Ein aufmerksamer Leser hat mich wegen meines vorangegangen Blog-Beitrags kontaktiert. Ich hatte dort Cyberattacken zum Anlass genommen, um die Frage zu stellen, ob ein CFO wirklich für deren Abwehr verantwortlich sein kann, da die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Attacke letztlich ja sehr stark von der organisatorischen Resilienz abhängt.
Der Leser hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) CFOs für die organisatorische Resilienz haften, auch dann, wenn irgendwo in der Organisation ein Untergeordneter auf betrügerische Emails, Anrufe oder ähnliches reagiert. Die Folge: Es wird auch in Zukunft häufig vorkommen, dass bei Organisationsfehlern der Vorstand fliegt. In der Konsequenz der fortschreitenden Digitalisierung heißt dies, dass deutsche Vorstände immer mehr Zeit dafür verwenden müssen, administrativ zu agieren. Es wird nicht reichen, dass ein Compliance-Beauftragter Leitlinien verfasst.
Führen ohne Führung
Welchem Manager bleibt da aber noch Zeit für strategisches Handeln? Die Aufgabe eines Geschäftsführers ist es, sich mit den Stakeholdern des Unternehmens fortlaufend auseinanderzusetzen, gerade mit Fokus auf die Ressourcen-Transformation. Beispielsweise muss sie oder er sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Produktion nachhaltig ist. Ob Lieferanten sich auf dem Boden des Rechts bewegen und vielem mehr. Die Vorstände müssen sich aber auch mit der Frage befassen, auf welche Art und Weise eine Organisation mit Unsicherheit umgeht.
Wird diese Frage intern thematisiert, oder ist die Organisation durch ein Beharrungssyndrom geprägt, das es CEO und CFO schlichtweg unmöglich macht, fristgerecht von Risiken, Patzern und Problemen zu erfahren? Meine These ist, dass der Vorstand zwar das Geschäft führt, dabei aber immer weniger Zeit findet, um sich mit der Führung des Geschäfts selbst auseinanderzusetzen.
Manager verkümmern zu Administratoren
Deshalb bin ich der Meinung, dass Deutschland ein monistisches Führungssystem braucht, das Vorstand und Aufsichtsrat in einem Gremium, etwa einem Board oder Verwaltungsrat, zusammenführt – flächendeckend und dringend!
In Vergleich zu den verselbstständigten Organen des Vorstands und des Aufsichtsrats haben Verwaltungsräte einen Vorteil: Sie agieren strategisch, weil sie es dürfen. Laut Angaben der Hans Böckler Stiftung gibt es in Deutschland 289 Unternehmen, die so agieren könnten, weil sie sich als Europäische Aktiengesellschaft (SE) aufgestellt haben. Sie haben die Möglichkeit, sich dazu zu entscheiden, den Aufsichtsrat durch einen Verwaltungsrat oder ein „Board“ zu ersetzen. Die Verwaltungsräte dürften die Geschäftsführung dann mit Rat und Tat unterstützen – und somit das oben skizzierte Problem zumindest lindern, dass Manager aus juristischen Gründen immer stärker zu Administratoren verkümmern.
Wir brauchen Non-Executive Directors
Es geht um die Frage, wie wir in modernen, agilen Unternehmen das integrative Denken institutionalisieren. Die Trennung eines Aufsichtsrats vom Vorstand ermöglicht diese Integration nicht. Sie ist gut für Kontrolle und für die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit. Aber in manchen Unternehmen hat sich die Unabhängigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat längst als Leergut statt als Lehrgut erwiesen, zum Beispiel dort, wo der Fokus darauf verloren gegangen ist, wie sich das Geschäftsmodell eines Unternehmens (oder einer Bank) zu entwickeln hat, um konkurrenzfähig zu sein.
FINANCE-TV
Gerade dann, wenn das Management damit beschäftigt ist, das Tagesgeschäft zu organisieren und gegenüber Externen verschiedenster Art zu schützen, braucht es Businesspartner. Und das sind nun mal nicht die Controller, sondern analytische, erfahrene und gestandene Vordenker, deren Rolle es ist, sich damit auseinanderzusetzen, wie eine Branche sich entwickelt und wie sich Geschäftsmodelle verändern. Deutschland braucht den aus der angelsächsischen Welt bekannten Non-Executive Director (NXD), der die Freiheit hat, im Rahmen der Geschäftsführung strategisch zu denken.
Unabhängigkeit des Vorstands neu definieren
Die oder der NXD ist kein Supermanager, der nur auf Basis seiner Erfahrung beurteilen kann, dass alles „rechter Dinge“ läuft. Er oder sie ist jemand, der losgelöst vom Tagesgeschäft bezüglich Branche, Technologie oder Managementmethodik Input liefern kann – und dann die Frage stellt, was mittel- oder langfristig verloren gehen könnte, würde das Unternehmen seinen aktuellen Modus der Geschäftsführung einfach so weiterführen.
Hiermit adressiere ich explizit einen Punkt, der auch im Rahmen des Deutschen Corporate Governance Kodex angesprochen wird: Unabhängigkeit. Im Rahmen unseres Kodex wird unter anderem empfohlen, dass ein Aufsichtsrat maximal zwei ehemalige Vorstandsmitglieder aufnehmen soll, und das auch erst frühestens zwei Jahre nach Ende der Vorstandstätigkeit. Solche Prinzipien sind nachvollziehbar – aber nur solange wir von der Prämisse des Aufsichtsrats als Kontrollfunktion ausgehen.
Niels Dechow bei FINANCE-TV
Man könnte es aber auch anders sehen, denn eigentlich ist nicht klar, warum wir weiter davon ausgehen müssen, eine Kontrollfunktion im Unternehmen selbst nötig zu haben. Für manche AG wäre es von größerem Nutzen, wäre sie mit einem Rat ausgestattet, der unabhängig vom Tagesgeschäft strategisch denken und Impulse setzen kann, nicht zuletzt auch für Integrated Reporting.
Würde sich ein Vorstand intensiver mit der Geschäftsführung auseinandersetzen können als heute, würde sich das eine oder andere Unternehmen sehr wahrscheinlich auch den vorzeitigen Austausch von CFO und/oder CEO sparen können, denn dadurch geht nicht nur Momentum verloren, sondern auch ein Erfahrungsschatz, der für die erfolgreiche Umsetzung neuer Initiativen außerordentlich wichtig ist.
Info
Niels Dechow, PhD, ist Professor für Unternehmensrechnungslegung und Controlling an der European Business School (ebs). Für FINANCE bloggt er regelmäßig zu den neuesten Trends im Controlling. Hier geht es zu allen Beiträgen seines Blogs „Controlling 2020„.