Wie lange wird sich der Preisverfall noch fortsetzen?
Von 115 auf 48 US-Dollar – seit dem vergangenen Juni ist der Ölpreis um knapp 60 Prozent eingebrochen. Eine Umkehr dieses Trends ist vorläufig nicht in Sicht. Denn anders als bei früheren Preisverfällen machen Saudi-Arabien und die OPEC-Staaten dieses Mal keine Anstalten, ihre Fördermengen zurückzufahren. Auch die USA, die durch die Fracking-Technologie inzwischen zu einem großen Ölproduzenten aufgestiegen sind, beschneiden das Angebot noch nicht.
Erst wenn der Ölpreis einige Monate unter 50 US-Dollar pro Barrel liegt, werden die Saudis reagieren, meint Michael Lewis, Leiter Commodity Research bei der Deutschen Bank in London: „Wir gehen deshalb davon aus, dass der Ölpreis noch bis Mitte des Jahres auf einem niedrigen Niveau bleiben wird.“
Selbst danach müssen Unternehmen aber laut der Deutschen Bank noch nicht mit extremen Preissprüngen rechnen: „Die anschließende Erholung des Ölpreises wird voraussichtlich nicht so stark ausfallen wie bei früheren Preisverfällen“, sagt Lewis. „Wir rechnen in 18 Monaten eher mit einem Preis von 70 US-Dollar als mit 90 oder gar 100 Dollar.“ Das liege zum einen daran, dass die Dollar-Stärke den Ölpreis hemme, zum anderen werde Öl inzwischen aber auch effizienter eingesetzt, die Nachfrage sinkt.
Wer profitiert vom Ölpreis-Verfall?
Am stärksten profitieren die Fluggesellschaften. Die Lufthansa etwa gab 2013 22,5 Prozent ihrer gesamten Kosten für Treibstoff aus, bei Billigairlines sind es sogar bis zu 50 Prozent. Angesichts des Preisverfalls rechnet Lufthansa-CFO Simone Menne deshalb damit, in diesem Jahr rund 900 Millionen Euro weniger für Kerosin ausgeben zu müssen als noch 2014 – ein wesentlicher Grund für die Erwartung der Lufthansa, den Gewinn in diesem Jahr trotz des hohen Preisdrucks und der ungelösten Tarifkonflikte steigern zu können.
Auch in der Container-Schifffahrt ist der Ölpreis einer der bedeutendsten Kostenblöcke: Die größte deutsche Linienreederei Hapag-Lloyd hat im Geschäftsjahr 2013 mehr als ein Fünftel ihres Umsatzes von 6,6 Milliarden Euro für Treibstoff ausgegeben. Bliebe der Ölpreis auf dem aktuellen Niveau, würde das Unternehmen, das tief in den roten Zahlen steckt, jährlich einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag sparen.
Ebenfalls zu den Profiteuren gehören Spediteure sowie Chemie- und Pharmakonzerne.
Welchen Einfluss hat das Ölpreis-Hedging?
Wenn die Unternehmen in den kommenden Wochen die Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2014 präsentieren, wird sich der Ölpreisverfall nur bedingt darin niederschlagen. Der Grund: Insbesondere Schifffahrtsunternehmen und Airlines haben sich mithilfe von Derivaten Ölpreise deutlich über dem aktuellen Preis gesichert. „Diese alten Sicherungen werden nun langsam auslaufen“, sagt Öl-Analyst Lewis. „Schon im zweiten Quartal könnte die Hälfte der gesicherten Portfolios auf den niedrigeren Preis laufen.“
Unternehmen schließen in der Regel quartalsweise oder monatlich neue Sicherungen ab. Air Berlin plant dabei bis zu 18 Monate in die Zukunft, Lufthansa zwei Jahre. So bilden die Treasury-Abteilungen den Durchschnitt des Ölpreises über die Zeit und nehmen Spitzen heraus. Die hohen Absicherungen, die die Unternehmen Anfang 2014 noch in einem anderen Ölpreisumfeld abgeschlossen haben, verlieren nun also langsam an Gewicht. So erklärt sich auch, dass Lufthansa-Finanzchefin Menne für 2015 mit einem Preis pro Barrel Nordseeöl (Brent) von 68 US-Dollar kalkuliert – mehr als 30 Prozent mehr als der aktuelle Marktpreis.
Verändern CFOs ihre Hedging-Strategie?
Ja. Einige Unternehmen denken nun darüber nach, ihre Hedging-Quote zu senken und damit mehr Risiko einzugehen. Air Berlin-CFO Ulf Hüttmeyer etwa prüft nach Angaben eines Sprechers, den Hedging-Grad abzusenken. Derzeit sichert das Unternehmen 70 bis 75 Prozent des Kerosineinkaufs ab.
Auch der Lufthansa-Vorstand gab in der vergangenen Woche bekannt, die Hedging-Quote von 79 Prozent im Jahr 2014 auf 73 Prozent senken zu wollen. Den Zeithorizont und die eingesetzten Instrumente wollen die Unternehmen aber vorläufig nicht anpassen.
Welches Risiko birgt der Ölpreis-Verfall für deutsche Unternehmen?
Im makroökonomischen Kontext gesehen, kann der Ölpreisverfall auch für deutsche Unternehmen zum Risiko werden. Wenn die Öl-Einnahmen der Förderländer einbrechen, sinkt die Kaufkraft in diesen Ländern. Einigen Unternehmen könnten wichtige Absatzmärkte wegbrechen. Unklar ist auch, wie der Schritt auf die Investitionsbremse der Ölkonzerne die industrielle Lieferkette beeinträchtigt. Auch viele deutsche Mittelständler produzieren Produkte, die in der Öl- und Gasindustrie, aber auch bei Bergbauvorhaben eingesetzt werden.
Doch Öl-Analyst Lewis sieht noch eine viel größere Gefahr heraufziehen: „Der Fracking-Boom in den USA hat dazu geführt, dass sich viele Energieunternehmen hoch verschuldet haben“, sagt er. Sinken nun die Preise weiter, steigt das Pleiterisiko. Das wiederum würde den US-High-Yield-Markt unter Druck setzen, an dem die Energieunternehmen stark vertreten sind, warnt Lewis. Eine Krise im US-Bondmarkt würde auch an deutschen Unternehmen nicht spurlos vorbeiziehen. Welches Risiko globale Ansteckungsgefahren bergen, dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein.