Lieferketten: Huthi-Angriffe zwingen Unternehmen zum Umdenken

Geopolitische Entwicklungen und Weltwirtschaft sind eng miteinander verschlungen. Das zeigte sich zuletzt im Januar, als bei Tesla in Grünheide die Produktion stillstand, weil im Roten Meer jemenitische Huthi Handelsschiffe mit Raketen beschossen. Seit November greift die jemenitische Huthi-Bewegung die zivile Schifffahrt im Roten Meer und im Golf von Aden an. Erklärtes Ziel ist es, Israel damit zur Beendigung seiner Militäroperationen im Gazastreifen zu drängen. Die aktuell mehr als 50 bewaffneten Konflikte auf der Erde beeinträchtigen zunehmend den Welthandel. Die Probleme im Nahen Osten etwa zwingen viele Handelsschiffe unter westlicher Flagge zu einem 6.000 Kilometer langen Umweg. Statt durch den Suez-Kanal führt die neue Handelsroute um das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika. Huthi-Angriffe im Roten Meer beeinträchtigen Warenlieferungen Das Umrouten erhöht die Lieferzeit für Waren aus Asien. „Außerdem führt der alternative Schiffsweg um Afrika zu teils erheblichen Mehrkosten für Reedereien – insbesondere zu erhöhten Treibstoffkosten“, erklärt Markus Groth, Head of Aon Global Risk Consulting für den DACH-Raum, im Gespräch mit FINANCE. Die Folge: Es sei mit Lieferverzögerungen bei Waren, Roh-, Betriebs- und Hilfsstoffen zu rechnen. Dies stelle insbesondere Just-In-Time- oder Just-In-Sequence-produzierende Unternehmen vor Herausforderungen, so Groth. Laut dem Kiel Trade Indicator des IfW Kiel sank die Frachtmenge, die durch das Rote Meer transportiert wird, im Januar erneut, nachdem sie bereits im Dezember um mehr als die Hälfte zurückgegangen war. Der Umsatz des Suez-Kanals sei um bis zu 50 Prozent eingebrochen, gab Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi Ende Februar bekannt. Auch in Hamburg und Bremerhaven bedeutet der reduzierte Schiffsverkehr durch die Wasserstraßen, dass im Wochenschnitt 25 Prozent weniger Schiffe ankommen als im Januar 2023, wie das IfW Kiel anführt. Die Frachtraten für den Transport von China nach Europa sind gleichzeitig drastisch gestiegen. Kostete der Transport eines Standardcontainers laut Drewry World Container Index Ende 2023 noch 1.500 US-Dollar, hat sich der Preis im Januar zwischenzeitlich mit 5.000 US-Dollar mehr als verdreifacht. Huthi-Angriffe sorgen nicht für Krise des Welthandels Nach Einschätzung von Julian Hinz, Forschungsdirektor Handelspolitik und Leiter des Kiel Trade Indicator, befindet sich der Welthandel derzeit nicht in einer Krise. Einzelne Firmen wie Tesla könnten allerdings unter den Lieferverzögerungen leiden. „Die Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer haben im Moment keinen Einfluss auf die Versorgungslage mit Rohstoffen und Vorprodukten“, bestätigt auch Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo Umfragen. »Die Angriffe haben im Moment keinen Einfluss auf die Versorgungslage mit Rohstoffen.« Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo Umfragen Eine konkrete Herausforderung gebe es jedoch, berichtet Markus Groth. „Bei Flüssiggas-Lieferungen, die Deutschland als Lieferalternative teilweise aus dem Mittleren Osten bezieht und die über die Route durch das Rote Meer transportiert werden, könnten unplanmäßige Lieferausfälle zu Preissteigerungen führen“, sagt er. „Energieintensive Unternehmen wie Chemie- und Stahlunternehmen, aber auch andere Branchen wie die Getränkeindustrie, Hersteller von pharmazeutischen Erzeugnissen oder Hersteller von Textilgütern müssen die bereits spürbaren Belastungen durch den Anstieg der Strom- und Gaspreise für ihr laufendes Geschäft bewältigen.“ Huthi-bedingte Produktionsstopps bei der Autoindustrie Besonders spürbar sind die Auswirkungen der Krise im Roten Meer für die Automobilindustrie, die viele Bauteile aus Asien bezieht. Nicht nur Tesla musste im Januar zeitweise die Produktion vollständig einstellen, da wichtige Teile fehlten. Auch die Hersteller Volvo und Suzuki hatten die Herstellung bestimmter Modelle in ihren Werken in Belgien und Ungarn kurzzeitig gestoppt. Das Tesla-Werk bei Berlin musste zeitweise wegen Lieferschwierigkeiten die Produktion einstellen. Foto: Tesla, Inc. Die branchenspezifischen Auswirkungen liegen darin begründet, dass vor allem Car-Carrier den Suez-Kanal umfahren, sagt Nadine Kügler, Head of Automotive DACH bei Aon. Das liege daran, dass das Schadenspotential hier besonders hoch sei. „Bei Car-Carriern gehen wir davon aus, dass sie Ausweichrouten fahren, weil ein Raketenangriff verheerend sein könnte“, erklärt Kügler. Gerade ein Fahrzeugbrand sei auf einem Frachter schwer einzudämmen. Auch Getreidelieferungen zählt Kügler