Die Europäische Zentralbank hat Details zu ihrem geplanten Ankaufsprogramm von Unternehmensanleihen bekanntgeben. Die Kaufkriterien zeigen, dass die EZB ab Juni, wenn das Kaufprogramm beginnt, das Risiko schwerer Marktverwerfungen am Corporate-Bond-Markt billigend in Kauf nimmt. Denn aus den jetzt bekannt gegebenen Rahmenbedingungen geht vor allem eines hervor: Die EZB hat sich für den Ankauf von Corporate Bonds den größtmöglichen Spielraum gesichert, der denkbar war.
Die Anleihen, die für die EZB in Frage kommen, müssen auf Euro lauten und von einem Emittenten mit Sitz im Euroraum platziert worden sein. Auch die Bonds von Firmen mit Konzernmüttern außerhalb der Eurozone können gekauft werden, solange die Hauptgesellschaft in einem der G10-Länder angesiedelt ist. Auch Schweizer Unternehmen sind damit auf der Liste, obwohl die Bonds großer Blue-Chips wie Nestlé oder Roche auch ohne Extra-Nachfrage durch die EZB schon jetzt praktisch keine Rendite mehr abwerfen.
Ausgeschlossen sind lediglich Anleihen von reinrassigen Banken. Damit fallen nach Lesart des Bankhauses Metzler auch Anleihen von Versicherungen und von Finanztöchtern der Industriekonzerne in das Beuteschema der EZB, also beispielsweise die Banken der großen Automobilhersteller. Auch die Bayern LB und die Deutsche Bank interpretierten die EZB-Aussagen in diese Richtung. Die EZB stellte lediglich klar, dass sie keine Bonds von Emittenten kaufen werde, die eine Banklizenz besitzen.
Kaum Einschränkungen für den Corporate-Bond-Kauf der EZB
Weiterhin müssen die Anleihen für einen Kauf durch die EZB über ein Investmentgrade-Rating verfügen. Dieses muss allerdings lediglich von einer von vier Ratingagenturen vorliegen. Dazu zählt die EZB die Agenturen S&P, Moody’s und Fitch sowie die weniger prominente kanadische Ratingagentur DBRS.
Weitere Einschränkungen gibt es kaum. Eine Mindestemissionsgröße für die infrage kommenden Bonds wurde nicht definiert. Die EZB kann sowohl am Primär- wie auch am Sekundärmarkt kaufen. Lediglich bei öffentlichen Unternehmen will die Zentralbank bei Primärplatzierungen nicht mitmischen.
Die Bonds können Restlaufzeiten zwischen sechs Monaten und 30 Jahren haben, was anders formuliert praktisch den ganzen Markt umfasst. Bemerkenswert ist jedoch vor allem, wo die EZB die Obergrenze angesetzt hat, bis zu der sie Bonds aus einer Emission erwerben will: Bis zu 70 Prozent des ausstehenden Volumens einer Emission kann die Notenbank kaufen. Andere Bondinvestoren würden damit praktisch aus diesen Anleihen herausgedrängt werden.
Es träfe vor allem große institutionelle Investoren, die nur größere Pakete erwerben und dabei auf ein gewisses Mindestmaß an Handelsliquidität angewiesen sind. Für CFOs mit Kapitalmarktzugang bedeutet dies schlicht, dass die EZB ihr mit Abstand größter Gläubiger werden kann und für andere Investoren die eigenen Bonds nicht mehr als Investitionsziel infrage kommen.
EZB wird den Corporate-Bond-Markt dominieren
Das Einzige, was noch zwischen dem jetzigen Zustand und einer großen Dominanz der EZB am Corporate-Bond-Markt steht, ist die große Tiefe des Marktes. Laut Daten der NordLB liegt das ausstehende Volumen von Unternehmensanleihen im Investmentgrade-Bereich im Euroraum „bestenfalls“ bei rund 821 Milliarden Euro. Andere Banken kommen auf etwas geringere Zahlen. Die EZB hat durch die Aufstockung ihres Kaufprogramms monatlich zunächst aber „nur“ 20 Milliarden Euro mehr, die sie in den Bondmarkt pumpen kann. Rund 5 Milliarden davon könnten in Unternehmensanleihen fließen, schätzen EZB-Beobachter.
Der Verdrängungsdruck durch die EZB dürfte auch bei Neuemissionen die Preise am Bondmarkt weiter drücken. Auch Anleihen mit negativer Verzinsung sind für die EZB nicht vom Kauf ausgeschlossen. Wenn für Investoren am Investmentgrade-Markt weder die nötigen Zuteilungen noch eine für sie attraktive Rendite zu bekommen sind, werden wohl viele von ihnen auf andere Marktsegmente ausweichen. Auch am High-Yield-Markt zeigen sich jetzt schon die ersten Folgen.
Die ersten Marktverzerrungen haben sich schon nach der Ankündigung der Maßnahmen abgezeichnet. Das Emissionsvolumen von Unternehmensanleihen schoss nach oben, das Investoreninteresse wuchs schlagartig. Die Sorgen um eine massive Verzerrung des Marktes wachsen.
Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.