Die von Wirecard erhoffte Absolution durch den Sonderprüfbericht von KPMG ist nach Ansicht des Marktes und vieler Beobachter ausgeblieben. Der Dax-Konzern selbst betrachtet sich jedoch als entlastet: „Belastende Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nicht gefunden“, teilte Wirecard am heutigen Dienstagmorgen mit. In allen vier Prüfbereichen habe es „keine substanziellen Feststellungen ergeben“, die zu einem Korrekturbedarf für die Jahresabschlüsse von 2016 bis 2018 führen würden.
KPMG spricht von „Untersuchungshemmnis“
Allerdings haben die Sonderprüfer von KPMG bei ihrer Arbeit zahlreiche Dokumentations- und Organisationsschwächen aufgedeckt und eingeräumt, dass einige kritische Punkte nicht korrekt untersucht werden konnten. Dabei geht es vor allem um das wenig transparente Drittpartnergeschäft von Wirecard, an dessen Umsatzausweis Kritiker Zweifel angemeldet hatten.
Dazu konnte KPMG „in Bezug auf den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 weder eine Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse existieren und der Höhe nach korrekt sind, noch die Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse nicht existent und in der Höhe nicht korrekt sind“, heißt es in dem Prüfbericht, den Wirecard auf seiner Internetseite veröffentlicht hat.
Grund ist, dass viele Geschäftspartner von Wirecard nicht mit KPMG kooperierten, was das WP-Haus als „Untersuchungshemmnis“ bezeichnet: „Ursächlich sind neben den Mängeln in der internen Organisation insbesondere die fehlende Bereitschaft der Third Party Acquirer, umfassend und transparent an dieser Sonderuntersuchung mitzuwirken.“
Wirecard vertritt die Position, dass die aufgedeckten Schwächen vom Unternehmen bereits identifiziert worden seien. Schon seit 2019 versuche Wirecard, sie mit dem Aufbau einer „Global Compliance Organisation“ und mit Hilfe externer Berater zu beheben.
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Wirecard verschob Interviewtermine mit KPMG
Aber auch die Mitarbeit von Wirecard selbst an der Untersuchung bemängelt KPMG: So seien „angeforderte Dokumente teilweise nicht beziehungsweise erst mehrere Monate nach Anforderung geliefert“ worden, was die Untersuchung insgesamt verzögert habe. Auch seien Interviewtermine mit wesentlichen Wirecard-internen Ansprechpartnern mehrfach verschoben worden. Zudem wiesen die Prüfer darauf hin, dass es sich bei den ihnen vorgelegten Dokumenten ausschließlich um elektronische Kopien gehandelt habe, deren Authentizität nicht überprüft werden konnte.
Wer bekam die Wirecard-Millionen in Indien?
Ebenso geben die KPMG-Prüfer zu, dass es auch ihnen – wie zuvor schon Wirecard selbst und dem Abschlussprüfer EY – nicht gelungen sei, den Empfänger des Kaufpreises von über 300 Millionen Euro zu identifizieren, den Wirecard für die Übernahme einer indischen Firma im Jahr 2015 bezahlt hatte. Dem Verkauf an Wirecard waren ungewöhnliche Transaktionen vorangegangen. So hatte der Verkäufer die Firma erst kurz zuvor erworben – für rund ein Zehntel des Preises, den Wirecard wenige Wochen später zahlte. KPMG fand allerdings keine Anhaltspunkte dafür, „dass Mitglieder von Wirecard an diesem Veräußerer beteiligt waren“.
Der Dax-Konzern wollte den KPMG-Bericht, der im Oktober vergangenen Jahres in Auftrag gegeben worden war, eigentlich schon im März vorlegen, verpasste diesen Termin jedoch. Auch der angekündigte Termin in der vergangenen Woche verstrich, ebenso die dritte Deadline am gestrigen Abend. Nun ist der KPMG-Bericht zwar da, dafür verschiebt Wirecard die Vorlage des Jahresabschlusses 2019 auf unbestimmte Zeit. Diesen soll wieder der KPMG-Konkurrent EY testieren.
Wirecard-Aktie fällt um 20 Prozent
Die Sonderuntersuchung wurde auf Druck von Investoren hin gestartet, nachdem kritische Berichte, beispielsweise in der „Financial Times“ dem Unternehmen falsche Bilanzierungspraktiken, Geldwäsche und womöglich erfundene Kundenbeziehungen vorgeworfen hatten. Der Aktienkurs war daraufhin mehrmals heftig eingebrochen.
Das passiert auch heute wieder: Die Wirecard-Aktie stürzt als Reaktion auf die Aussagen von KPMG um fast 20 Prozent in die Tiefe. Der Dax-Wert droht nun wieder unter die 100-Euro-Marke zu fallen. „Der Bericht klingt nicht wie ein Freispruch, sondern wie ein Freispruch aus Mangel an Beweisen“, kommentierte Feingold Research. Die Baader Bank hingegen hält die von KPMG geäußerte Kritik für „vernachlässigbar“.