Beginnen wir mit einer überschaubaren Transaktion: Stellen Sie sich vor, Sie möchten eine Immobilie kaufen. Das Objekt liegt in einer Großstadt, Ballungsgebiet, und ist ein potentielles Anlageobjekt für Sie. Die Immobilie hat einen Wert von 600.000 Euro, haben Sie berechnet. Zu diesem Preis lohnt sich die Investition definitiv. Nun haben Sie den Verkäufer sogar auf 540.000 Euro herunter verhandelt und wollen abschließen.
Ihr Partner, der an Ihrer Seite sitzt, erhält plötzlich eine wichtige Information per SMS. Er bittet um eine kurze Auszeit, Sie gehen mit ihm hinaus. Bei dem Kurzgespräch, das Sie führen, teilt er Ihnen mit, dass der Verkäufer das Objekt ursprünglich für 200.000 Euro gekauft hat. Würden Sie nun immer noch direkt abschließen? Und wie würden Sie sich dabei fühlen?
Stellen Sie sich vor, Ihr Partner hätte Ihnen mitgeteilt, dass der Verkäufer das Objekt für 670.000 Euro gekauft habe und es nun aus persönlichen Gründen verkaufen müsse. In diesem Fall würden Sie sich anders fühlen und den Kauf genüsslich abschließen, oder?
Den Verhandlungspartner weichklopfen
Dieses Beispiel zeigt, wie stark unsere Erwartungshaltung mit den Rahmenbedingungen der Verhandlungslandschaft korreliert, aber auch mit dem Verhalten des Verhandlungspartners. Die Erwartungshaltung hat eine massive Wirkung auf unsere Entscheidungsfindung. Aus diesem Grund ist sie eine sehr mächtige Waffe im Verhandlungskontext.
Denn warum sollte man mit einem zu 100 Prozent präsenten Verhandlungspartner das direkte Tauziehen starten, wenn man ihn schon vorher weichklopfen kann? Bevor Sie ein direktes Tauziehen um den Preis oder weitere Positionen der Verhandlungslandschaft starten, können Sie den Anspruch des Verhandlungspartners senken und damit die Folgeschritte zu einer möglichen Einigung vereinfachen.
FINANCE-Blog
Der Umgang mit späten Forderungen
Wechseln wir in die Private-Equity-Welt: Zwei Partner eines PE-Hauses möchten ein Unternehmen kaufen. Der Preis liegt bei 25 Millionen Euro, darüber ist man sich bereits einig. Es geht nur noch um Details. Plötzlich erwähnt der Inhaber des Unternehmens, er gehe davon aus, dass er das Vermögen des Unternehmens, das auf dem Bankkonto liegt, behalten könne. Er besteht darauf. Es handelt sich um 4,2 Millionen Euro.
Die Käufer könnten nun einen direkten Preiskampf um die 4,2 Millionen mit dem Inhaber starten und erst einmal die gesamte Summe beanspruchen, bevor sie später vielleicht schrittweise auf eine Kompromisssumme heruntergehen. Sie könnten aber auch erst einmal die Erwartungshaltung des Verkäufers senken, indem sie erwähnen, dass dieser Aspekt für sie neu sei und sie ihn nun abwägen müssten.
Dann konfrontiert man den Inhaber mit dem Vorwurf, dass er diesen Aspekt früher hätte erwähnen müssen und nun der Deal aus diesem Grund platzen könne, immerhin handelt es sich um fast ein Fünftel der gesamten Kaufsumme, die man auf der Prämisse angeboten habe, dass das Unternehmen mit allen Assets – inklusive des Bankvermögens – gekauft werde. Deshalb müsse man im Grunde komplett neu budgetieren.
Viele Verhandler setzen diese Waffe gleich am Anfang einer Verhandlung ein.
Eine Verhandlungstaktik für alle Lebenslagen
Was die beiden Private-Equity-Partner davon hätten, liegt auf der Hand: Sie hätten die Erwartungshaltung des Verkäufers gesenkt. Dieser befürchtet nun das Scheitern der Verhandlungen und vor allem, dass er die Verantwortung dafür tragen würde. Jetzt können die Private-Equity-Manager taktisch wenden und ausführen, dass sie trotz der schwierigen Lage bereit seien, sich mit 3,9 der 4,2 Millionen Euro zufrieden zu geben – weil man ja schon gemeinsam so weit gekommen sei.
Jetzt ist man in der Preisverhandlung, und zwar mit einem Entgegenkommen, das zwar die Zahl vor dem Komma ändert, aber im Vergleich zu der Gesamtsumme nicht wirklich hoch ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Verkäufer einlenkt und sich auf einen Kompromiss zubewegt, ist nun viel größer, als wenn man seine Erwartungshaltung zuvor nicht gesenkt hätte.
Sie sehen, die Beeinflussung der Erwartungshaltung ist ein mächtiges Instrument, das in unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt werden kann. Ob Kauf und Verkauf von Objekten und Unternehmen, Gehalts- und Budgetverhandlungen und vieles mehr – die Liste ist endlos. Die Senkung der Erwartungshaltung kann als Taktik in allen Verhandlungskonstellationen angewandt werden.
Viele erfahrene Verhandler setzen diese Waffe gleich am Anfang einer Verhandlung ein, manche nur dann, wenn die Verhandlung ins Stocken gerät oder sie Positionszugeständnisse erlangen wollen. Dilettanten hingegen sind sich dieser Dynamik überhaupt nicht bewusst. Der Preis, den sie zahlen, ist, dass sie den härteren Verhandlungsweg gehen müssen.
Info
Foad Forghani ist einer der meistbeschäftigten „Shadow Negotiators“. Als Gründer und Inhaber von Forghani Negotiations wird er vor allem in Krisensituationen und brisanten Verhandlungsfällen hinzugezogen. Exklusiv für FINANCE analysiert er in seinem Blog „Reine Nervensache“den Verhandlungsstil bekannter Manager und Politiker sowie aktuelle Geschehnisse – mit interessanten Einblicken in die strategisch-taktische Welt eines Verhandlungsexperten.