Die EU-Mitgliedsländer dürfen Finanzinvestoren untersagen, sich an Rechtsanwaltskanzleien zu beteiligen. Das hat der Europäische Gerichtshof in einer Auseinandersetzung zwischen der Rechtsanwaltskammer München und einer lokalen Kanzlei entschieden. Das Ziel, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihren Beruf unabhängig und unter Beachtung ihrer Berufs- und Standespflichten ausüben können, rechtfertige Schranken bei der Niederlassungsfreiheit und dem freien Kapitalverkehr (Az.: C-295/23).
Diese Frage ist keine berufsrechtliche Debatte im juristischen Elfenbeinturm. Das Verbot des Fremdbesitzes erhitzt die Gemüter in der Branche seit Jahren, weil es über die Zukunft der Rechtsmärkte in Deutschland und anderen europäischen Ländern bestimmt. Mit diesem Urteil bleiben die unterschiedlichen nationalen Schranken nun bestehen.
Arag kaufte in Großbritannien eine Kanzlei
Dass es anders geht, zeigt das Beispiel Großbritannien. Als der Versicherer Arag im Sommer 2023 den britischen Rechtsschutzversicherer D.A.S. UK erwarb, holte er sich dessen Tochter D.A.S. Law mit ins Haus, eine Rechtsanwaltskanzlei mit über 200 Mitarbeitenden und zwei Standorten.
Vor diesem Hintergrund sprach sich der Vorstandsvorsitzende des Düsseldorfer Konzerns, Renko Dirksen, klar gegen das Fremdbesitzverbot in Deutschland aus. Es stehe „der Lebenswirklichkeit einer modernen Dienstleistungsgesellschaft“ entgegen. Er hält es für einen Anachronismus des deutschen Rechtsmarkts und sagte: „Das Anwaltsmonopol in der Rechtsberatung und das Fremdbesitzverbot blockieren zeitgemäße Zugänge für rechtssuchende Verbraucherinnen und Verbraucher.“
Klar ist aber auch: Das Fremdbesitzverbot und die abgeschottete Wettbewerbssituation der Kanzleien setzen dem Geschäft der Versicherer Grenzen. Ohne Fremdbesitzverbot könnte die Arag selbst Sozietäten kaufen und ein eigenes Anwaltsteam aufbauen.
Auch im Kanzleimarkt selbst hätte eine solche Entwicklung die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen völlig verändern können: Kapital- und Finanzierungsmaßnahmen, etwa in den Bereichen IT, Legal Tech und künstliche Intelligenz, ließen sich völlig anders gestalten. Zusammenschlüsse von Kanzleien hätten eventuell an Dynamik gewonnen, und M&A-Transaktionen wären unter Umständen über Branchengrenzen hinweg möglich gewesen.
Generalanwalt sprach sich für strenge Regeln aus
Ausgangspunkt für die Vorabentscheidung des EuGH ist der Streit zwischen der Rechtsanwaltskammer München und der Rohrdorfer Kanzlei Halmer, die gegen den Verlust ihrer Zulassung beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof klagte (Az.: III-4-20/21). Zuvor hatte der Rechtsanwalt Daniel Halmer 51 Prozent der Anteile an der Kanzlei an Sive Beratung und Beteiligung aus Wien veräußert. Sie ist nicht in der Anwaltsbranche tätig, ihr Gesellschafter ist der Diplom-Kaufmann Simon Vestner.
In seinem Schlussantrag vom Juli 2024 hatte Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona bemängelt, dass es den Regeln der Bundesrechtsanwaltsordnung in mehreren Punkten „an der Kohärenz“ fehle, um die Vorgaben der EU-Dienstleistungsrichtline zu erfüllen. Allerdings hatte auch er sich für strenge Fremdbesitzvorgaben stark gemacht.
In dem Antrag findet sich der bemerkenswerte Satz, er sei dafür, „die vorbeugenden Maßnahmen zu verstärken, die von vornherein unmittelbare oder mittelbare Angriffe auf die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte verhindern, und zwar unabhängig vom Prozentsatz der Stimmrechte, die von Angehörigen anderer Berufe gehalten werden.“ Er sprach sich also für strengere Fremdbesitzregeln aus, weil er die bereits aufgeweichten Vorgaben für unzureichend hielt.
Die Bundesrechtsanwaltskammer sieht sich in ihrer Position bestätigt. Ihr Vizepräsident André Haug verteidigte in einer Mitteilung das Fremdbesitzverbot als „gerechtfertigt, um die anwaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten“. Dass Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf frei ausüben können, diene in besonderem Maße dem Schutz der Mandantinnen und Mandanten, die sich auf deren Unabhängigkeit verlassen können müssten.
Raphael Arnold ist Redakteur bei FINANCE. Er studierte in Gießen und Alexandria (Ägypten) Geschichte, Geografie und Arabisch. Schon vor und während des Studiums schrieb er für verschiedene Tageszeitungen. Bei den Nürnberger Nachrichten absolvierte er ein Volontariat und arbeitete im Anschluss in deren Wirtschaftsredaktion. Danach war er über 13 Jahre für den US-Investment News Service OTR Global als Researcher und Projektmanager tätig. Beim Juve Verlag verantwortete er bis Oktober 2024 knapp acht Jahre lang die Österreich-Publikationen.