Leoni: Finanzierungsrisiko Factoring?

Das Management von Leoni verbreitet in diesen Tagen viel Zuversicht: Sanierungsexperte Hans-Joachim Ziems, der Ende des Monats aus dem Vorstand des Nürnberger Autozulieferers ausscheidet, erklärte jüngst, die Weichen für die nachhaltige Stabilisierung der Geschäftsentwicklung seien gestellt. CEO Aldo Kamper sieht das Unternehmen auf einem „guten Weg der Gesundung“. Die Gründe für den Optimismus: Im zweiten Halbjahr sprang die Nachfrage bei dem Bordnetzbetreiber wieder etwas an, das Sparprogramm Value 21 macht Fortschritte, und der Free Cashflow hat sich im Pandemiejahr gegenüber 2019 verbessert, wenngleich er immer noch negativ ist. Leoni-Analyst: Finanzielle Lage bleibt „kritisch“ Doch bei genauerem Hinsehen bleibt die Lage bei dem SDax-Konzern, der im vergangenen Jahr in eine schwere finanzielle Schieflage gerutscht war und Staatshilfe bekam, düster: 2020 war das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) mit minus 280 Millionen Euro tiefrot, die Eigenkapitalquote sank zum Jahresende auf nur noch 7,6 Prozent. Und die Verbesserungen im Free Cashflow sind vor allem Factoring- sowie Sale-Back-Transaktionen geschuldet, die CRO Ziems und CFOIngrid Jägering im vergangenen Jahr eingefädelt haben. Klammert man diese Effekte aus, liegt der Mittelabfluss bei 213 Millionen Euro, hat Marc-René Tonn, Analyst beim Research-Haus Warburg, ausgerechnet. Bis Ende dieses Jahres dürfte sich der Schuldenberg von Leoni auf netto 1,6 Milliarden Euro auftürmen, warnt Tonn. Zuzüglich Factoring knacken die Nürnberg dem Analysten zufolge gar die 2-Milliarden-Euro-Marke. Er bewertet die finanzielle Situation daher weiterhin als „kritisch“ und sieht „Refinanzierungsrisiken“ auf den Konzern zukommen. Diese Finanzierungsrisiken könnten tatsächlich schon ausgesprochen kurzfristig auf den Konzern zukommen, wie ein Blick in den Risikoteil des Geschäftsberichts von Leoni offenbart. Das liegt an der Schlüsselrolle der Warenkreditversicherer. Leoni sieht sich bis 2022 durchfinanziert Doch der Reihe nach: Grundsätzlich hat Leoni in diesem Jahr eigenen Angaben zufolge keine Fälligkeiten. Das Unternehmen sieht sich nach der Aufnahme eines vom Staat zu 90 Prozent garantierten Betriebsmittelkredits über 330 Millionen Euro im vergangenen Jahr bis Ende 2022 durchfinanziert. Eine weitere revolvierende Kreditlinie (RCF) über 750 Millionen Euro läuft bis Ende 2023, Schuldscheine in Höhe von 400 Millionen Euro werden ebenfalls erst zwischen 2022 und 2028 fällig. Doch bei der Lieferkettenfinanzierung könnte Ungemach drohen, schließlich hat Leoni im vergangenen Jahr zur Cash-Beschaffung in erheblichem Ausmaß auf Factoring und Reverse Factoring gesetzt. So wurde Anfang März 2020 nicht nur eine bestehende Factoring-Linie um 50 Millionen Euro erhöht, mit zwei Factoring-Gesellschaften wurden auch neue Linien über insgesamt 280 Millionen Euro vereinbart. Diese Linien hat Leoni inzwischen weitestgehend ausgeschöpft: Ende 2020 waren Forderungen aus Lieferungen und Leistungen in Höhe von 221 Millionen Euro durch echtes Factoring gemindert, heißt es im Geschäftsbericht. Das Reverse-Factoring-Volumen kletterte von 140 Millionen Euro in 2019 auf 160 Millionen Euro in 2020. Hier finanzieren Factoring-Gesellschaften Verbindlichkeiten von Leoni gegenüber Lieferanten zwischen – entscheidend für die Bedingungen ist also die arg ramponierte Leoni-Bonität. FINANCE-Themenseite Leoni Cash-Drain, CFO-Wechsel, verpatzte Projekte und kassierte Prognosen: Der Automobilzulieferer Leoni braucht frisches Geld und will sich aufspalten. Nicht nur Börsianer, auch die Kreditgeber sind alarmiert. Mehr zum Thema Warenkreditversicherer sichern Factoring ab Das Problem bei dieser Lieferkettenfinanzierung: Solche Zwischenfinanzierungen lassen sich die Forderungsankäufer in der Regel durch Warenkreditversicherer absichern. Diese sind wegen der Corona-Pandemie und der drohenden Insolvenzwelle aber restriktiver bei der Gewährung von Kreditlinien geworden. Leoni weist darauf im Geschäftsbericht hin: Durch die Zurückhaltung der Warenkreditversicherer steige „einerseits das Risiko, dass die Forderungen nicht im geplanten Umfang an die Factoring-Partner verkauft werden können, und andererseits das Risiko von Ausfällen von eigenen Kundenforderungen, die nicht versichert werden konnten. Beides könnte negative Auswirkung auf das Konzernergebnis und die Liquidität haben.