Vier Jahre, nachdem der Wirecard-Bilanzskandal ans Licht gekommen war, rücken nun ehemalige Vorstandsmitglieder erneut ins Visier der Ermittler. Die Staatsanwaltschaft München I hat Anklage gegen zwei ehemalige Wirecard-Vorstände erhoben, wie die Behörde am heutigen Dienstag mitteilte. Darunter ist auch der Ex-Finanzvorstand Alexander von Knoop, der das CFO-Amt ab 2018 innehatte. Zudem richtet sich die Anklage gegen die Ex-Vorständin für Produktentwicklung, von der Behörde als „Frau S.“ bezeichnet. Hierbei dürfte es sich um Susanne Steidl handeln.
Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Managern Untreue in mehreren Fällen vor. Von Knoop wird zudem Beihilfe zur Untreue vorgeworfen. Die aktuelle Anklage geht aus „den seit 2020 geführten umfassenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Sachen Wirecard hervor“, fasst die Ermittlungsbehörde zusammen. Ob und wann sich die beiden Vorstände bei einem Hauptverfahren vor Gericht verantworten müssen, entscheidet die 12. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München.
Vorstände sollen „ins Blaue hinein“ entschieden haben
Konkret geht die Staatsanwaltschaft von drei Tatkomplexen aus. Der erste Tatkomplex adressiert die Gewährung eines insgesamt 40 Millionen Euro schweren, unbesicherten „Security Deposits“ an eine singapurische Briefkastenfirma. Bei der Transaktion hätte es wohl keine Absicherung, keine Kaution und keine Rückzahlungsvereinbarung gegeben, auch soll der Aufsichtsrat von dieser Zahlung nicht informiert worden sein. Zudem sollen den Angeklagten keine Finanzkennzahlen vorgelegen haben, die Entscheidung für die Gewährung des Deposits solle „ins Blaue hinein“ getroffen worden sein, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.
Hinzu kommt: Eine Aufstockung der Summe um 10 Millionen Euro soll ohne förmlichen Beschluss erfolgt sein. Die beiden Beschuldigten hätten dem „per E-Mail übermittelten, nichtssagenden Vorschlag“ des damaligen Asien-Vorstands Jan Marsalek mutmaßlich innerhalb „einer halben Stunde ohne nähere Prüfung“ zugestimmt, heißt es in der Anklageschrift. Beide Angeschuldigten sollen ihren Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen sein, schlussfolgert die Staatsanwaltschaft.
Darlehensverlängerung trotz „Unregelmäßigkeiten“
Der zweite Tatkomplex betrifft vor allem Ex-CFO von Knoop in seiner Funktion als Wirecard-Bank-Vorstand. So sollen er und seine Vorstandskollegin im Jahr 2017 mutmaßlich einen Kredit in Höhe von 10 Millionen Euro für Vorfinanzierungen an die ebenfalls in Singapur ansässige Firma OCAP befürwortet haben.
Dem Kredit wurde letztlich wohl stattgegeben, allerdings nur mit einer Bürgschaft der Wirecard AG sowie mit einer Vertragsklausel, der zufolge die Bürgschaft nach vier Monaten durch OCAP-Sicherheiten abgelöst werden sollte. Um den Kredit zu bewilligen, soll von Knoop damals mutmaßlich auf einen Vorstandskollegen der Wirecard Bank eingewirkt haben, damit dieser den Kredit ebenfalls durchwinkt. Dadurch soll er Beihilfe zur Untreue geleistet haben, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.
Wenngleich wenig später bereits „erhebliche Unregelmäßigkeiten“ bei OCAP aufgetreten waren, geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die beiden Angeschuldigten im April 2019 zusammen mit den übrigen Vorstandsmitgliedern der rückwirkenden Verlängerung des Darlehens und der Neuerteilung der Bürgschaft zugestimmt haben – und das, obwohl den beiden Angeschuldigten mutmaßlich „keine belegten Erkenntnisse zum Geschäftsbetrieb, […] der finanziellen Situation und der tatsächlichen Gesellschafterstruktur von OCAP vorlagen“, vermuten die Ermittler.
Wirecard: Kredit trotz Zinsrückständen genehmigt
In dem dritten Anklagepunkt dreht es sich ebenfalls um die Geschäfte mit OCAP. Der Staatsanwaltschaft zufolge habe der Vorstand von Wirecard, die beiden Angeschuldigten eingeschlossen, dem Unternehmen weitere 100 Millionen Euro gewährt. Zu diesem Zeitpunkt soll es bereits erhebliche Zinsrückstände gegeben haben. Im März 2020 hatten sich 137 Millionen Euro an OCAP-Darlehen angestaut.
Unter anderem angesichts der damals schon angespannten Liquiditätslage bei Wirecard halten die Ermittler die damalige Gewährung des weiteren Darlehens „in dieser Größenordnung“ für „unvertretbar“. OCAP befindet sich mittlerweile in der Insolvenz.
Von Knoop von Insolvenzverwalter Jaffé angeklagt
Von Knoop war seit 2005 für Wirecard tätig. Anfang 2018 übernahm er den CFO-Posten bei Wirecard und hatte diese Funktion bis November 2020 – also bis nach dem Wirecard-Crash – inne. Anfang 2022 verklagte der Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé den Ex-Wirecard-Manager bereits. Jaffé vermutete eine Veruntreuung bei einer Kreditvergabe in Höhe von insgesamt 140 Millionen Euro. Die Klage richtete sich gegen die Vorstände und Aufsichtsräte des Konzerns.
Auch ist von Knoop nicht der einzige Finanzvorstand, der von seiner Tätigkeit bei Wirecard eingeholt wurde. Im Dezember 2023 erhob die Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen den ehemaligen CFO und Vorgänger von Knoops, Burkhard Ley. Gegenstand der Klage war unter anderem der Verdacht der Marktmanipulation. Ein halbes Jahr später bestritt Ley öffentlich vor dem Londoner High Court, nach seinem Ruhestand im Jahr 2017 weiterhin Einfluss auf das Unternehmen ausgeübt zu haben.
Das sagt CFO von Knoop zu den Vorwürfen
Unterdessen hat sich der ehemalige Finanzvorstand zu den Anschuldigungen geäußert. Über seinen Rechtsanwalt Peter Schäfer (Krause & Kollegen) ließ er mitteilen, dass er „zu keinem Zeitpunkt während seiner Tätigkeit […] Kenntnis von etwaigen Machenschaften zum Nachteil der Wirecard AG und deren Aktionären durch andere verantwortliche Personen der Wirecard-Gruppe“ hatte.
Zu keiner Zeit habe Herr von Knoop „die Absicht oder auch nur die Vorstellung, Gesellschaften der Wirecard-Gruppe bei seinem Handeln zu schädigen“. „Herr von Knoop hat von Beginn der Ermittlungen an mit der Staatsanwaltschaft kooperiert“ und „ist zuversichtlich, dass das Strafverfahren für ihn zu einem guten Ergebnis führen wird“, so der Rechtsanwalt.
Jasmin Rehne ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die Themen Controlling, Gehalt und Personal. Sie hat in Marburg Sprache und Kommunikation studiert. Neben ihrem Studium arbeitete Jasmin Rehne bereits als studentische Hilfskraft bei FINANCE.
