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Der Wilde Westen der ICOs

Das unregulierte Umfeld der Initial Coin Offerings zieht bisher vor allem risikoaffine Investoren an.
jupiterimages/iStock/Thinkstock/Getty Images

Wie ein Börsengang, aber irgendwie mit Blockchain. In der klassischen Finanzwelt sind Initial Coin Offerings (ICOs) noch nicht weitläufig bekannt. Für Aufmerksamkeit sorgen sie derzeit höchstens mit Skandalen. Bei dem Blockchain-Mining-Startup Envion liefert sich das Führungsteam einen bizarren Streit um ein völlig aus dem Ruder gelaufenes ICO. Die Gerichte sind involviert, Millionen an Anlegergeldern sind möglicherweise verbrannt. Beim Spar-App-Anbieter Savedroid kamen die Investoren mit einem blauen Auge davon, der vermeintliche Diebstahl des via ICO angelegten Geldes war nur ein PR-Gag, um auf die Risiken der ICO-Welt hinzuweisen. Und bei dem Berliner Tech-Unternehmen Staramba platzte just zum Start eines ICOs die Bombe, dass dem Virtual-Reality-Spezialisten ein möglicher Bilanzskandal droht.

Dass die Investitionen in ICOs äußerst riskant sind, bestreiten auch diejenigen nicht, die von dem Nutzen der neuen Finanzierungsform überzeugt sind: „Die Mehrheit der ICOs scheitern“, betonte zum Beispiel André Betzer, Professor an der Bergischen Universität Wuppertal, erst kürzlich auf einem ICO-Roundtable in Frankfurt.

„Derzeit ist es ein völlig unreguliertes Feld. Diese Stimmung wie im Wilden Westen nutzen auch viele Betrüger“, so der Professor. Warum die Finanzierungsform trotzdem eine Zukunft haben soll? Die Branche bemüht sich um Aufklärung.

ICOs: Marketing oder Finanzierung?

Technisch basieren alle ICOs auf der Blockchain-Technologie: Unternehmen geben über sie sogenannte Token heraus und erhalten im Gegenzug Kapital der Anleger. Ob man mit Cash einsteigen oder – was häufiger der Fall ist – mit einer bereits erworbenen Kryptowährung bezahlen kann, ist unterschiedlich.

Auch mit Blick auf die Art der Token gibt es verschiedene Arten von ICOs. Je nachdem, ob der Vorgang einem Marketing-Zweck dient oder der tatsächlichen Unternehmensfinanzierung, sind die Transaktionen unterschiedlich ausgestaltet. Die Unternehmen können entweder Coins, Utility Token oder Security Token herausgeben.

1 Coins

Mit der Ausgabe von Coins schafft das Unternehmen eine neue Kryptowährung und hofft, dass diese sich durchsetzt. Für Investoren ist eine Investition höchst spekulativ.

2 Utility Token

Mit einem Utility Token sind Nutzungsrechte verknüpft. Investiert ein Anleger hier, kann er die Token für Services oder Dienstleistungen nutzen, die das Unternehmen anbietet, manchmal zu vergünstigten Konditionen.

3 Security Token

Die Begriffe Equity oder Security Token sind nicht klar abgegrenzt. Grundsätzlich können mit solchen Token Eigentums- oder Mitsprachrechte verknüpft sein. Auch eine Gewinnbeteiligung kann enthalten sein.

Am häufigsten werden in Deutschland bislang Utility Token herausgegeben, erklärt Christian Rokitta von dem Fintech Insoro: „Die Anzahl an sinnvollen Use Cases für Utility Token ist allerdings begrenzt. Bei vielen Unternehmen bietet die Blockchain-Technologie keinen echten Mehrwert für ihr Geschäftsmodell.“ In anderen Ländern hingegen sei die Nutzung als Finanzierungsform, insbesondere über Security Token, weiter vorangeschritten.

Rokitta und sein Unternehmen wollen selbst einen ICO wagen. Ein Volumen von mindestens 10 Millionen Euro ist angepeilt. „Wir werden wahrscheinlich einen Utility Token herausgeben, da wir einen guten Use Case für einen Utility Token haben und Security Tokens aktuell noch mit zu vielen rechtlichen Unsicherheiten verbunden sind“, erklärt Rokitta.