“ FINANCE-Themenseite Factoring Der deutsche Factoringmarkt ist in Bewegung wie lange nicht. Hier erfahren Sie alles über die wichtigsten Anbieter, Personalwechsel und Marktzahlen. Mehr zum Thema Noch ist es nicht soweit. Denn derzeit verhindert ein staatlicher Schutzschirm für Warenkreditversicherungen, dass die Versicherer Deckungszusagen und Limite kürzen. Im Zuge der Vereinbarung hat sich der Staat dazu bereit erklärt, Ausfälle bis zu 30 Milliarden Euro zu übernehmen. Im Gegenzug haben sich die Versicherer Euler Hermes, Atradius, Coface und Co. dazu verpflichtet, Limite aufrechtzuerhalten und das Gros ihrer Prämieneinnahmen an den Staat abzutreten. Doch diese Vereinbarung ist ein schlechter Deal für die Versicherer: Bislang gab es kaum Schäden, für die der Bund aufkommen musste. Deswegen haben die Anbieter bereits klar gemacht, den im April 2020 abgeschlossenen und Ende letzten Jahres verlängerten Schutzschirm nicht erneut fortführen zu wollen. Ende Juni greifen damit – Stand jetzt – bei Warenkreditversicherungen wieder Marktmechanismen. Und das bedeutet: Es dürfte schon bald wieder nach Risiko gepreist und entschieden werden. Coface – die Nummer 3 am deutschen Markt für Warenkreditversicherungen – erklärte jüngst gegenüber der FINANCE-Schwesterpublikation DerTreasurer, dass es nach dem Auslaufen des Schutzschirms „keinen harten Cut geben“ werde. Auch von der Nummer 2 Atradius hieß es, man sei stark genug, um auch ohne den Schutzschirm ausreichend Deckung zur Verfügung zu stellen. Nicht äußern wollte sich indes der Marktführer Euler Hermes, der im vergangenen Jahr für Aufruhr gesorgt hatte, als er Limite an das Bestehen des Schutzschirms geknüpft hatte. Und Versicherungsmakler stellen bereits deutlich steigende Prämien fest. Leoni setzt auf Zusagen der Warenkreditversicherer Für angeschlagene Unternehmen in schwierigen Branchen ist das kein gutes Vorzeichen, und zu dieser Gruppe zählt auch Leoni. Doch auf Anfrage von FINANCE beschwichtigt Leoni. Auf die Frage, ob es einen Plan B gebe für den Fall, dass Warenkreditversicherer Kreditlimite für Kunden und/oder für Leoni-Gesellschaften senken würden und damit Factoring und/oder Reverse Factoring nicht mehr im gleichen Umfang wie jetzt zur Liquiditätsbeschaffung zur Verfügung stehe, erklärte das Unternehmen: „Unser Factoring ist zur Risikominimierung sehr breit aufgestellt. Aus unserer Sicht ist es unwahrscheinlich, dass wir Limite auf breiter Front für Leoni-Gesellschaften verlieren.“ Zudem verweisen die Nürnberger auf eine Wohlwollenserklärung, die im März 2020 mit Warenkreditversicherern geschlossen wurde und die bis Ende 2022 läuft: „Wir hatten die Erklärung der Versicherer bereits vor dem Schutzschirm, somit erwarten wir keine Auswirkungen durch das Ende des Schutzschirms.“ In der Erklärung heißt es, dass die Warenkreditversicherer eine „bedarfsgerechte Zurverfügungstellung von Linien bestätigen“. „Aus unserer Sicht ist es unwahrscheinlich, dass wir Limite auf breiter Front für Leoni-Gesellschaften verlieren.“ Statement von Leoni Doch was wäre, wenn sich diese Zusicherungen der Warenkreditversicherer im Fall Leoni als nicht belastbar entpuppen sollten? Leoni verfügte Ende 2020 über liquide Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro – das Gros davon in Form festzugesagter Kreditlinien. Rund 190 Millionen Euro lag als echtes Cash in der Kasse von CFO Jägering. Sollten Teile der Lieferkettenfinanzierung wegbrechen, könnte Leoni dies wohl stemmen. Bei massiveren Limiteinschränkungen könnte es dagegen brenzlig werden – zumal die Finanzchefin für dieses Jahr erneut mit einem negativen Cashflow rechnet. desiree.buchholz[at]finance-magazin.de Info Wie geht es bei Leoni weiter? Bleiben Sie auf dem Laufenden mit unserer Themenseite zu Leoni. Mehr über die Finanzchefin Ingrid Jägering erfahren Sie auf ihrem Profil bei FINANCE-Köpfe.

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