Siemens-Energy-CFO: „Der Weg ist zäh“

Frau Ferraro, Siemens Energy hat kürzlich angekündigt, bis 2025 rund 7.800 Jobs abzubauen, davon 3.000 in Deutschland. Gleichzeitig haben Sie für das erste Quartal des Geschäftsjahres 2021, das seit Oktober läuft, bessere Zahlen vorgestellt, als von Analysten erwartet. Das war vermutlich nicht das beste Timing, um einen so massiven Jobabbau anzukündigen, oder? Das war ja keine kurzfristige Entscheidung. Das solide erste Quartal war ein wichtiger Schritt, um unsere Jahresziele zu erreichen, mehr aber auch nicht. Wir haben bereits im vergangenen September bei unserem Kapitalmarkttag angekündigt, dass wir ein weiteres Sparprogramm über mehr als 300 Millionen Euro für das Segment Gas und Power auflegen werden. Andernfalls würden wir unser Mittelfristziel nicht erreichen, die Ebita-Marge vor Sondereffekten bis 2023 auf 6,5 bis 8,5 Prozent zu steigern. Die bisherigen Kostensenkungsprogramme über 1 Milliarde Euro reichen dafür leider nicht aus. Warum ist das so? Positive Ergebniseffekte von rund 500 Millionen Euro Einsparungen hatten nicht den nachhaltigen Effekt, den wir uns gewünscht haben. Ein Grund dafür ist die Entwicklung im Gasturbinengeschäft, die schwächer verlief als vor Jahren gedacht. Deshalb mussten wir nachschärfen. Der Gegenwind aus der Belegschaft ließ nicht lange auf sich warten: Gesamtbetriebsratschef Robert Kensbock kündigte an, Gegenkonzepte zu denen des Managements zu entwerfen. Droht da ernsthafte Gefahr für Ihre Sparpläne? Der Dialog mit den Arbeitnehmervertretern war bisher sehr konstruktiv. Die Diskussionen sind offen und gemeinschaftlich. Der Abbau von Jobs ist nichts, was wir leichtfertig machen, im Gegenteil. Der Schritt ist aber notwendig, um die Profitabilität zu verbessern. Wir mussten im Geschäftsjahr 2020 einen Nettoverlust von 1,9 Milliarden Euro verzeichnen. Im ersten Quartal 2021 haben wir zwar gute Fortschritte erzielt, aber der Weg ist noch lang und zäh. Dessen sind sich alle bewusst, auch die Arbeitnehmervertretung. CFO Maria Ferraro muss Links zu Siemens kappen Ihrem CEO Christian Bruch zufolge machen die Stellenstreichungen 20 Prozent der Kosteneinsparungen aus. Woher kommen die restlichen 80 Prozent? Das Programm umfasst diverse Maßnahmen. Wir müssen die Komplexität, die wir zum Teil von Siemens geerbt haben, herausnehmen. Das geht von Einkauf und Logistik bis hin zur IT-Landschaft. Wir sind seit der Eigenständigkeit ein deutlich kleinerer und fokussierterer Konzern, daher muss unsere Verwaltung schlanker werden. Können Sie uns ein Beispiel nennen? Nehmen Sie die IT: Hier haben wir etwa im Accounting und Controlling Systeme und Services von Siemens übernommen. Die Service Level Agreements laufen noch für zwei bis drei Jahre. Beim Carve-out war es die richtige Entscheidung, auf solche Vereinbarungen zu setzen, um schnell Stabilität zu schaffen. Jetzt müssen wir aber eigene passende Lösungen einführen. Es gibt also noch viel Potential für Optimierung in der Verwaltung. „Wir müssen die Komplexität, die wir zum Teil von Siemens geerbt haben, herausnehmen.“ Maria Ferraro, CFO Siemens Energy Reicht das dann, um die Profitabilitätsziele für 2023 zu erreichen? Oder anders gefragt: Wie groß ist die Gefahr, dass die Corona-Pandemie die Effekte der Kostensenkungen erneut auffrisst? Sicherlich birgt die Corona-Pandemie nach wie vor eine gewisse Unsicherheit. Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht davon aus, dass unsere weitere Geschäftsentwicklung dadurch stärker beeinträchtigt werden wird. Aus diesem Grund haben wir gerade erst unsere Prognose für das Geschäftsjahr 2021 bestätigt. Siemens Energy will das Service-Geschäft ausbauen Kostensenkung ist das eine. Ihre Investoren wollen aber auch eine Perspektive, woher das künftige Wachstum von Siemens Energy kommen soll – erst recht, nachdem Sie angekündigt haben, sich nicht mehr an Neuausschreibungen für Kohlekraftwerke zu beteiligen. Was können Sie den Investoren anbieten? Die gute Nachricht ist, dass wir ein sehr vielfältiges Portfolio haben. Der Ausstieg aus dem Neugeschäft mit Kohlekraftwerken ist für uns ein entscheidender Schritt, im Vergleich zum Gesamtportfolio aber ein überschaubarer Teil. Die Umsatzeffekte liegen lediglich im einstelligen Prozentbereich, und davon wiederum macht der Serviceanteil heute schon 60 Prozent aus – und das CO2-reduzierende Servicegeschäft führen wir ja fort. Wir haben uns zudem dazu bekannt, jährlich rund 1 Milliarde Euro für Forschung und Entwicklung auszugeben, was etwa 3,6 Prozent unseres Umsatzes entspricht. Das ist eine ziemliche hohe Zahl, wie ich finde. Sie haben angekündigt, das Servicegeschäft auch im Gesamtkonzern auszubauen. Welchen Umsatzanteil streben Sie dafür mittelfristig an? Wir haben kein Ziel für den Umsatzanteil des Servicegeschäfts an sich ausgegeben. Ein Ziel ist es, den Anteil der digitalen Services zu erhöhen. Im Fokus stehen dabei vor allem die Fernwartung und -vorsorge, denn nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie ist deutlich geworden, wie wichtig die Digitalisierung in diesem Bereich ist. Deswegen wollen wir den Ausbau des datengetriebenen Geschäfts beschleunigen und einen Teil unseres Budgets für Forschung und Entwicklung auf diese Projekte verlagern, in denen wir Wachstumspotential sehen. Siemens Energy Das Unternehmen erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2020 (Ende September) einen Umsatz von 27,5 Milliarden Euro, unter dem Strich stand ein Verlust von 1,9 Milliarden Euro. Rund zwei Drittel des Umsatzes entfallen auf die Kraftwerksparte, ein Drittel steuert der Windanlagenbauer Siemens Gamesa bei. An dem an der spanischen Börse notierten Unternehmen hält Siemens Energy 67 Prozent der Anteile. Am 22. März steigt Siemens Energy in den Dax auf. Die EU-Kommission hat das Ziel ausgegeben, dass Europa 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden soll. Wie will Siemens Energy von dem „Green Deal“ der EU profitieren? Wir sehen vor allem im Bereich Wasserstoff großes Potential, denn wir glauben, dass sich dort künftig viele Anwendungsfelder auftun können. Wir haben gerade gemeinsam mit Siemens Gamesa Renewable Energy ein Entwicklungsprojekt vorgestellt, um grünen Wasserstoff aus Offshore-Windenergie zu erzeugen und dadurch die Herstellungskosten für Wasserstoff zu reduzieren Außerdem haben wir eine Kooperation mit Porsche in Chile abgeschlossen, bei dem Wasserstoff als alternativer Kraftstoff eingesetzt werden soll. Bis die Technologie jedoch kommerziell rentabel sein wird, wird es sicherlich noch einige Jahre dauern. Bisher ist Wasserstoff für uns noch kein positiver Business Case, sondern eine Investition in die Zukunft. FINANCE-Köpfe Maria Ferraro, Siemens Energy Maria Ferraro beginnt ihre berufliche Karriere 1993 als Wirtschaftsprüferin bei PwC in Kanada. 1999 geht sie zum kanadischen Telekommunikationsausrüster Nortel Networks, wo sie im Finanzbereich tätig ist, unter anderem einige Jahre in Paris. 2004 wechselt Ferraro zu Siemens. Dort arbeitet sie zunächst sieben Jahre für die kanadische Tochtergesellschaft und steigt zur Head of Accounting und Corporate Controlling auf, bevor es sie 2011 als Special Executive Trainee kurzzeitig in die deutsche Zentrale von Siemens verschlägt. 