnten die Gesamtverbindlichkeiten von 180,1 Millionen Euro auf 165,1 Millionen gesenkt werden. Zum Jahresende soll trotz der schwierigen Lage immer noch ein Gewinn im einstelligen Millionenbereich eingefahren werden. Info Die CFO Christina Rühl-Hamers ist seit Oktober 2020 Finanzchefin von FC Schalke 04. Sie ist neben den Finanzen außerdem auf Vorstandsebene für die Ressorts Personal und Recht verantwortlich. Ihre Karriere bei den Königsblauen startete sie bereits 2010 als Direktorin Finanzen und Personal. Frau Rühl-Hamers, Sie haben bereits im Frühjahr für das Geschäftsjahr 2023 einen Gewinn prognostiziert und das unabhängig von der Liga-Zugehörigkeit. Ein ambitioniertes Ziel, wenn man bedenkt, dass der FC Schalke 04 im Geschäftsjahr 2022 einen Verlust von 19,9 Millionen Euro geschrieben hat. Jetzt haben Sie im ersten Halbjahr einen Gewinn von 9,3 Millionen Euro erzielt. Wie haben Sie das geschafft?Das ist ein Prozess über einige Jahre gewesen. Wir haben uns nach dem Abstieg 2021 intensiv mit der Einnahmen- und Kostenstruktur beschäftigt. Durch andere, und vor allem deutlich geringere Einnahmestrukturen in der 2. Bundesliga mussten wir die Kosten so anpassen, dass wir ein positives Ergebnis erzielen und gleichzeitig einen wettbewerbsfähigen Etat für die Kaderplanung aufstellen können. Das hatte ganz viel mit Kostendisziplin und Fokussierung zu tun: Was ist für das Kerngeschäft Fußball notwendig? Was hat einen gewissen Impact, kann aber auch ein, zwei Jahre später gemacht werden? Und welche Ausgaben kann man womöglich komplett streichen, aber auch: was sind die notwendigen Investitionen, die wir durchführen müssen? Geld schießt Tore, heißt es gern. Ist damit letztlich nicht die Finanzabteilung für den sportlichen Erfolg verantwortlich?Finanzen soll ermöglichen und nicht verhindern. Unsere Aufgabe ist es, die Vorhaben des Sports, die inhaltlich nachvollziehbar erläutert werden können, möglich zu machen und dabei trotzdem nicht unser Budget zu sprengen. Zentral als Messgröße für uns ist der Kaderwert und dessen Entwicklung. Je höher der Kaderwert der Mannschaft, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit auf sportlichen Erfolg. Deshalb müssen wir in der Kaderplanung neben dem sportlichen Erfolg in der aktuellen Saison immer schauen, welche Spieler erhöhen in welchem Szenario kurzfristig den Kaderwert und welche mittel- bis langfristig. In den deutschen Medien werden Sie oft für Ihren Sparkurs bei Schalke kritisiert. Wie sehen Sie das?Ich kann nur sparen, wenn ich Geld habe, und mich dann dazu entscheiden, das Geld nicht auszugeben. Alles andere hat nichts mit Sparen zu tun. Es geht bei Schalke nicht nur darum, einen Aufstieg sicherzustellen, sondern wir müssen dann auch finanziell stabil sein, um uns nachhaltig in der Bundesliga halten zu können. Das bedeutet, dass wir unseren vertraglich geregelten Tilgungspflichten immer nachkommen. Für all das sind mittelfristige Planungen für Budgets und Liquidität notwendig, nicht nur der Blick auf den kurzfristigen sportlichen Erfolg. Unser Horizont muss deshalb viel größer als nur eine Saison sein. Sie betonen immer wieder, wie wichtig es ist, in Szenarien zu planen. Wie plant man so etwas als Finanzchefin eines Fußballklubs?Am besten sehr vorausschauend. Man muss sowohl kurzfristig als auch mittelfristig auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet sein. Am Ende brauchen wir Schubladen, in denen Optionen liegen, die so gut vorbereitet sein müssen, dass sie bei Bedarf umgesetzt werden können. Du brauchst in der Kostenstruktur Szenarien, die es im Optimalfall möglich machen, positive Ergebnisse in der Bilanz zu zeigen, sowohl in der 1. als auch in der 2. Liga. Und genau die beiden Szenarien haben wir für mehrere Saisons in der Planung. „Man muss auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet sein.