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Wie die Kryptoindustrie den Bitcoin zerstört

Die Kryptowährung Bitcoin hat einen veritablen Absturz hinter sich. Dies lässt ihr systemisches Potential verblassen.
RaStudio/iStock/Thinkstock/GettyImages

Das ist, was Kapitalmarktinvestoren einen veritablen Crash nennen: Nach einem gewaltigen Kursanstieg auf über 20.000 US-Dollar im Jahr 2017 brach der Kurs der führenden Kryptowährung Bitcoin im Jahresverlauf 2018 massiv ein und dümpelt seit Dezember 2018 unter der Marke von 4.000 Dollar.

Kritiker sehen in der Kursentwicklung starke Parallelen zum Dot.com-Boom, dem steilen Anstieg und noch steileren Einbruch der weltweiten Tech-Aktien im Oktober 2000. Viele internetbasierte Geschäftsmodelle haben sich damals rückblickend als wertlos oder zumindest extrem überschätzt erwiesen. Ähnliches sei nun auch bei Bitcoin der Fall, ätzen die Skeptiker. Was sind ihre Argumente?

Die Schwächen von Bitcoin

Erstens: Bitcoin ist als Zahlungsmittel alles andere als eine Finanzinnovation und vor allem wesentlich langsamer als die von den Bitcoin-Architekten selbst ins Visier genommenen Wettbewerber Visa und PayPal. Die Zeit zwischen dem Zustandekommen des Vertrags von Käufer und Verkäufer und der tatsächlichen Verifikation der Zahlung dauert aufgrund des Bitcoin-Design-Mechanismus 10 Minuten.

Außerdem können mit der Technik nur etwa sieben Transaktionen pro Sekunde durchgeführt werden. Die Kreditkartenfirma Visa schafft in der gleichen Zeit dagegen bis zu 65.000 Transaktionen. Als Transaktionsmittel ist Bitcoin weder schneller noch billiger als die Konkurrenz.

Zweitens funktioniert im Kapitalismus mit innovativen Unternehmensinvestitionen und wachsenden Volkswirtschaften das Konzept einer festen „Geldmenge“, wie bei Bitcoin vorgesehen, nicht. Eine Obergrenze wie bei Bitcoin würde noch viel deflationärer als ein restaurierter Goldstandard wirken. Dort gäbe immerhin noch die Wachstumsrate der Goldproduktion das Wachstum der Geldmenge vor. Auch aus volkwirtschaftlicher Sicht hat Bitcoin also keine Chance, unser Geldsystem zu revolutionieren.

Aus volkwirtschaftlicher Sicht hat Bitcoin keine Chance.

Perspektive hat Bitcoin allerdings bei institutionellen Anlegern. Für diese ist Bitcoin aufgrund der festgelegten Obergrenze von 21 Millionen Einheiten Bitcoin eine Alternative zu Gold – vor allem in Zeiten steigender Inflation oder wenn Kreditblasen drohen, Finanzkrisen auszulösen.

Der Bitcoin-Kurs könnte enorm steigen

Da Bitcoin – anders als Gold – auch keine Verwendung in der Industrie oder als Schmuck findet, ist auch der Gebrauchswert gleich Null. Man kann aus Bitcoin auch keinen Barwert errechnen, da der Halter von Bitcoins keinerlei Zinszahlungen oder Dividenden erhält. Der einzig mögliche Ertrag ist ein Anstieg des Preises, der sich ergeben könnte, wenn eine steigende Nachfrage auf die festgelegte Obergrenze von 21 Millionen Bitcoin trifft. Diese Gemengelage ist es, was den Bitcoin-Preis so volatil macht, ist der Tauschwert von Bitcoin doch fast ausschließlich abhängig von der Nachfrage der Investoren (oder Spekulanten).

Während bei Gold die Produktionskosten zumindest eine Untergrenze für den nachhaltigen Goldpreis darstellen, kann Bitcoin aus Sicht der Finanztheorie dafür jeden Preis annehmen: 1 Dollar für ein Bitcoin ist genauso möglich wie 100.000 oder noch mehr. Finanzmarktmodelle zeigen, dass Assets extrem hohe Werte annehmen können, wenn einer hohen Nachfrage ein fixes Angebot gegenübersteht.

Umso wichtiger ist es für die Entwicklung von Bitcoin, institutionelle Investoren als neue Anleger zu gewinnen. Tatsächlich wird immer mal wieder kolportiert, dass  institutionelle Anleger bereit sind, in Bitcoin und andere Kryptowährungen zu investieren. Zuletzt kursierte in diesem Zusammenhang zum Beispiel der Name Fidelity.

