Viel wird darüber diskutiert, wie man ein Wirecard 2.0 verhindern kann. Im größten Bilanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte haben etliche Kontrollinstanzen versagt – Wirtschaftsprüfer, Aufsichtsräte, Bafin, DPR und mehr. Geht es nach Bundesfinanzminister Olaf Scholz, sollen sie alle reformiert werden – so steht es zumindest im Regierungsentwurf zum „Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität“ (FISG), salopp auch als „Wirecard-Gesetz“ bezeichnet. Das Gesetz soll noch bis zur Bundestagswahl im September verabschiedet werden – Marktbeobachter glauben, dass es nur noch marginale Änderungen daran geben wird, wenn überhaupt.
Unternehmen sollen Abschlussprüfer öfter wechseln
Besonders die Wirtschaftsprüferbranche soll an die Kandare genommen werden. Kein Wunder, herrscht in der Öffentlichkeit doch große Aufregung darüber, dass Wirecards langjähriger Prüfer EY die Hinweise auf einen Betrug so lange nicht gesehen hat.
Eine zentrale geplante Maßnahme für die WP-Branche betrifft die Rotationsfrist: Nach dem Willen von Olaf Scholz sollen Unternehmen künftig nach spätestens zehn Jahren ihren Prüfer wechseln. Welche Folgen hätte dies für die Qualität der Wirtschaftsprüfung? Wie würde sich der Wirtschaftsprüfermarkt verändern? Und welche Big-Four– und Next-Ten-Gesellschaften könnten Verlierer oder Gewinner dieser Entwicklung sein? Unsere FINANCE-Analyse.
Verbessert ein Prüferwechsel die Prüfqualität?
Die Frage nach der richtigen Rotationsfrist ist keineswegs neu. Schon nach den Bilanzskandalen Anfang der 2000er wurde emotional darüber diskutiert, ob und wie kürzere Rotationsfristen die Prüfqualität verbessern könnten. Die Idee dahinter: Prüft eine Gesellschaft ein Unternehmen über Jahrzehnte, könnte die nötige kritische Distanz verloren gehen. Routinen in den Prüfhandlungen schleichen sich ein, das Verhältnis zwischen Unternehmen und Kontrolleur wird womöglich sogar partnerschaftlich und geradezu vertraut – und das ließe sich ausnutzen.
Tatsächlich haben die meisten Unternehmen es ohne rechtliche Anweisung dafür nicht für notwendig gehalten, ihren Prüfer überhaupt jemals zu wechseln: So wurde die Allianz zum Beispiel 127 Jahre lang von KPMG geprüft, PwC prüfte die Lufthansa immerhin 65 Jahre.
Für die Prüfer waren das wertvolle Beziehungen und sichere Einnahmequellen – kein Wunder also, dass sich gerade die WP-Lobby massiv gegen kürzere Rotationsfristen wehrte. 2016 einigte man sich auf folgendes Modell: Kapitalmarktorientierte Unternehmen und Finanzinstitute müssen nach zehn Jahren ihr Prüfmandat neu ausschreiben. Während Banken, Versicherungen und Co. damit final rotieren müssen, dürfen andere Unternehmen den Prüfer nochmals für weitere zehn Jahre wählen. Entscheiden sie sich für eine Prüfung durch zwei Gesellschaften (Joint Audit) sind sogar Zeiträume bis zu 24 Jahre möglich.
Info
Dieser Artikel ist der erste in einer Reihe, der die Folgen des Wirecard-Gesetzes FISG auf die Prüferbranche behandelt. In der nächsten und übernächsten Woche lesen Sie bei uns noch eine Analyse zu den Folgen einer geplanten höheren Haftung sowie einer stärkeren Trennung von Prüfung und Beratung.
Wirtschaftsprüfer wehren sich gegen FISG
Das soll sich nun radikal ändern: Nach dem FISG-Entwurf soll künftig für alle kapitalmarktorientierten Unternehmen das Maximum von zehn Jahren gelten. Und wieder regt sich viel Widerstand in der Branche. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) etwa sorgt sich, dass die Prüfqualität leidet: „Bei einem Wechsel des Abschlussprüfers kann das gesammelte mandantenspezifische Know-how – auch wegen der zunehmenden Bedeutung der Beurteilung der immer stärker digital gewordenen Geschäftsmodelle – nicht kurzfristig auf den neu bestellten Abschlussprüfer transferiert werden“, gibt das IDW in einer Stellungnahme zum FISG-Entwurf zu bedenken.
Der nachfolgende WP müsse dieses Wissen dann im Laufe der Jahre neu erwerben. „Unter ansonsten identischen Umständen ist daher zu erwarten, dass die notwendige Prüfungssicherheit nur mit erhöhtem Aufwand erreicht werden kann.“
In der Tat ist die Einarbeitung gerade bei einem großen internationalen Konzern langwierig. Nicht umsonst begleitet der neue Prüfer den alten in manchen Fällen bis zu einem Jahr lang, bevor er das Mandat selbst übernimmt – diese zusätzlichen Kosten werden dann entweder auf das Honorar umgewälzt oder vom Prüfer für ein prominentes Mandat eben in Kauf genommen.
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Hätte ein neuer Prüfer den Bilanzskandal aufgedeckt?