2012 geht es für Ferraro zurück über den Atlantik: Zunächst als Accounting-Chefin bei der US-amerikanischen Siemens-Tochter, ab 2013 dann als CFO der kanadischen Einheit. Zwei Jahre später wird Ferraro CFO von Siemens UK, Ende 2017 übernimmt sie den Posten der Finanzchefin bei der Siemens-Digitalsparte, heute „Digital Industries“, in Nürnberg. Im Mai 2020 folgt dann der Schritt in die erste Führungsriege: Maria Ferraro wird CFO von Siemens Energy – die damalige Energiesparte von Siemens, die kurze Zeit später an die Börse geht. Seit November ist Ferraro zudem Chief Inclusion & Diversity Officer von Siemens Energy. zum Profil Und wann wird sich das ändern? Das hängt von vielen Faktoren ab: Regulatorik, politische Fördermittel, CO2-Preis. Ich gehe davon aus, dass Wasserstoff noch bis mindestens 2025 ein Investment Case bleiben wird. Wie geht es mit Siemens Gamesa weiter? Mit Siemens Gamesa (SGRE) sind Sie im Geschäftsfeld der erneuerbaren Energien unterwegs. An dem Windlagenbauer halten Sie 67 Prozent der Anteile. Was planen Sie damit? Diese Frage wird mir oft gestellt. … dann scheint sie ziemlich wichtig zu sein … Siemens Gamesa ist ein Kernstück unseres Portfolios und absolut wichtig für unsere Pläne rund um die Energiewende. Nachdem wir im vergangenen Jahr die Anteile an Siemens Gamesa auf 67 Prozent erhöht haben, verfügen wir nun über mehr Kontrolle und können gemeinsame Projekte besser angehen und Synergien heben. Wir sind sehr stolz, die Anteile an Siemens Gamesa in unserem Portfolio zu haben, und es gibt aktuell keine Pläne, diese Anteilsverhältnisse zu ändern. SGRE hat seit Jahren mit hausgemachten Problemen zu kämpfen, vor allem das Onshore-Geschäft schwächelt. Würden Sie sich nicht wünschen, da noch stärker durchgreifen zu können? Ich selbst sitze im Verwaltungsrat von SGRE, insgesamt hat Siemens Energy fünf der zehn Plätze im Board. Wir sind also bei allen Entscheidungen eingebunden. Unter dem neuen CEO Andreas Nauen macht SGRE gute Fortschritte. Das Offshore- und Wartungsgeschäft hat sich im ersten Quartal sehr gut entwickelt (Anm. d. Red.: Das Geschäftsjahr von SGRE beginnt im Oktober.). Die Probleme im Onshore-Geschäft sind dem Management bewusst, und es arbeitet intensiv daran. Wäre es nicht schon aus Kostengründen sinnvoll, Siemens Gamesa komplett zu übernehmen und von der Börse zu nehmen? Ein doppeltes Listing und doppelte Strukturen in der Verwaltung kosten schließlich auch Geld. Die aktuelle Aufstellung macht Sinn für uns. Unser Fokus liegt jetzt erst einmal darauf, die Transformation unseres Geschäfts fortzusetzen. Darüber hinaus gibt es derzeit keine Pläne. „Siemens Gamesa ist ein Kernstück unseres Portfolios und absolut wichtig für unsere Pläne rund um die Energiewende.“ Maria Ferraro, CFO Siemens Energy CFO Ferraro: „Fühle mich wohl mit Kapitalstruktur“ Lassen Sie uns auf die Bilanz schauen: Siemens Energy hat derzeit eine Netto-Cash-Position von 1,7 Milliarden Euro. Allerdings entstehen durch die Restrukturierung Kosten im mittleren bis hohen dreistelligen Millionenbereich. Zugleich investieren Sie in neue Technologie. Rechnen Sie mit einer steigenden Verschuldung in den kommenden Jahren? Nein, davon gehe ich nicht aus. Zum einen liegt der Großteil der Restrukturierungskosten bereits hinter uns. Zum anderen fahren wir die Investitionen nicht hoch, sondern verschieben den Capex – innerhalb der Sparte Gas und Power insbesondere hin zu Wachstumsfeldern wie digitalen Services. Ich fühle mich daher wohl mit unserer Kapitalstruktur. Das bestätigt auch unser solides Investmentgrade-Rating von S&P, das bei BBB mit stabilem Ausblick liegt. FINANCE-Themenseite Restrukturierung Sparprogramme, Verlagerungen, Bilanzsanierung: Kaum ein Unternehmen kommt über die Jahre ohne eine Restrukturierung aus. Für Sanierungsberater ist das ein gutes Geschäft. Mehr zum Thema Der Free Cashflow ist aber sehr stark negativ. Was unternehmen Sie, um den zu verbessern? Im Projektgeschäft