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Restrukturierungs-News: Steigende Großinsolvenzen, Infineon, Zender

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Der Kreditversicherer Allianz Trade prognostiziert für 2024 eine Zunahme der Pleiten um 21 Prozent. Foto: Arcady - stock.adobe.com
Der Kreditversicherer Allianz Trade prognostiziert für 2024 eine Zunahme der Pleiten um 21 Prozent. Foto: Arcady - stock.adobe.com

Großinsolvenzen steigen um mehr als ein Drittel

Die Insolvenzen in Deutschland nehmen deutlich zu und dieser Trend dürfte sich im weiteren Jahresverlauf fortsetzen, da die Wirtschaft weiterhin mit der Rezession kämpft. Der Kreditversicherer Allianz Trade prognostiziert für 2024 eine Zunahme der Pleiten um 21 Prozent auf rund 21.500 Fälle, nach bereits 22 Prozent Anstieg im Jahr 2023. Ende 2024 dürften die Fallzahlen etwa 15 Prozent über dem Niveau von 2019 liegen. Erst 2025 könnten die Insolvenzwelle mit einem moderaten Zuwachs der Fallzahlen um weitere rund 2 Prozent auf dann 22.000 Fälle etwas abflachen, prognostiziert Allianz Trade.

Nicht nur die Pleitefälle im Allgemeinen sollen zunehmen, sondern vor allem die Großinsolvenzen, zeigen Daten von Allianz Trade. Im ersten Halbjahr 2024 gab es bereits 40 große Insolvenzen, ein Anstieg von 37 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Der kumulierte Umsatz der großen Pleiten belief sich in den ersten sechs Monaten 2024 auf 11,6 Milliarden Euro und lag damit bereits zum Halbjahr über dem Gesamtumsatz der insolventen Großunternehmen im Jahr 2023. Deren durchschnittlicher Umsatz lag bei 290 Millionen Euro, ein Plus von 85 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023.

Die Gründe für die Insolvenzen sind vielfältig und reichen von fälligen Corona-Darlehen bis zur Abhängigkeit von Großkunden. Besonders betroffen sind das Baugewerbe und der Einzelhandel, insbesondere der Modeeinzelhandel. Auch Kliniken kämpfen weiterhin mit großen Herausforderungen. Zu den sieben großen Insolvenzen im Dienstleistungssektor gehören drei Kliniken, zwei Tourismus-Unternehmen sowie zwei weitere Firmen aus dem Bereich Software- und IT-Dienstleistungen.

 Grafik: Anzahl der Großinsolvenzen in Deutschland im Verlauf (2016-2024). Quelle: Allianz Trade
Grafik: Anzahl der Großinsolvenzen in Deutschland im Verlauf (2016-2024). Quelle: Allianz Trade

Infineon und Jaffé einigen sich nach jahrelangem Rechtsstreit

Seit 2010 haben sich der Chiphersteller Infineon und der Insolvenzverwalter des Halbleiterherstellers Qimonda, Michael Jaffé, im Rahmen einer Unterbilanz- und Differenzhaftungsklage um Beträge gestritten. Ende August haben sich beide Parteien nun auf einen Vergleich geeinigt.

Dieser sieht eine Zahlung von 753,5 Millionen Euro vor, die sich aus einer nominellen Summe von 800 Millionen Euro abzüglich Anrechnungsbeträgen ergibt. Ursprünglich hatte der Insolvenzverwalter rund 3,4 Milliarden Euro gefordert. Mit dieser Einigung sind nun alle Rechtsstreitigkeiten und Ansprüche des Insolvenzverwalters gegen Infineon erledigt. Die Zahlung soll aus vorhandenen Barmitteln erfolgen und das Ergebnis sowie den Cashflow aus nicht fortgeführten Aktivitäten belasten.