Kritiker des Entwurfs weisen noch auf einen anderen Punkt hin: Wichtiger als der Wechsel der Prüfgesellschaft sei die Rotation des leitenden Abschlussprüfers, der letztlich das Testat unterschreibt. Diese erfolgt derzeit alle sieben Jahre. „Externe Rotation nach zehn Jahren und interne Rotation nach sieben Jahren – das steht in einem ungünstigen Verhältnis“, gibt Dagmar Steinert, Finanzchefin von Fuchs Petrolub, zu bedenken. „Der neue leitende Abschlussprüfer muss sich dann erst einarbeiten und ist dann nur noch zwei bis drei Jahre auf dem Mandat.“ In der Praxis wird allerdings nicht selten der Zweitunterzeichner zum neuen verantwortlichen Prüfer gewählt – der sich zumindest bereits eingearbeitet hat.
Klar ist, dass die Rotationsfrist nicht zu kurz und nicht zu lang gewählt werden sollte, um die Prüfqualität nicht zu gefährden. Zehn Jahre scheinen da ein guter Kompromiss. Viel entscheidender ist wohl eine andere Frage: Hätte der Wirecard-Skandal mit einer kürzeren Rotationsfrist überhaupt verhindert werden können?
Tatsächlich hat EY das Testat erst im elften Prüfungsjahr verweigert. Hätte bereits nach zehn Jahren ein Wechsel stattgefunden, sind zwei Szenarien denkbar. Vielleicht hätte ein neuer Prüfer die Ungereimtheiten mit einem frischen Blick und neuen Fragen direkt entdeckt. Oder aber vielleicht auch gerade nicht – weil er zunächst womöglich eine lange Einarbeitungsphase gebraucht hätte, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Prüferwechsel könnte Marktkonzentration erhöhen
Kritiker des raschen Prüferwechsels halten ihn aber noch aus einem weiteren Grund für schädlich: „Ich fürchte, dass sich dadurch die Konzentration im Prüfermarkt erhöhen wird, worunter letztlich die Prüfqualität leiden könnte“, meint etwa Rainer Grote, Partner bei der mittelständischen Prüf- und Beratungsgesellschaft RSM. Tatsächlich zeigt sich schon in der ersten Wechselwelle seit 2016, dass Unternehmen, die bislang von einer mittelständischen Gesellschaft geprüft wurden, bei einem erzwungenen Wechsel häufig direkt ein Big-Four-Haus mandatiert haben.
Marktanteile der Big Four und Next in Dax30, MDax und SDax 2020
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Das kann man als Beleg dafür sehen, dass sich die Konzentration erhöht. Doch auf der anderen Seite betrifft der Switch von Next Ten zu Big Four meist nur kleine kapitalmarktorientierte Unternehmen. Alle Dax30- sowie fast alle MDax-Unternehmen werden ohnehin schon seit etlichen Jahren von den Big Four geprüft – hier bliebe also alles beim Alten, die Big Four würden die Mandate wie bisher auch schon größtenteils unter sich verteilen.
Neue Chancen für KPMG und Deloitte durch FISG
Das bietet für manche auch neue Chancen. So haben sich bisher von allem PwC und EY als Gewinner der Prüferrotation erwiesen. KPMG hingegen hat viele Mandate abgegeben müssen, aber nur wenige neue im Dax und MDax hinzugewonnen. Doch am wenigsten konnte bisher Deloitte profitieren – die Gesellschaft hat nur ein einziges Dax30-Mandat ergattert.
Wird die Rotationsfrist verkürzt, wäre die neue Verteilung nicht mehr für bis zu 20, sondern für nur zehn Jahre festgelegt – KPMG und Deloitte können dann wieder schneller in den Angriffsmodus schalten. EY und PwC hingegen könnten sich auf ihren Lorbeeren nicht ausruhen und müssten sich bald wieder auf die Suche nach neuen Kunden machen. Dieser Konkurrenzdruck belebt das Geschäft und könnte infolge sogar die Prüfqualität stärken.
Und auch für die Next Ten würden sich Chancen bieten. Zum einen könnten sie sicher öfter auf frei gewordene Mandate bewerben. Die mittelständischen Prüfer sind in den vergangenen Jahren stark gewachsen und verfügen teils über große internationale Netzwerke – womöglich werden sie für manche Dax-Unternehmen mit der Zeit eben doch noch zu einer Alternative zu den Big Four.
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Zudem wird es auch noch den ein oder anderen Wirtschaftsprüfer unterhalb der Next Ten geben, der sein kapitalmarktorientiertes Mandat abgeben muss. „Auch das ist eine Chance für uns, an neue Mandate zu kommen“, meint Rainer Grote von RSM.
Wären Joint Audits die bessere Lösung?
Florian Riedl, Wirtschaftsprüfer bei Ebner Stolz, stört an den geplanten Maßnahmen zur Prüferrotation noch etwas ganz anderes: „Offenbar wurde die Möglichkeit eines Joint Audits gar nicht diskutiert. Dabei kann diese Maßnahme die Prüfqualität wirklich erhöhen, weil zwei Gesellschaften einen Blick auf die Zahlen werfen“, glaubt er. Auch stärke ein Joint Audit den Prüfern den Rücken, wenn es in Diskussionen mit dem Vorstand zu Meinungsverschiedenheiten komme.
In einem solchen Konstrukt wären die Big Four letztlich gezwungen gewesen, eine Next-Ten-Gesellschaft als Partner zu wählen. Das hätte den mittelständischen Prüfern auch Erfahrung bei großen Konzernen verschafft. „Dass das Joint Audit im FISG-Entwurf scheinbar nicht mal diskutiert wurde, zeigt, dass das FISG ein Schnellschuss ist“, so das Resümee von Riedl.
Info
Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.