gibt es immer eine gewisse Volatilität im Cashflow. Im vergangenen Jahr hatten wir einen sehr hohen Auftragseingang bei SGRE, was zu höheren Anzahlungen führte. Wenn wir den Orderbestand abarbeiten, sinkt der Cashflow. Das ist nicht ungewöhnlich. Zugleich arbeiten wir aber mit vollem Einsatz daran, das Working Capital im Segment Gas und Power bis 2023 um rund 1,2 Milliarde Euro zu reduzieren. Wir drehen dabei an allen Stellschrauben: von Lagerbeständen über Forderungen bis hin zu Verbindlichkeiten. Wann wird es eine Trendwende beim Free Cashflow geben? Wir haben ein bereichsübergreifendes Team, das sehr fokussiert arbeitet. Aber dies ist ein Marathon und kein Sprint. Der Cashflow wird sich verbessern, und wir sehen schon erste Erfolge. Einen Ausblick dazu geben wir aber nicht. IPO-Vorbereitungen während Corona Sie sind im Mai 2020 als CFO bei Siemens Energy an Bord gekommen, nach dem Ihr Vorgänger Klaus Patzak sich mit dem Siemens-Management überworfen hatte. Zu dem Zeitpunkt waren einige Eckpfeiler für den Carve-out schon verabschiedet. Worauf lag Ihr Hauptaugenmerk in der Zeit bis zum Spin-off im September? Mein Team hatte zum damaligen Zeitpunkt schon einen tollen Job gemacht. Die größte Herausforderung lag ab Mai unter anderem darin, den Prospekt für den Börsengang fertigzustellen. Außerdem mussten wir unsere Bankbeziehungen definieren. Das Underwriting für den Betriebsmittelkredit stand zwar schon, aber wir mussten noch die Syndizierung vornehmen. Und dann ging es natürlich darum, Investoren zu treffen und ihnen unsere Strategie genauer zu erklären. Wie lief das in Zeiten von Corona? Wir haben die Investoren überwiegend digital getroffen. Es gab nur wenige persönliche Treffen. Deswegen war es Christian Bruch und mir sehr wichtig, dass jeder, der ein „One-on-one Meeting“ mit uns wollte, auch eins bekam. Warum? Unser Geschäftsmodell kannten die Investoren schon aus der Zeit von Siemens. Aber wir als Management-Team waren einigen noch nicht persönlich bekannt, und deshalb wollten die Investoren uns in die Augen schauen und wissen, wer wir sind und welchen Unterschied wir machen werden. Der Spin-off lief dann allerdings eher mau. Analysten hatten im Vorfeld mit einer deutlich höheren Bewertung gerechnet. Hand aufs Herz: Waren Sie enttäuscht angesichts Ihres hohen Engagements im Vorfeld? Nein, das war ich nicht. Wir haben alles gegeben und positives Feedback vom Kapitalmarkt bekommen. Vorschusslorbeeren wollten wir aber auch nicht. Wichtiger ist doch, wie es weitergeht. Wir halten uns an unsere Versprechen, die wir auf dem Kapitalmarkttag im September gegeben haben, und sind auf einem guten Weg bei der Transformation unseres Geschäfts. Außerdem hat sich unsere Aktie in den vergangenen Monaten sehr gut entwickelt. So gut, dass nun bald der Aufstieg in die oberste deutsche Börsenliga folgen wird. Der Spin-off Im September 2020 brachte Siemens seine frühere Tochtergesellschaft nach einjähriger Vorbereitung an die Börse. Mit einer Marktkapitalisierung von zunächst 16 Milliarden Euro ist es der bis dato größte Spin-off in Deutschland überhaupt. Siemens ist noch mit 35 Prozent an der früheren Tochter beteiligt, weitere 10 Prozent gehören dem Pensionsfonds des Konzerns. Was ist es für ein Gefühl, dass Sie nun bald Dax-Finanzchefin sein werden? (lacht) Das fühlt sich natürlich toll an! Aber das ist kein Ziel, das ich aktiv angestrebt habe, und ein Index ist auch kein Selbstzweck. Als mir der Posten als CFO von Siemens Energy angeboten wurde, habe ich keinen Moment gezögert. Das ist ein tolles Unternehmen in einer tollen Branche mit vielen Herausforderungen. Das ist Motivation genug. desiree.buchholz[at]finance-magazin.de

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