“ Christina Rühl-Hamers, CFO des FC Schalke 04 Wie lang können Sie überhaupt planen?In der Regel erstreckt sich die detailliertere Planung auf drei bis fünf Jahre, so dass uns klar ist, welche Budgets künftig zur Verfügung stehen und wie die Kostenstruktur für die jeweilige Einnahmesituation sein muss. Sportlich sieht es bei Schalke 04 derzeit nicht optimal aus. Aktuell belegt der Klub den 16. Platz in der 2. Bundesliga. Gibt es bereits ein Worst-Case-Szenario für einen potentiellen Abstieg in die 3. Liga?Wie eben gesagt, beschäftigen wir uns mit allen theoretisch möglichen Szenarien. Zum jetzigen Zeitpunkt gehört es zu unserer Sorgfaltspflicht als Vorstand, auch ein theoretisches Drittliga-Szenario im Auge zu behalten. Wir haben aber großes Vertrauen in unseren neuen Cheftrainer Karel Geraerts und seine Arbeit und sind zuversichtlich, dass wir dieses Szenario bald ad acta legen können. Dass wir schlecht in eine Saison starten, das hat es in der Vergangenheit – leider – bereits öfter gegeben. Nun gilt es, sportlich die richtigen Korrekturen vorzunehmen. Mit dem Abstieg in die 2. Bundesliga ist Schalke ein zweistelliger Millionenbetrag an TV-Geldern weggebrochen. Werden die Gelder gerecht verteilt?Nein. Bevor wir zu den Argumenten kommen, einmal die Ausgangsbasis: Bei der Verteilung der TV-Gelder gehen 80 Prozent an die 1. Liga und 20 Prozent an die 2. Liga. Durch den Abstieg 2021 sind uns deswegen allein 50 Millionen Euro weggefallen, in diesem Jahr rund 20 Millionen Euro. Darüber hinaus ist das Verteilungssystem unserer Meinung nach grundsätzlich falsch und ungerecht. Erklären Sie das bitte!Aktuell berechnen sich die Fernsehgelder hauptsächlich durch den sportlichen Erfolg. Andere Kriterien, zum Beispiel wie beliebt ein Verein ist, spielen kaum eine Rolle. So bekommen Klubs einen hohen Anteil an Geldern, obwohl sie im Vergleich zu uns leere Stadien haben und kaum Zuschauer vor den Fernseher locken. Wir haben eine große Fanbasis mit mehr als 180.000 Mitgliedern, Ähnliches gilt auch für andere Traditionsvereine. Unser Stadion ist fast immer voll, zu unseren Auswärtsspielen begleiten uns Tausende Schalke-Anhänger. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, das dem gesamten Liga-System nutzt, weshalb öffentliches Interesse und Reichweite bei der Verteilung der TV-Gelder stärker berücksichtigt werden sollten. Also plädieren Sie für eine Umverteilung der Gelder?Die Reichweite muss deutlich stärker berücksichtigt werden, denn sie zeigt, was die Fans sehen wollen und ist damit ein wesentlicher Faktor für unsere Rechtepartner. Natürlich ist auch die sportliche Leistung wichtig, aber es sollte nicht das einzige Kriterium sein. Nun gab es kürzlich heftige Diskussionen über den möglichen Verkauf von 20 Prozent an einer DFL-Tochterfirma, die für die Vermarktung zuständig ist, an einen Private-Equity-Investor. Die Befürworter des Deals konnten sich nicht durchsetzen, der Einstieg platzte. Eine verpasste Chance, meinen einige. Warum hat Schalke dagegen gestimmt?Ja, wir haben gegen den Einstieg gestimmt. Aber nicht, weil wir grundsätzlich gegen einen Investor sind – das ist nämlich nicht der Fall –, sondern weil wir gegen die geplante Verteilung der Gelder waren, die die bestehenden Verhältnisse weiter zementiert hätte. Mehr zum Thema Vielleicht sollte die DFL doch zur Bank gehen Die Deutsche Fußball Liga scheiterte mit ihren PE-Plänen spektakulär. Kein Problem, meint unser Kolumnist Peter-Thilo Hasler. Die DFL sollte einfach zur Bank gehen. Mehr lesen Mehr Einnahmen wären aber auch deshalb gut, weil der Blick auf die Zahlen zeigt, dass Schalke immer noch Finanzverbindlichkeiten in Höhe von 126,5 Millionen Euro hat. Was haben Sie vor, um diese zu senken?Als ich 2010 bei Schalke gestartet bin, hatten der Verein mit 254 Millionen Euro den Höchststand an Finanzverbindlichkeiten. Wir konnten diese trotz zweier Abstiege zwar schon deutlich senken. Perspektivisch müssen wir uns von diesen Verbindlichkeiten, insbesondere auch von den hohen Zinsbelastungen, weiter befreien. Das geht nur, indem man tilgt. Das muss