„Künstliche Intelligenz – Zeitenwende mit Ansage“ prangt groß auf der Bühne. Viele Teilnehmer der diesjährigen 19. „Structured FINANCE“ haben den Weg ins Plenum gefunden, um den letzten Programmpunkt der Veranstaltung zu sehen: die Abschluss-Keynote über Künstliche Intelligenz. Auf humorvolle Weise berichtet der Informatiker und KI-Experte Chris Boos über die Rolle von Künstlicher Intelligenz für die Weltwirtschaft, aber auch für jeden Einzelnen von uns.
„Die Mission ist, dass wir menschliche Potentiale freisetzen und durch KI mehr Raum für innovatives Denken schaffen“, betont Boos zur Eröffnung seines Vortrags. Dabei sei KI nicht nur für Mustererkennung und Prognosen gut, sondern ein Instrument, um ein komplett neues System zu ermöglichen.
Es ist eine Zeitenwende, ist sich Boos sicher, und sieht ein Ende des industriellen Zeitalters. „Die Digitalisierung bedeutet den Abschied vom industriellen Prinzip der Standardisierung und des Skaleneffekts“, sagt der KI-Experte.
KI kaum Gefahr für Arbeitsplätze
Gleichzeitig nimmt Boos den Zuhörern die Angst, dass die KI künftig den Menschen ersetzen könnte – auch in der Finanzabteilung. Besonders in der Buchhaltung oder im Controlling wird die KI als Gefahr für die Arbeitsplätze angesehen. Diese Befürchtungen teilt Boos jedoch nicht. Seiner Ansicht nach werde KI keine Arbeit wegnehmen, sondern Prozesse vereinfachen und unterstützen. „Sie brauchen keine Angst vor einer Super-Intelligenz haben. Maschinen wurden schon immer gebaut, damit sie besser sind als Menschen.“
„Gerade der Finanzmarkt ist von einer hohen Komplexität geprägt. Maschinen kennen in der Hinsicht kein Limit, während Menschen ein Komplexitätslimit haben.“ Allerdings gebe es einen entscheidenden Unterschied zwischen KI und dem Menschen.
Zwar können Maschinen mit komplexen Datenstrukturen arbeiten, jedoch könne KI keine kausalen Zusammenhänge erkennen. Während die Maschine lediglich mathematisch berechenbare Daten verarbeiten könne, erfassten Menschen auch Kausalzusammenhänge und Absichten. Hinzu kommt die Fähigkeit zu Empathie. Boos sieht erhebliche Chancen mit den bereits existierenden Lösungen diese menschlichen Kernkompetenzen zu fördern. „KI wird dazu führen, dass Servicequalität und zwischenmenschliche Interaktionen an Bedeutung gewinnen. Das ist ein riesiges Comeback“, sagt er.
Compliance durch KI vereinfachen
Trotz der bisherigen Entwicklungen haben Boos zufolge viele Unternehmen das Thema KI noch nicht auf der Agenda. Das sollte sich schnellstmöglich ändern. Der KI-Experte prognostiziert, dass bis 2025 bereits 52 Prozent der bisher von Menschen ausgeführten Aufgaben von Maschinen übernommen werden. Zum Vergleich: Die ersten 32 Prozent dieser Transformation dauerten etwa 30 Jahre, die letzten 20 Prozent dann nur sieben Jahre. Diese schnelle Qualitätsoptimierung eröffnet der Wirtschaft gewaltige Chancen, effizienter zu agieren.
Für die Finanzabteilungen von Unternehmen sieht Boos starke Vorteile in der Anwendung von KI, insbesondere im Bereich der Compliance. Er rät Unternehmen dazu, bei der Bearbeitung von Compliance-Themen auf KI-Lösungen zurückzugreifen. Der Bereich sei hoch komplex, weshalb KI besonders hilfreich sein kann.
Boos ermutigt die Teilnehmer dazu, redundante Aufgaben speziell in der Finanzabteilung ausfindig zu machen und individuelle KI-Lösungen anzuwenden, um die dadurch gewonnene Zeit für andere Aufgaben zu nutzen.
Obwohl Künstliche Intelligenz schon jetzt in vielen Bereichen Fortschritte gemacht hat, betont Boos, dass diese nicht überall anwendbar sei. Der Faktor Mensch sei nicht zu unterschätzen. Beispielsweise werde die Entscheidung zur Kreditwürdigkeit von Geschäftskunden weiterhin in der Verantwortung menschlichen Personals liegen. Die Intuition und das situative Urteilsvermögen von Menschen bleiben in bestimmten Situationen unersetzlich. Stichwort Service: „Den Firmenkundenbanker wird es auch weiterhin geben”, so Boos.
Daten richtig nutzen
Die Arbeit in der Finanzabteilung basiert größtenteils auf Daten. Dabei rät Boos Unternehmen, nicht blind und kostenintensiv riesige Datenberge anzuhäufen. Stattdessen sollten semantische Datenmodelle geschaffen werden, um KI-Systeme zu trainieren. „Unternehmen müssen weg von dem Modell nur Rohdaten zu erfassen, hin zu einem, in dem sie den Daten Bedeutung und Kontext geben“, sagt er.
Die Kernaussage des KI-Experten dürfte am Ende wohl alle Teilnehmer der Structured FINANCE zum Nachdenken angeregt haben: „Wir sollten aufhören Menschen wie Maschinen arbeiten zu lassen ”, betonte Boos. Dabei kann die KI unterstützen. „Es ist an der Zeit, sich auf diese spannende Reise vorzubereiten und die Potentiale der KI in der Finanzabteilung voll auszuschöpfen.”
Jasmin Rehne ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die Themen Controlling, Gehalt und Personal. Sie hat in Marburg Sprache und Kommunikation studiert. Neben ihrem Studium arbeitete Jasmin Rehne bereits als studentische Hilfskraft bei FINANCE.