Nun muss der Vergleich noch durch das Gericht festgestellt werden. Der Gläubigerausschuss von Qimonda sowie der Vorstand und der Aufsichtsrat von Infineon haben bereits zugestimmt. Damit hat Insolvenzverwalter Jaffé im Laufe der Jahre in Streitigkeiten mit verschiedenen Parteien Erlöse über 1,2 Milliarden Euro für die Gläubiger realisiert. Infineon wurde in der Vergleichsverhandlung von der Kanzlei Gleiss Lutz unter Federführung von Michael Arnold und Dirk Wasmann beraten.

Was war passiert? Die ehemalige Infineon-Tochter Qimonda musste nach erheblichen Verlusten im Januar 2009 Insolvenz anmelden. Der Insolvenzverwalter warf Infineon vor, bei der Auslagerung des Speicherchipgeschäfts im Jahr 2006 eine wirtschaftliche Neugründung verschwiegen zu haben, wodurch das tatsächliche Gesellschaftsvermögen von Qimonda niedriger als das Grundkapital ausfiel. Jaffés Forderung: Diese Differenz müsse Infineon Qimonda erstatten. Infineon hatte die Klage stets als unbegründet angesehen und angekündigt, sich durch alle Instanzen dagegen zur Wehr zu setzen.

Investor führt Autozulieferer Zender fort

Der Osnabrücker Automobilzulieferer Zender hat seine Sanierung in Eigenverwaltung mit einer Investorenlösung abgeschlossen. Eine Investorengruppe um den bisherigen Geschäftsführer Marco Dei Vecchi übernimmt die Zender Holding und Zender Germany, die künftig unter einem Dach als Zender Solutions firmieren werden. Das Unternehmen konzentriert sich auf die Herstellung und den Vertrieb von Automobilprodukten sowie die Entwicklung von Carbon-Bauteilen und Composite-Materialien.

Die Ende Mai begonnene Restrukturierung war notwendig aufgrund rückläufiger Umsätze, hoher Finanzierungskosten und eines hohen Krankheitsstands. Die Hälfte der Arbeitsplätze, 35 an der Zahl, wird durch die Sanierungslösung gesichert. Die Geschäftsführung wurde von Malte Köster und Martin Gehlen (Willmerköster) als Generalbevollmächtigte unterstützt. Gerrit Hölzle (Görg) agierte zu Beginn als vorläufiger Sachwalter und wurde zum 1. September, mit Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens, zum Insolvenzverwalter bestellt.

Nicht gerettet werden konnte hingegen Zender Medical. Das Unternehmen, das Schutzmasken produziert(e), wird abgewickelt, da nach der Pandemie kein Geschäftsbetrieb mehr existiere, heißt es in einer Mitteilung.

Weitere Insolvenz- und Sanierungsverfahren

Solovoltaik, ein Online-Shop für Balkonkraftwerke, muss den Geschäftsbetrieb einstellen. Denn das Unternehmen hinter Solovoltaik, Monolith International, ist insolvent. Der Großhändler aus Essen ist bekannt für die Stecker-Solargeräte, die auch einst der Discounter Aldi verkaufte. Im letzten Jahr wurde bekannt, dass ein sicherheitsrelevanter Kupplungsschalter fehlte, was zu einer Produktwarnung und Umtauschaktionen führte. Diese Krise mündete schließlich in der Insolvenz.

Nach fast 200 Jahren Unternehmensgeschichte muss die Spezialpapierfabrik Ober-Schmitten aus Nidda Insolvenz anmelden. Auch die Gesellschafterin ISH Paper hat einen Insolvenzantrag gestellt, obwohl sie keinen laufenden Geschäftsbetrieb hat. Das Amtsgericht Friedberg hat beiden Anträgen stattgegeben und Jan Markus Plathner (Brinkmann & Partner) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Plathner plant, die Rohstofflieferkette wieder aufzubauen und einen internationalen Investorenprozess für den Verpackungslieferanten des Food- und Non-Food-Sektors zu starten.