wiederum in die sportlichen Szenarien – unser Kerngeschäft – eingebettet sein, so dass am Ende immer noch ein wettbewerbsfähiger Kader rauskommt. Mein Ziel langsfristiges ist es, unter die 100 Millionen Euro Finanzverbindlichkeiten zu kommen. Neben den Verbindlichkeiten in Höhe von 165,1 Millionen Euro hat Schalke auch noch ein negatives Eigenkapital von rund 100 Millionen Euro. Dafür hat der Verein auch eine Lizenzauflage seitens der DFL erhalten. Wie wollen Sie zurück in den positiven Bereich?Das geht vor allem über Gewinne. Da Schalke ein eingetragener Verein ist, der der Gemeinnützigkeit verpflichtet ist, können wir jedoch keine Eigenkapitalmaßnahmen vornehmen und haben nur begrenzt Möglichkeiten, über Tochtergesellschaften das Eigenkapital zu verändern. Wir haben stille Reserven, die wir nicht in den Büchern darstellen können, wie etwa das Stadion, unser Catering, die Vermarktungsrechte und vieles mehr. Dennoch ist das negative Eigenkapital nicht optimal. Wie bereits gesagt: Am Ende können wir die Situation nur verbessern, indem wir künftig Gewinne schreiben. Inwiefern unterscheidet sich die Finanzplanung in einem Fußballverein von der in klassischen Unternehmen?Aus meiner Sicht sind es zwei Dinge: Erstens prägt die Arbeit bei Schalke 04 die Emotionen vieler Menschen. Wir haben Fans, für die Schalke einen großen Teil ihres Lebens darstellt. Das spüren wir jeden Tag. Wenn wir am Wochenende verlieren, kann ihnen das die Laune für die nächste Woche verderben. Bei einem “normalen” Unternehmen dürften eine schlechte Woche kaum solche Gefühlsregungen auslösen. Der zweite große Unterschied zu anderen Unternehmen: Die eigene Mannschaft muss nicht nur gut sein – sie muss besser sein als die anderen Mannschaften. Der Wettbewerb mit Auf- und Abstieg hat andere, eigene Voraussetzungen. Mit 180.000 Mitgliedern zählt der FC Schalke 04 zu den mitgliederstärksten Vereinen weltweit. Foto: FC Schalke 04 Nun sind Sie ja selbst schon immer Schalke-Fan gewesen und haben als junge Frau auch leidenschaftlich auf höchstem Niveau gekickt. Hat sich durch Ihren Job als Finanzchefin Ihr Blick auf den Fußball verändert?Die ersten Monate nachdem ich angefangen habe, in der Finanzabteilung von Schalke zu arbeiten, habe ich alle Spiele in Zahlen und Geld geguckt. Das war für mich anfangs komisch. Das hat sich aber mittlerweile wieder gelegt, ich kann mir die Spiele wieder inhaltlich anschauen und beschäftige mich danach mit den Zahlen. Immer wieder kommen Diskussionen über Frauen in Führungspositionen auf. Finanzchefinnen in der männerdominierten Fußballbranche sind immer noch eine Seltenheit. Wie empfinden Sie Ihre Rolle in der Branche?Ich nehme durchaus wahr, dass Gesprächsrunden anders ablaufen, wenn ich als Frau anwesend bin. Es ist mittlerweile bewiesen, dass andere Entscheidungen getroffen werden, wenn Teams divers aufgestellt sind. Gleichzeitig bin ich aber der Meinung, dass jeder mit der Leistung überzeugen sollte, unabhängig vom Geschlecht. Woran liegt es, dass es in der Branche immer noch wenige weibliche Führungskräfte gibt?Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es an sich genügend weibliche Absolventinnen gibt, die für solch eine Position qualifiziert sind. Das Problem ist: Frauen, die sich nicht für Fußball interessieren, schließen die Branche oftmals für sich aus und wagen erst gar nicht den Schritt in die Fußballbranche. Das ist schade und daran sollte die Fußballbranche, aus meiner Sicht arbeiten, da sie davon profitieren könnte. Info FC Schalke 04 Der 1904 gegründete Gelsenkirchener Fußballclub blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Bislang gewann der Malocher-Club siebenmal die Deutsche Meisterschaft, zuletzt 1958, und fünfmal den DFB-Pokal. Der größte internationale Erfolg wurde 1997 mit dem Gewinn des UEFA-Pokals errungen. Doch den Triumpfen stehen auch Abstiege, permanente Finanzsorgen und Skandale gegenüber.

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