Zweite Liga, Grabenkämpfe zwischen der Basis und den Verantwortlichen, dazu eine deprimierende Umsatzentwicklung – beim VfB Stuttgart herrscht Tristesse. Die Zahlen, die Finanzchef Stefan Heim bei der Mitgliederversammlung am vergangenen Sonntag präsentierte, sind so schlecht wie die Stimmung im Klub. Die Ergebnisse des Jahres 2015 – ein leichter Umsatzanstieg auf 125,5 Millionen Euro und ein Jahresüberschuss von 2 Millionen Euro – waren nur eine Randnotiz. Die VfB-Fans interessiert vielmehr, wie stark ihr Schiff wirklich leck geschlagen ist, nachdem Heim den Abstieg aus der Bundesliga als „Schuss direkt in den Bug“ bezeichnet hatte.
Die Antwort ist: Das Loch im Bug ist groß. 51 Millionen Euro Umsatz werden dem VfB in der laufenden Saison 2016/17 fehlen, Transfererlöse außen vor gelassen. Damit fallen die Erlöse in etwa auf das Niveau, das der VfB zu seinen Hochzeiten nach der Meisterschaft 2007 allein an Spielergehältern ausgegeben hatte – ein Trend, der nachdenklich stimmt.
Am meisten fehlen dem VfB die Fernseheinnahmen, die allein um 27 Millionen Euro zurückgehen. Und diesen Schlag wird der VfB noch lange merken – auch dann noch, wenn der direkte Wiederaufstieg tatsächlich gelingen sollte. Denn in der Fünfjahreswertung, die für die Verteilung der TV-Gelder maßgeblich ist, wird der Abstieg dem VfB noch bis an die Schwelle des nächsten Jahrzehnts nachhängen.
Zu einem schlechteren Zeitpunkt hätte dieser Rückschlag gar nicht kommen können – gerade jetzt explodieren die TV-Gelder. Denn damit wachsen bei den Ausschüttungen auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Vereinen. Klubs, zu denen sich der VfB bis vor kurzem noch auf Augenhöhe wähnte – Hertha BSC Berlin, Eintracht Frankfurt, der 1.FC Köln – drohen dem VfB bei den TV-Einnahmen zu enteilen.
VfB Stuttgart fängt Einnahmeverluste auf
Trotzdem ist es für Untergangsfantasien noch deutlich zu früh. „Wir haben unsere Zahlen im Griff“, sagt Finanzchef Heim. Das kann man durchaus so stehen lassen, denn trotz ihrer horrenden Größe hat Heim die Einnahmeverluste aufgefangen: Um 18,6 Millionen Euro hat er die Kosten des Profikaders gedrückt – auf ein für die Zweite Liga aber immer noch hohes Niveau. Weil die normalen Angestellten des Klubs auf bis zu 30 Prozent ihres Gehalts verzichten und die Stadt Stuttgart die Stadionpacht von 5,2 Millionen Euro halbiert, sinken auch die übrigen Personalkosten und Betriebsausgaben um 17 Millionen Euro.
Die 32 Millionen Euro, die der VfB diesen Sommer am Transfermarkt erlöst hat, haben also gereicht, um nicht nur die Lücke zu schließen. Jetzt hat der VfB sogar einen Puffer, um im Winter und vor der neuen Saison den Kader wieder zu verstärken. Dafür fehlen jetzt zwar die Leistungsträger Timo Werner (Transfererlös: 10 Millionen Euro), Filip Kostic (15 Millionen Euro) und Lukas Rupp (6 Millionen Euro). Aber bei aller Kritik muss man die Leistung des Managements anerkennen, dass das Vereinsvermögen von 11,6 Millionen Euro dank des konsequenten Gegensteuerns vermutlich auch nach dieser Zweitligasaison positiv bleiben wird.
Basis gegen Bosse: Zwischen den Fronten steht der Vorstand
Doch die Entwarnung, die Heim in Sachen Finanzlage gibt, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass der VfB völlig blockiert ist – es tobt ein offener Machtkampf zwischen Basis und Geldgebern. Im Aufsichtsrat geben Großsponsoren wie Daimler und Würth den Ton an. Sie wollen die Vereinsstrukturen in Richtung schneller Entscheidungswege verschlanken und damit auf Bundesligastandard bringen. Mittel der Wahl ist auch beim VfB die geplante Ausgliederung der Profiabteilung. Das Problem: Die Mitglieder würden dadurch von den Entwicklungen im Lizenzspielerbereich abgekoppelt werden.
