Wer seine Karriere in der Finanzabteilung im August 2011 oder später begonnen hat, erlebt in diesen Tagen eine Premiere: Zum ersten Mal seit über elf Jahren wird die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte erhöhen. Eine weitere, noch kräftigere Zinserhöhung stellte EZB-Präsidentin Christine Lagarde für September in Aussicht, falls der Inflationsdruck bis dahin nicht nachlassen sollte.
Für die EZB ist das ein deutlicher Kurswechsel in der bisherigen Geldpolitik. Lange Zeit haben sich Europas Notenbanker im Vergleich zur Fed mit Zinserhöhungen zurückgehalten, auch weil die Inflationsdynamik in Europa deutlich später eingesetzt hat als in den USA. Zudem musste das billionenschwere Anleihekaufprogramm zunächst beendet werden, ohne die Finanzmarktstabilität zu gefährden.
Die erste Zinserhöhung ist Vorbote eines umfassenden Richtungswechsels bei den Zinsen, den der Kapitalmarkt in Form deutlich steigender Anleihezinsen bereits stark vorweggenommen hat. Der ursprüngliche Plan der EZB, die Geldpolitik „graduell“ zu normalisieren, ist angesichts dessen und von Inflationsraten jenseits der 7 Prozent passé.
Nun zeigen Lagarde & Co. sogar eine größere Toleranz gegenüber einem schwachen Wirtschaftswachstum. Wahrscheinlich ist, dass die EZB-Leitzinsen bis zum nächsten März um insgesamt 175 Basispunkte gestrafft werden. Und weil mittlerweile immer mehr Marktteilnehmer davon ausgehen, dass die Inflation nicht nur ein vorübergehendes Phänomen ist, wird es immer wahrscheinlicher, dass die EZB länger als bisher erwartet „hawkish“ bleibt.
Diesmal ist die Zinswende echt
Die Renditen im Euroraum hat diese Zeitenwende stark in die Höhe getrieben. So befinden sich die Swapmärkte aktuell bereits in der dritten „Aufwärtswelle“ innerhalb von nur sechs Monaten.
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