Damit haben die meisten Prozessbeobachter nicht gerechnet: Nach einer Woche Beratungszeit hat die Jury im ersten Teil des Glyphosat-Prozesses dem Kläger recht gegeben und Bayer damit eine empfindliche Niederlage zugefügt. Die Laien-Jury in San Francisco sah es als erwiesen an, dass das Unkrautvernichtungsmittel Roundup ein „erheblicher Faktor“ bei der Krebserkrankung des Klägers war.
Hätten die Geschworenen Bayer Recht gegeben, wäre dies einem Freispruch gleichgekommen. Nun aber geht der Prozess zu Teil zwei über. Dort muss Bayer nun beweisen, dass die neue US-Tochter Monsanto die Anwender von Glyphosat über mögliche Krebsrisiken angemessen informiert hat.
Gelingt dies nicht, drohen Bayer enorme Strafzahlungen, da es sich bei dem laufenden Prozess in Kalifornien um einen „Bellweather Case“ handelt, der Signalwirkung für viele weitere Verfahren haben wird. Insgesamt liegen Bayer schon über 11.000 Klagen von Roundup/Glyphosat-Nutzern vor.
Bayer-Aktie stürzt zweistellig ab
Bayer hatte Monsanto erst im vergangenen Jahr für die Rekordsumme von 63 Milliarden Dollar übernommen und dabei seinen Leverage auf fast 4x Ebitda in die Höhe getrieben. Das US-Urteil lässt die Bayer-Aktie nun wieder in Richtung ihres Siebenjahrestiefs abstürzen, das sie erst im Dezember bei unter 60 Euro markiert hatte. Nach der ersten Handelsstunde steht ein Minus von 12 Prozent auf 61 Euro zu Buche.
Bayer zeigt sich in einer ersten Reaktion „enttäuscht“ von der Jury-Entscheidung. Der Konzern behauptet jedoch, dass sie „keinen Einfluss auf zukünftige Fälle“ habe: „Jedes zukünftige Verfahren ist gesondert zu betrachten auf der Basis der jeweiligen Umstände und rechtlichen Bedingungen.“
Bayer-Aktie auf Talfahrt (Drei-Jahres-Chart)
Bayer ist mit 44 Milliarden Euro verschuldet
Für Bayer hat die juristische Niederlage mehrere Konsequenzen: Das US-Analysehaus Bernstein glaubt, dass es für die Leverkusener in den nächsten Prozessen wohl nur noch um Schadensbegrenzung gehen könne. Die Analysten der Mainfirst Bank heben ihre Schätzung für die drohenden Strafzahlungen auf bis zu 11 Milliarden Euro an.
Straf- und Schadenersatzzahlungen in einer solchen Höhe würden ein tiefes Loch in die Bayer-Kasse reißen. Eigentlich hatte der neue Finanzchef Wolfgang Nickl geplant, den übernahmebedingten Schuldenberg in den nächsten Jahren deutlich abzutragen und gleichzeitig die Aktionäre über steigende Dividenden und eventuell sogar Aktienrückkäufe zu bedienen. Zum Jahresende 2018 bilanzierte Nickl eine Nettofinanzverschuldung von 35,7 Milliarden Euro bei einem Ebitda von 9,5 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch Pensionslasten in Höhe von 8,6 Milliarden Euro.
FINANCE-Köpfe
Bayer hat noch keine Rückstellungen gebildet
Bayer hat einen strikten Entschuldungskurs eingeschlagen und dafür seine Tierarzneisparte sowie weitere kleinere Beteiligungen und Marken zum Verkauf gestellt. Der Konzern hofft auf Verkaufserlöse von insgesamt bis zu 10 Milliarden Euro. Doch anstatt die Bilanz zu stärken, könnten diese Einnahmen direkt an die Monsanto-Kläger fließen.
Auch der Gewinn- und Verlustrechnung droht Ungemach. Bayer hat für die Kosten der Monsanto-Prozesse erst 250 Millionen Euro zurückgestellt. Dieser Betrag soll jedoch einzig und allein die Verteidigungskosten abdecken.
Die Baader Bank schreibt in einem Kurzkommentar, dass nun aktivistische Investoren versuchen könnten, Bayers Notlage und den abgestürzten Aktienkurs auszunutzen, um eine Attacke auf den Dax-Konzern zu starten. Träfe dies ein, könnte Bayer sogar die Zerschlagung drohen. Es kursieren Szenarien, wonach die Pharmasparte in zwei Bereiche – einen forschenden und einen für rezeptfreie Medikamente – geteilt werden könnte. Beide Teilbereiche könnten dann einzeln an andere Pharmakonzerne verkauft werden.
Bayer-Chef Werner Baumann weist die Sinnhaftigkeit solcher Transaktionen vehement zurück. Aber der Druck auf den Ex-CFO, der unmittelbar nach seinem Aufstieg an die Konzernspitze die Monsanto-Übernahme eingefädelt hatte, ist mit dem heutigen Tag weiter gewachsen. Die Hauptversammlung am 25. April droht einen schwerer Gang für Baumann zu werden.

