John Cryan hat seinen Kampf, Chef der Deutschen Bank zu bleiben, verloren. Der Aufsichtsrat hat Cryan gestern Abend abgesetzt und den Privat- und Firmenkundenchef Christian Sewing mit sofortiger Wirkung zum Vorstandsvorsitzenden von Deutschlands größter Bank ernannt. Cryan wird die Bank zum Monatsende nach drei Jahren als CEO verlassen.
Auch der für lange Zeit als Kronprinz gehandelte Marcus Schenck wird der Deutschen Bank den Rücken kehren. Er stand laut Aufsichtsratschef Paul Achleitner für eine Rolle innerhalb der neuen Führung nicht zur Verfügung und habe der Bank bereits vor Ostern mitgeteilt, zur Hauptversammlung am 24. Mai ausscheiden zu wollen. Schenck verantwortete zusammen mit Garth Ritchie die Corporate & Investmentbank (CIB) und war zusammen mit Christian Sewing einer der beiden Stellvertretender von Cryan. Schenck kam im Januar 2015 von Goldman Sachs zur Deutschen Bank und war zunächst zwei Jahre lang CFO, bevor er im Juni 2017 Co-Chef des CIBs wurde.
Im CIB bündelt die Bank ihr Investmentbanking, das Transaction Banking und die Betreuung der großen und multinationalen Firmenkunden. In der Privat- und Firmenkundenbank betreut die Deutsche Bank ihre Privat- und Wealth-Management-Kunden sowie kleine und mittlere Firmenkunden. Den meisten größeren Firmenkunden der Deutschen Bank dürfte der neue Chef Sewing daher nicht persönlich bekannt sein.
Deutsche Bank gibt Doppelspitzen auf
Die neue Führung der Bank sieht wie nun folgt aus: An der Spitze steht Sewing. Das CIB verantwortet der Südafrikaner Garth Ritchie künftig alleine. Presseberichten zufolge wollte Ritchie die Bank verlassen, nun gibt ihm Aufsichtsratschef Achleitner mehr Macht.
Auch im Privat- und Firmenkundengeschäft gibt die Bank ihre Doppelspitze auf. Nach der Beförderung Sewings übernimmt Postbank-Chef Frank Strauß die alleinige Verantwortung. Die beiden neuen Stellvertreter von CEO Sewing sind Investmentbanking-Chef Ritchie sowie Rechts- und Personalvorstand Karl von Rohr.
Mit der Ernennung Sewings versucht Achleitner, ein Zeichen der Demut und Bodenständigkeit zu setzen. „Wir setzen auf die innere Kraft unserer Bank, auf die vielen großen Talente, die wir haben“, lässt sich Achleitner zitieren. Der 48 Jahre alte Sewing hat als Auszubildender bei der Deutschen Bank in Bielefeld angefangen und später verschiedene Auslandsstationen wie Toronto, Tokio, Singapur und London absolviert, zum Teil als Risikomanager. Das Investmentbanking fehlt in seiner Vita – ein Karriereprofil, das die Investmentbanker der Deutschen Bank nicht besonders schätzen dürften. Sewing ist auch der erste Deutsche-Bank-Chef seit 16 Jahren, der kein Investmentbanker ist.
Auch bei den Investoren genießt Sewing keinen ungetrübten Ruf. Vor allem internationale Investoren monieren, dass die Wiedereingliederung der Postbank, für die Sewing die Verantwortung trägt, zu lange dauere und den Mitarbeitern zu großzügige Zugeständnisse gemacht worden seien. Auf der anderen Seite allerdings schätzen die Arbeitnehmervertreter Sewing für diese Behutsamkeit.
Sewing kritisiert Teamgeist der Deutschen Bank
Sewing selbst vermittelt in einem Brief an die Mitarbeiter von sich das Bild des demütigen Allrounders, der die Bank im Herzen trägt. Gleichzeitig liest der neuen Chef den Mitarbeitern aber gleich die Leviten: „Wir müssen den Teamgeist in den Mittelpunkt stellen. Darin liegt das größte Potenzial unserer Bank. Wenn wir alle mehr daran denken, wie wir unsere Kollegen unterstützen, werden wir erfolgreicher sein.“
Weiter fordert Sewing, dass die Bank ihre „Jägermentalität zurückgewinnen“, sich „in allen Geschäftsbereichen steigern und die Messlatte wieder höher legen“ müsse. Der Start in das Jahr sei solide gewesen, aber solide dürfe nicht der Anspruch der Deutschen Bank sein.
Sewing stellt Investmentbanking auf den Prüfstand
Auch zum Thema Kosten, die die Deutsche Bank nicht in den Griff bekommt, findet Sewing deutliche Worte: „Die bereinigten Kosten dürfen dieses Jahr 23 Milliarden Euro nicht übersteigen. Das ist nicht verhandelbar." Zielverfehlungen auf der Kosten- und Ertragsseite werde das neue Führungsteam nicht mehr akzeptieren. „Hier werden wir harte Entscheidungen treffen und umsetzen“, kündigt er unmissverständlich eine härtere Gangart als Cryan an, der allerdings auch schon als Sanierer und Kostensenker angetreten war.
Sewings Blick richtet sich offenbar tatsächlich auf das Investmentbanking, wo verschiedenen Medienberichten zufolge gerade ein Projekt mit dem Namen „Colombo“ läuft, das Einsparmöglichkeiten im Investmentbanking finden soll. In seinem Brief kündigte Sewing an, sich dort zurückziehen zu wollen, wo die Bank nicht ausreichend rentabel arbeiten könne. Dies dürfte vor allem für viele Handelsaktivitäten in den USA gelten, die viel Eigenkapital binden, aber wegen der enorm starken Konkurrenz der Wall-Street-Banken kaum Ertrag bringen.
Schon unter Cryans Regentschaft hatte sich die Deutsche Bank aus bestimmten Investmentbanking-Produkten und zehn Ländern zurückgezogen sowie unrentable Firmenkundengeschäftsbeziehungen auf den Prüfstand gestellt. Nun zeichnet sich die nächste Kürzungsrunde immer deutlicher ab.
Der Absturz der Deutsche-Bank-Aktie
Kurssprung für Deutsche-Bank-Aktie
Der Kapitalmarkt reagiert erleichtert auf das Ende der Chefspekulationen. Bis zum späten Vormittag steigt die Deutsche-Bank-Aktie um 4 Prozent auf 11,80 Euro und ist damit Tagessieger im Dax. Bei der Ernennung von John Cryan vor drei Jahren war der Kurs allerdings noch um 8 Prozent gestiegen.
Trotz der heutigen Erholung beläuft sich das Minus seit Jahresbeginn immer noch auf über 25 Prozent. Damit ist die Deutsche Bank abgeschlagenes Schlusslicht im Dax. Die Analystin Magdalena Stoklosa von Morgan Stanley mahnte in einer Kurzstudie zur Vorsicht: Die wichtigsten strategischen Fragen der Deutschen Bank seien nach wie vor unbeantwortet.
Der Rückstand, der sich gegenüber anderen Banken aufgetan hat, ist gewaltig. So sind die Credit-Spreads der Deutschen Bank – die Risikoaufschläge, die verlangt werden, um das Ausfallrisiko der Deutschen Bank abzusichern – mit 122 Basispunkten so hoch wie bei keinem anderen vergleichbaren Wettbewerber. Und während die Aktienkurse der meisten Wettbewerber in den vergangenen Jahren zugelegt haben, ist der Börsenwert der Deutschen Bank seit 2014 von 35 auf unter 24 Milliarden Euro gefallen.