EY Deutschland wird die Schatten der Vergangenheit nicht los

Hinterher ist man immer schlauer. Das dürfte wohl auch EY Deutschland, 15 Jahre nach einer allesverändernden Entscheidung, denken. Damals hatte man sich entschieden, das Mandat zur Abschlussprüfung bei dem aufstrebenden Zahlungsdienstleister Wirecard zu übernehmen, ein prestigeträchtiges Mandat. Heute ist davon nichts mehr übrig. Wenn die Möglichkeit des Zeitreisens existieren würde, vermutlich wäre schon längst ein Managing Partner der Big-Four-Gesellschaft zurückgereist und hätte versucht, diese Entscheidung ungeschehen zu machen. Von 2009 an bis zur Insolvenz des Zahlungsdienstleisters prüfte EY die Bilanzen des Dax-Unternehmens und verstrickte sich damit in den größten Bilanzskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Die Prüfer übersahen jahrelang trotz verschiedener Warnungen und Hinweise, dass Treuhandkonten in Südostasien, auf denen angeblich 1,9 Milliarden Euro liegen sollten, nicht existierten – und vergaben bis 2018 jedes Jahr aufs Neue einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Die Verfehlungen der Wirtschaftsprüfer wurden im Sonderbericht von KPMG, dem Wambach-Report und von der Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) dokumentiert und aufgearbeitet. Und obwohl EY von der Apas mit einer Geldstrafe von 500.000 Euro und einem zweijährigen Annahmeverbot neuer Mandate zur Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse belegt wurde und keiner der verantwortlichen Wirtschaftsprüfer mehr für die Gesellschaft arbeitet, ist der Fall Wirecard und die Rolle EYs darin noch längst nicht abgeschlossen. EY will aus Wirecard gelernt haben EY kann noch so oft darauf verweisen, Konsequenzen aus dem Wirecard-Desaster gezogen, die internen Strukturen überarbeitet, das Qualitätssicherungssystem umgebaut und Kontrollmechanismen weiter professionalisiert zu haben, damit sich solch ein Versagen nicht mehr wiederholt. EY kann noch so oft betonen, dass der Wirecard-Skandal in den Führungsetagen und Prüfungsausschüssen der deutschen Wirtschaft keine Rolle für die Wahl des Abschlussprüfers mehr spielen soll. Doch so sehr EY Deutschland das Kapitel Wirecard hinter sich lassen will, der Schatten ist lang, so schnell wird EY ihn nicht wieder los. Der Bundesgerichtshof wird demnächst darüber entscheiden, ob ein Bestätigungsvermerk eine Kapitalmarktinformation im Sinne des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes ist. Entscheidet das BGH im Sinne der Beschwerdeführer, wird vermutlich ab November in München das Kapitalanleger-Musterverfahrens (KapMuG) gegen Wirecard in München fortgesetzt, bei dem das Bayerische Oberste Landesgericht dann erneut entscheiden muss, ob EY gegenüber tausenden Wirecard-Anlegern schadensersatzpflichtig ist. Bestätigt das BGH den Teilmusterbescheid des BayObLGs, können mehrere Tausend Anleger – das Gericht spricht von 8.500 Einzelklagen, Anlegerschützer von bis zu 50.000 Anlegern – EY einzeln auf Schadensersatz verklagen. Egal, wie das BGH über die Rechtsbeschwerde entscheiden wird: Der oder die Zivilprozesse gegen EY werden sich noch Jahre hinziehen. Wirecard landet vermutlich auch in den USA vor Gericht Zuletzt wurde zudem eine Klage in den USA bekannt, bei der ein ehemaliger Partner EY USA schwere Vorwürfe macht, wie etwa Beihilfe zur organisierten Kriminalität, was EY Global entschieden bestreitet. In der 118-seitigen Anklageschrift findet sich das Wort „Wirecard“ 32-mal. EY USA prüfte die US-Niederlassungen des Zahlungsdienstleisters und der ehemalige Partner will schon Jahre vor dem Kollaps vor Ungereimtheiten und Unregelmäßigkeiten bei Wirecard gewarnt haben. Die Anwälte des Musterklägers Kurt Ebert wollen nun versuchen, EY auch in den USA auf Schadensersatz zu verklagen. Auch hier ist nicht mit einer schnellen Entscheidung zu rechnen. Viele Zivilprozesse laufen noch gegen EY Deutschland Diese Woche vertagte das Landgericht Frankfurt den Urteilsspruch im Prozess zwischen der Commerzbank und EY, in dem es um 190 Millionen Euro Schadensersatz geht. Jetzt soll erst einmal ein Sachverständiger ein Gutachten erstellen. Auch das wird dauern. Und ein Urteil ist damit längst noch nicht gesprochen. Und dann ist da noch die Schadensersatzklage, die der Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé gegen EY Deutschland beim Landgericht Stuttgart eingereicht hat. Auch hier ist unklar, wie lange sich ein Verfahren ziehen wird. Doch wer das Tempo der deutschen Justiz kennt, weiß, mit einer schnellen Entscheidung ist nicht zu rechnen. Nächstes Frühjahr enden die aufsichtsrechtlichen Sanktionen gegen EY Deutschland, dann darf die Big-Four-Gesellschaft immerhin wieder neue Mandate bei Unternehmen von öffentlichem Interesse annehmen; ausgestanden ist das Thema Wirecard damit noch lange nicht. Den Schatten der Vergangenheit kann man nicht entkommen, sie werden EY Deutschland noch lange verfolgen.

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