zur Risikofracht. Probleme beim gewöhnlichen Containerfrachtverkehr sieht Kügler hingegen nicht. Rund 60 Prozent der Lieferungen würden nach Informationen der WHO noch den Suez-Kanal passieren, was der Expertin zufolge vor allem am deutlich geringeren Schadensrisiko liege. Lieferketten deutscher Unternehmen im Dauerstress Dennoch ist es für CFOs ratsam, das Risiko von Lieferkettenstörungen zu senken. Vielerorts geschieht das schon: 58 Prozent der Unternehmen setzen auf die Diversifizierung ihrer Lieferketten und 45 Prozent erhöhen ihre Lagerbestände, wie ein Bericht des Ifo Instituts zeigt. Vor allem Unternehmen der Autoindustrie würden derzeit ihre Beschaffungsstrategie ändern: Jedes dritte Unternehmen gab laut Ifo an, in den vergangenen zwölf Monaten die Fertigungstiefe erhöht zu haben, um das Risiko von Lieferkettenstörungen zu reduzieren. Info 10% des Welthandels passieren den Suez-Kanal 39% weniger Schiffe wurden seit dem Beginn der Huthi-Angriffe im Suez-Kanal registriert „Supply Chains befinden sich seit Jahren in einer Art Dauerstress“, erklärt Groth. „Klar ist: Über Jahrzehnte aufgebaute Lieferketten-Netzwerke können nicht von heute auf morgen neu gestaltet und sofort in Betrieb genommen werden“, sagt der Experte. In Zukunft würden Unternehmen versuchen, die Konzepte „Just in Time“ und „Just in Case“ bei der Planung ihrer Lieferketten immer mehr zusammenzuführen. „Unternehmen arbeiten daran, sowohl ihre Flexibilität und Robustheit als auch die Transparenz über ihre Supply Chains zu verbessern“, stellt er fest. Aon-Experte Groth geht davon aus, dass Unternehmen vermehrt auf die partielle Veränderung ihrer Lieferketten durch Nearshoring und Friendshoring setzen würden, um das Risiko durch Lieferkettenstörungen und -unterbrechungen zu minimieren. Bei beiden Konzepten würden sich die Lieferwege verkürzen, weil die Produktion aus China in näher gelegene Länder in Asien oder Europa verlagert würde. Auch gebe es verstärkt Bestrebungen für mehr Kooperationen zwischen Unternehmen, um Risiken gemeinsam einzugehen. Trotz Unsicherheit: Schiffsverkehr bleibt alternativlos Allen Störungen zum Trotz bleibe das Schiff das dominante Transportmittel. „Schätzungen nach erfolgen rund 90 Prozent des Welthandels über den Seeweg. Es gibt Stand heute und bis auf Weiteres keine geeignete Alternative, die solche Kapazitäten anderweitig transportieren kann“, erklärt Groth. Auf die Versicherungskapazitäten hätten die Huthi-Angriffe bislang keine Auswirkungen, sagt seine Kollegin Kügler. Auch wenn einige Warentransportversicherer von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch gemacht hätten und keine Deckungen mehr für das südliche Rote Meer anböten, würden die meisten Versicherer solche Risiken – wenn auch zu höheren Prämien – noch zeichnen. „Im Roten Meer ist die Schadensausprägung im Einzelfall für die versicherungsgebende Wirtschaft bis jetzt durchaus zu bewältigen.“ Unternehmen müssten abwägen, was mehr koste: der Umweg über das Kap der guten Hoffnung oder die höhere Versicherungsprämie, so Kügler. »Unternehmen sollten ihre Finanzplanung anpassen.« Markus Groth, Head of Aon Global Risk Consulting (DACH) Außerdem, so Groth, sollte darüber nachgedacht werden, sich die Methoden der risikoadjustierten Planung für die Finanzplanung zunutze zu machen. „Um in dieser volatilen Welt mit vielen, teils bestandsgefährdenden Entwicklungen umgehen zu können, bietet es sich an, das Vorgehen der Finanzplanung anzupassen. Unternehmen sollten in Korridoren planen, um Rückschlüsse auf das Gesamtrisiko und die eigene Risikotragfähigkeit zu erhalten und die Supply-Chain-Resilienz zu erhöhen.“ Groth beobachtet auch, dass immer mehr Unternehmen sich mit der Frage beschäftigen, ob sie in risikoexponierten Regionen noch produzieren oder von dort Waren beziehen wollen. Die Angriffe der Huthi im Roten Meer dauerten zum Redaktionsschluss am 8. März noch an, ein Ende ist nicht absehbar. Wie sehr und wie schnell die EU-Mission „Aspides“, die am 19. Februar beschlossen wurde, die Angriffe auf Containerschiffe nachhaltig eindämmen wird, bleibt abzuwarten. Je länger es dauert, desto unwahrscheinlicher wird ein „back to normal“. « Info Just in Time ist eine Lieferstrategie, die versucht, die Produktion an die Nachfrage anzupassen, indem nur Waren geliefert werden, die kurzfristig bestellt wurden. Just in Case ist eine Lagerstrategie, bei der Unternehmen große Bestände vorhalten. Vor allem Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, die Nachfrage der Verbraucher vorherzusagen oder große Nachfragespitzen haben, setzen auf dieses Vorgehen.

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