Es gibt schon 2.000 verschiedene Kryptowährungen

Doch dafür müssen erst noch die Voraussetzungen geschaffen werden. Erstens muss das Verwahrproblem gelöst werden. Inzwischen existieren zwar Futures-Märkte zwecks Absicherung oder Leerverkauf. Was aber fehlt, ist eine Verwahrmöglichkeit der Bitcoins bei staatlich regulierten Kryptobörsen oder Banken, sowie die Möglichkeit eines indirekten Kaufs über zugelassene Bitcoin Exchange-Traded Funds (ETF) oder Bitcoin-Deposits bei regulierten Banken. Ein Teil der Kursrückgänge bei Bitcoin ist auch darauf zurückzuführen, dass die US-Börsenaufsicht SEC ihre Entscheidung zur Genehmigung von Bitcoin-ETFs immer wieder verschoben hat.

Zweitens: Weil Anleger allein in der realen Knappheit der Pionierwährung einen Mehrwert sehen, muss sich Bitcoin gegen seine Klone und Konkurrenten durchsetzen. Ob dies gelingt, ist aber völlig offen. Denn in ihrer Emsigkeit, die bisherigen Fehler von Bitcoin zu beheben, schafft die Kryptoindustrie  ein neues Akzeptanzproblem: Obwohl Bitcoin mit einer festen Obergrenze von 21 Millionen Einheiten versehen wurde, entstehen bei jeder vermeintlich sinnvollen Änderung des Protokolls durch Abspaltung („hard fork“) neue Bitcoin-Klone.

Diese Abspaltungen sind nicht gedeckelt. Außerdem kann die gewinnorientierte Kryptoindustrie andere neue Kryptowährungen in unendlicher Zahl schaffen. Auf CoinMarketCap, einer einschlägigen Website zu Statistiken von Kryptowährungen, sind mehr als 2.000 Währungen gelistet. Dies Entwicklung hat das Zeug, Bitcoin als Anlageklasse zu zerstören. Denn was – anders als Gold – unendlich replizierbar ist, kann langfristig keinen Wert haben.

Was unendlich replizierbar ist, kann langfristig keinen Wert haben.

Der ökologische Fußabdruck wird kleiner

Es wäre allerdings schade, wenn es so käme. Umweltschützer werden bei diesem Satz aufschreien, denn das Schürfen von Bitcoin frisst bislang enorm viel Strom. 2018 waren das rund 44 Terrawattstunden (TWh), dies entspricht dem Stromverbrauch von Neuseeland.

Mittelfristig jedoch dürfte der ökologische Fußabdruck der Bitcoin-Industrie kleiner werden. Eine neue Analyse zum Stromverbrauch des gesamten Bitcoin-Netzwerks zeigt, dass allein die erwartete Evolution der benutzten Technologie den Ressourcenbedarf des Bitcoin-Netzwerks und damit die Produktionskosten von Bitcoin auf ein Niveau senken kann, das dem heutigen gesamten Stromverbrauch eines Entwicklungslandes entspricht. Es ist für die Zukunft auch sehr wahrscheinlich, dass ein neuer Techniksprung bei der benutzen Hardware stattfindet, der wie in der Vergangenheit die Produktionskosten zum Beispiel um den Faktor 10.000 zu senken vermag. Das haben die ökologischen Kritiker von Bitcoin in ihren Horrorszenarien stark steigender Stromkosten bislang schlicht nicht berücksichtigt.

Bitcoin als Kanarienvogel im Finanzsystem?

Gewiss sind dies dann immer noch erhebliche Energiekosten. Jedoch sollten diese Kosten ins Verhältnis zu den potentiellen Wohlfahrtskosten einer Finanzkrise gesetzt werden, die in unserer jetzigen Kreditökonomie jederzeit durch eine Kreditblase ausgelöst werden kann. Eine Studie der US-Notenbank kommt zu dem Ergebnis, dass die letzte Finanzkrise alleine in den USA über zehn Jahre eine Produktionslücke („Output Gap“) von 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gerissen hat. Als Barwert gerechnet bedeutet dieser Wert einen Einkommensverlust aller amerikanische Haushalte von etwa 23 Billionen US-Dollar.

Das ist eine gewaltige Summe, die die Betriebskosten des gesamten Bitcoin-Netzwerks stark relativiert. Und in unserer instabilen Kreditökonomie könnte Bitcoin eine wertvolle Stütze werden, wenn sie unserem Finanzsystem als (neuer) Kanarienvogel im Bergwerk zur Seite stehen kann. Doch diese Hoffnung hat einen großen Haken: Die Kryptoindustrie ist gerade im Begriff, ihr eigenes Kind zu fressen.

redaktion[at]finance-magazin.de

Info

Olaf Schlotmann verfügt über mehrere Jahrzehnte Erfahrung am Kapitalmarkt und arbeitete unter anderem im Bereich Debt Origination von Dresdner Kleinwort. Inzwischen ist er Professor für Ökonomie des Finanzsektors an der Brunswick European Law School der Ostfalia-Hochschule in Niedersachsen.

Was Olaf Schlotmann von Mini-Bonds und Gold hält und warum er das Börsensegment Scale für einen Flop hält, lesen Sie in weiteren Beiträgen seines FINANCE-Blogs „Für eine Handvoll Euro “.