Eine Investorenforderung hat den Projektentwickler von Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen), Fellensiek Projektmanagement, in Liquiditätsschwierigkeiten gebracht, woraufhin dieser Insolvenz anmelden musste. Ein Investor fordert von der Holdinggesellschaft einen nicht näher genannten Betrag in Millionenhöhe. Anfang September wurde Christian Kaufmann (Pluta) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, der sich dieser Tage einen Überblick über die Situation verschafft. Zudem strebt er Verhandlungen mit Interessenten an, die die PV-Projekte übernehmen möchten. Die Gruppe hat rund 20 Projektgesellschaften, die sich nicht im Insolvenzverfahren befinden.

Das Amtsgericht München hat die Insolvenzverfahren über das Vermögen von FTI Touristik und Bigxtra Touristik eröffnet und Axel Bierbach (Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen) zum Insolvenzverwalter bestellt. FTI Touristik und Bigxtra Touristik, Kern des drittgrößten deutschen Reisekonzerns FTI Group, stellten Insolvenzanträge wegen Überschuldung. Bierbach betonte, dass keine Fortführungsaussichten für den Geschäftsbetrieb als Ganzes bestehen. Rund 700 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs, während 320 bereits neue Arbeitsplätze gefunden haben. Der Verkauf von FTI-Beteiligungen sicherte zahlreiche Arbeitsplätze in den Tochtergesellschaften.

Die Gussek Gruppe, ein Fertighausanbieter aus Nordhorn, hat für seine operativen Gesellschaften Insolvenzanträge gestellt. Stefan Meyer (Pluta) wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter von Gussek-Haus Franz Gussek bestellt. Christian Kaufmann (Pluta) übernimmt die Verwaltung von Gussek Haus Kellerbau und Fensterbau Gussek. Gründe für die Insolvenz seien Umsatzrückgänge, Materialpreissteigerungen und höhere Personalaufwendungen, so die Insolvenzexperten.

Distressed-M&A-Deals

Für das insolvente Tech-Unternehmen Hoeller Electrolyzer wurde eine Investorenlösung gefunden. Wenige Wochen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat Insolvenzverwalter Remo Kruse (Anchor Rechtsanwälte) einen Käufer gefunden. Das 2016 gegründete Unternehmen aus Wismar musste Ende März Insolvenz anmelden. Käufer ist H2greenplanet, ein Joint Venture von Buro aus Winden und TMI Technology Group aus Ankara. Der Betriebsübergang erfolgte zum Monatsbeginn. Hoeller Electrolyzer entwickelte unter dem Namen „Prometheus“ prämierte Anlagen zur industriellen Wasserstoffherstellung. Diese Technik will der neue Eigentümer weiter vorantreiben.

Auch der Bio-Babynahrungshersteller Töpfer kann mit einer Investorenlösung fortbestehen. Das Family Office TCF Capital des Rohlik-Gründers Tomáš Čupr beteiligt sich an dem insolventen Unternehmen. Dabei wurde das Family Office von Deloitte Legal unter der Leitung von Eike Fietz beraten. Töpfer geriet durch die Corona-Pandemie in Schwierigkeiten und eröffnete im Juli ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Gemeinsam mit Pluta, Grub Brugger und Deloitte Financial Advisory entwickelte Deloitte Legal ein Investmentkonzept, das TCF Capital die Übernahme aller Geschäftsaktivitäten und Vermögenswerte von Töpfer ermöglicht. Die Transaktion sichert den Fortbestand des Produktionsstandorts in Dietmannsried und erhält rund 135 Arbeitsplätze. Die Kartellbehörden müssen dem Deal noch zustimmen; mit dem Vollzug der Transaktion rechnen die Parteien im Frühherbst 2024.

Info

Esra Laubach ist Redakteurin bei FINANCE und widmet sich schwerpunktmäßig den Themen Transformation, Restrukturierung und Recht. Sie ist Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin. Vor FINANCE war sie rund fünf Jahre als Legal-Journalistin für den Juve Verlag in Köln tätig, wo sie auch ihr journalistisches Volontariat absolvierte. Esra Laubach arbeitete während ihres Studiums multimedial u.a. für das ARD-Morgenmagazin, mehrere Zeitungen und moderierte beim Hochschulradio Kölncampus.