Die meisten Fans sind entsprechend dagegen. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, bei vielen Klubs war das so. Doch fast überall ist die Trennung von Verein und AG am Ende dann doch über die Bühne gegangen, über zwei Drittel der Bundesligavereine verfügen deshalb inzwischen über moderne Managementstrukturen.
Beim VfB ist die Opposition jedoch besonders stark, da die Talfahrt der vergangenen Jahre den Kritikern in die Hände spielt. Während die Oberen damit werben, der Einstieg von Investoren könnte dem VfB Dutzende Millionen Euro in die Kasse spülen, argumentiert die Opposition mit den Zahlen der letzten Jahre: Die Führung habe hinreichend bewiesen, dass sie mit Geld nicht umgehen kann, lautet ihre Warnung.
Zwischen den Fronten steht der Vorstand. Den Chefs haben die Mitglieder am vergangenen Sonntag jetzt schon zum zweiten Mal nacheinander die Entlastung verweigert, genauso wie dem Aufsichtsrat – die Luft ist zum Zerreißen gespannt. Auch die Wahl des neuen VfB-Präsidenten wurde Teil des Grabenkampfes um die Ausrichtung des Klubs: Wolfgang Dietrich – ein Unternehmer, dem eine Nähe zu den Geldgebern nachgesagt wird – wurde nur mit lausigen 57 Prozent der Stimmen gewählt, und das, obwohl es keinen Gegenkandidaten gab. Auch Dietrich ist ein Freund der Ausgliederung, verspricht aber, nach Kompromissen zu suchen.
Das Diskussionsklima beim VfB ist vergiftet
Doch das Klima, in dem er das tun könnte, ist vergiftet. Mit „Spalter, Spalter“-Sprechchören wurde Dietrich empfangen. Diese Wut, sein Wahlergebnis und die Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat senden eine klare Botschaft: Es ist derzeit völlig ausgeschlossen, unter den Mitgliedern jene Drei-Viertel-Mehrheit zu finden, die für eine Ausgliederung nötig wäre. Und das führt zu noch mehr Misstrauen. Satzungsänderungen, die ebenfalls zur Abstimmung standen, hielt die Opposition für ein trojanisches Pferd, um den Strukturbruch notfalls auch gegen den Widerstand der Mitglieder durchziehen zu können. Diese Sichtweise fand Gehör, die Mitgliederversammlung schmetterte die Vorschläge ab.
All dies hat den Graben zwischen Führung und Fans derart vertieft, dass dem VfB nun eine heiße Zeit bevorsteht. Denn während die Basis auf die Barrikaden geht, machen die Sponsoren Boden gut, indem sie dem VfB die Treue halten. Ihr Statement: Die Sponsoreneinnahmen sind infolge des Abstiegs nur um rund ein Viertel (6,7 Millionen Euro) zurückgegangen. Bei anderen Vereinen haben die Sponsoren nach einem Abstieg wesentlich stärker am Geldhahn gedreht.
Der Abstieg hat den VfB für die Investoren billiger gemacht
Das kann als klares Bekenntnis zum VfB gewertet werden, und es hilft dem strauchelnden Klub, der an der Finanzfront schon seit vielen Jahren an Boden verliert, sich über Wasser zu halten. Aber dieses Manöver stärkt natürlich auch den Einfluss der Geldgeber. Schließlich werden in dieser Saison die Sponsoren mit budgetierten 18,7 Millionen Euro den mit Abstand größten Teil des Umsatzes beisteuern – Spielbetrieb und TV-Einnahmen liegen jeweils bei rund 10 Millionen Euro, alle anderen Posten deutlich tiefer.
Dafür werden die Sponsoren eine Gegenleistung sehen wollen. Rufe nach stärkerem Einfluss wären nur folgerichtig, und die prekäre Situation des Klubs seit dem Abstieg hat den Boden dafür bereitet. Der Klub braucht frisches Geld, um es wieder zurück ins Bundesliga-Mittelfeld zu schaffen. Gleichzeitig hat der Abstieg den Unternehmenswert des VfB Stuttgart und so auch den möglichen Einstiegspreis für die potentiellen Investoren stark reduziert. Für sie wäre jetzt also der ideale Zeitpunkt, um einzusteigen.
Wenn Dietrich und Heim die Ausgliederungspläne jetzt aufs Neue forcieren sollten, könnten die nächsten Monate den VfB an den Rand einer Zerreißprobe bringen – vor allem dann, wenn parallel dazu das Großvorhaben Wiederaufstieg in echte Gefahr geraten sollte. Ein Durchmarsch zurück in die Erste Liga wäre der einzig denkbare Friedensstifter, der dem VfB die Wahl zwischen den Alternativen Stillstand und Eskalation noch ersparen könnte.
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