ICOs mit Security Token sind am komplexesten

Für ICOs gibt es bislang keinen einheitlichen Standard, die Regulatoren haben erst begonnen, sich mit der neuen Finanzierungsform auseinanderzusetzen. „Derzeit versuchen deshalb die meisten, ihren ICO so zu gestalten, dass er möglichst wenig unter das klassische Aufsichtsrecht fällt“, erklärt Rechtsanwalt und Partner Michael Rinas von Mazars.

Bei der Ausgabe von Security Tokens, die auf Grund der Verknüpfung mit Eigentums- oder Mitspracherechten als aktien- oder anleiheähnlich eingestuft werden könnten, ist die Rechtslage am kompliziertesten. „Es kann passieren, dass die Finanzaufsicht solche Transaktionen wie einen klassischen geschlossenen Fonds oder die Emission eines Wertpapiers betrachtet“, erklärt Michael Rinas weiter. In diesem Fall wäre das Unternehmen gezwungen, umfassenden regulatorischen Anforderungen nachzukommen.

Zudem kommen die Unternehmen an einigen weiteren komplexen Fragen nicht vorbei. Wie wird ein Token bilanziert, welche Steuern fallen an? „In simplen Fällen kann man es schaffen, eine verbindliche Auskunft des Finanzamts zu den steuerlichen Fragen zu erhalten, bei komplexeren ICOs ist das kaum möglich“, erklärt Daniel Reisener, Steuerberater bei Mazars, die Problematik.

Goldgräberstimmung: Crypto-Valleys locken ICOs an

Da der Rechtsrahmen in Deutschland so unklar ist, gehen viele Unternehmen für die Transaktion in ein sogenanntes „Crypto-Valley“. In Zug in der Schweiz, aber auch in Singapur oder Hongkong haben die Regulatoren bereits einen rechtssicheren Raum geschaffen. Von wo der ICO gestartet wird, ist allerdings für die Investoren letztlich gar nicht relevant, erläutert Christian Rokitta. „Die Investorenansprache findet über ein englischsprachiges Whitepaper statt. Die Investition steht dann grundsätzlich weltweit Anlegern offen“, so der Blockchain-Experte. Aber auch dieser Punkt kann für rechtliche Unsicherheit sorgen, da ein typisches ICO dadurch meist mehrere Rechtsräume und Rechtsordnungen umspannen kann, warnt Mazars-Experte Rinas.

„Die Investition steht grundsätzlich weltweit Anlegern offen.“

Christian Rokitta, Insoro

Auch wenn die Herkunft der Investoren regional nicht einzugrenzen ist, zeigt sich die Gruppe überraschend homogen: „Die Mehrheit der Anleger, die in ICOs investieren, ist männlich, zwischen 20 und 30 Jahre alt und sehr risikoaffin“, erklärt Marktbeobachter Betzer. Die meisten Gelder, die in ICOs investiert sind, seien Gewinne aus anderen Spekulationen mit Kryptowährungen.

ICOs als schneller Weg zum Venture Capital

Auch deshalb sitzt das Geld dieser Investoren so locker – ein Vorteil, den sich derzeit viele schwarze Schafe zu Nutzen machen. André Betzer hofft deshalb, dass sich die Regulatoren der ICO-Frage schnell annehmen und einen verbindlichen Rechtsrahmen schaffen. „Aus meiner Sicht hat Deutschland die Gelegenheit, vorne mit dabei zu sein und auf diesem Weg attraktiver für innovative Start-ups zu werden.“ Bislang werden ICOs ausschließlich von Start-ups genutzt, die ohnehin in der Blockchain-Szene aktiv sind. Laut Betzer könnte sich das mit einem klaren regulatorischen Rahmen ändern.

Christian Rokitta ist bei dem Ruf nach dem Regulator zurückhaltender. „Ich gehe davon aus, dass es der Markt selbst schaffen wird, sich eigene Regeln und Institutionen zu schaffen“, argumentiert er. Die Blockchain an sich sei eine sichere Technologie – Transaktionen können im Nachhinein nicht mehr verändert werden. Er sieht deshalb die Chance, dass sich ICOs als Finanzierungsform für Start-ups durchsetzt. „Es ist ein Weg, ohne Intermediäre an Venture Capital zu kommen“, wirbt der Unternehmer.

Bis es soweit ist, dürfte es aber noch ein weiter Weg sein. Schwarze Schafe werden diese Zeit nutzen.

antonia.koegler[at]finance-magazin.de

Info

Mehr Artikel rund um die neue Technologie finden Sie auf unserer Themenseite Blockchain.

Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.