Zu komplex, zu teuer, zu zeitaufwendig: Seit zehn Jahren gehört die Rechnungslegung nach IFRS zum Alltag börsennotierter Unternehmen in Europa – und die Kritik daran ebenfalls. Die Ziele bei der Einführung waren ambitioniert: Eine einheitliche Rechnungslegung sollte die Transparenz und Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen erhöhen, Kapital- und Binnenmärkte sollten effizienter werden. Beides sollte nicht nur Investoren, sondern auch den Unternehmen zu Gute kommen.
Doch eine Analyse der Europäischen Kommission zeigt jetzt: Bestimmte Kritikpunkte wollen auch nach zehn Jahren Anwendung nicht abebben. Marktteilnehmer, mit denen die Kommission gesprochen hat, kritisieren die Komplexität der IFRS, was das Kosten-Nutzen-Verhältnis verschlechtern würde. Für viel Aufregung hatte zum Beispiel der neue Standard zum Umsatzrealisierung IFRS 15 gesorgt. Die Deutsche Telekom sprach im Gespräch mit FINANCE von Kosten in „ zweistelliger Millionenhöhe“, die alleine schon die Umsetzung mit sich bringt.
IFRS: Hohe Kosten durch häufige Änderungen
Die Europäische Kommission gibt allerdings zu bedenken, dass die Komplexität nicht zuletzt auf die Komplexität der Unternehmenstätigkeiten zurückzuführen ist. Sie sei „deshalb in den meisten Fällen unvermeidlich“, heißt es. Das dürfte für viele Unternehmen ein schwacher Trost sein. Ebenfalls kritisiert wurden die häufigen Änderungen der Standards sowie die zunehmenden Angabepflichten – auch das sind Klassiker der zehn Jahre mit IFRS.
Grundsätzlich übersteigt zwar der Nutzen, der mit der Umsetzung der IFRS verbunden ist, die Kosten, schreibt die Kommission. Aber: Während die Unternehmen vor allem die Kosten trügen, käme der Nutzen vielmehr den Anlegern und der Gesamtwirtschaft zugute.
Doch die Analyse der Kommission zeigt auch Positives auf: Die branchen- und länderübergreifende Vergleichbarkeit sowie die Transparenz der Abschlüsse habe sich erhöht, heißt es. Und auch die Kapital- und Binnenmärkte würden tatsächlich reibungsloser funktionieren. Das macht Brüssel vor allem an einer höheren Liquidität, verstärkten grenzübergreifenden Transaktionen und geringeren Kapitalkosten fest.
Schweiz: Viele wenden sich von IFRS ab
Davon profitieren letztendlich auch die Unternehmen. Doch ob diese Entwicklung ausschließlich auf die Einführung von IFRS zurückzuführen ist, bezweifelt auch die Kommission. Schließlich habe es in den vergangenen zehn Jahren auch einige neue rechtliche Änderungen gegeben, die nichts mit den IFRS zu tun haben, aber die Kapitalmärkte beeinflussen.
Grundsätzlich sei es schwer zu analysieren, wie gut oder schlecht es den Unternehmen mit IFRS tatsächlich geht, schließlich gäbe es keine alternative Bilanzierungsmöglichkeit in Europa, mit der man die jetzige Situation vergleichen könne.
Einen Hinweis kann möglicherweise die Schweiz geben: Dort ist die Bilanzierung nach IFRS auf derart wenig Gegenliebe gestoßen, dass etliche Unternehmen dem Bilanzierungsstandard den Rücken gekehrt haben und wieder nach dem nationalen Standard Swiss GAAP FER bilanzieren. Als ihre zentralen Beweggründe nannten diese Unternehmen die zunehmende Komplexität und die Erwartung weiterer Aufwandserhöhungen.
Deutsche Unternehmen resignieren statt zu kämpfen
Ganz konkret ärgerten sich die Schweizer Unternehmen über zwei Bilanzierungsrichtlinien, die auch in Deutschland für einigen Wirbel sorgen: Durch IFRS 11 mussten viele Unternehmen ihre Joint-Venture-Umsätze niedriger ausweisen, durch IAS 19 litten viele noch stärker unter steigenden Pensionsverpflichtungen, als sie es aufgrund der niedrigen Marktzinsen ohnehin schon taten.
In Deutschland scheint die Unzufriedenheit nicht ganz so groß zu sein wie in der Schweiz. Einen Trend weg von IFRS und hin zu HGB gibt es zumindest nicht. Hierzulande scheinen viele Unternehmen eher in einer Haltung der Resignation zu sein: Die meisten nehmen die neuen Standards hin und versuchen sie möglichst kostenschonend umzusetzen. Eine Auseinandersetzung oder ein Engagement in Bilanzierungsgremien findet kaum mehr statt, bedauerte erst kürzlich der neue Präsident des deutschen Bilanzgremiums DRSC, Andreas Barckow. Dies zumindest ist ein Versäumnis, das sich die Unternehmenswelt selbst anzukreiden hat.