Der kommende Donnerstag könnte zu einem Schicksalstag für Deutschland werden: Am 21. Juli um 6 Uhr soll die Wartung der Gaspipeline Nordstream 1 beendet sein. Dann wird sich entscheiden: Liefert Russland wieder Gas? Und wenn ja, wie viel? Mitte Juni hatte Russland die Gasmenge, die durch die Pipeline fließt, auf 40 Prozent gedrosselt.
Verschiedene Szenarien sind möglich, die größte Bedrohung besteht darin, dass die Gaslieferungen über Nordstream 1 ganz ausbleiben. Das hätte gravierende Folgen für Deutschland – und könnte bei dem Energiekonzern Uniper das Fass zum Überlaufen bringen. Der Gashändler muss das aus Russland nicht mehr ankommende Gas zu hohen Preisen am Weltmarkt ersetzen, kann die Kosten der Ersatzbeschaffungen aber nicht an seine Kunden weitergeben. Nach eigenen Aussagen verliert Uniper so jeden Tag einen zweistelligen Millionenbetrag. Analysten sprechen von bis zu 40 Millionen Euro pro Tag.
Uniper-Rettung: Stille Beteiligung des Bundes möglich
Alexander Theusner, Rechtsanwalt bei Rödl & Partner, hält die Situation für „dramatisch“. Wie hart das Gasgeschäft sein kann, hat er selbst schon erlebt, in seinen sechs Jahren bei Siemens Energy. Bei dem aktuellen Cash Burn von Uniper ist damit zu rechnen, dass das Unternehmen noch vor Jahresende zahlungsunfähig werden würde.
Dessen sind sich Uniper und der Hauptaktionär Fortum offenbar bewusst: Der Energiekonzern hat bereits Ende Juni den Staat um finanzielle Hilfe gebeten. Die Bundesregierung arbeitet seitdem intensiv an einer Lösung des Problems.
Für eine Rettung von Uniper stünde der Bundesregierung ein „Werkzeugkasten“ an Möglichkeiten zur Verfügung, sagt Theusner. Wahrscheinlich scheint aktuell finanzielle Hilfe über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) des Bundes zu sein. Dieser könnte mit einer stillen Beteiligung in Höhe von 3 bis 5 Milliarden Euro bei Uniper einsteigen. Der Bund würde in diesem Zuge auch neue Uniper-Aktien im Umfang von bis zu 25 Prozent des Kapitals zum Nennwert von 1,70 Euro je Aktie zeichnen. Für die Aktionäre des Konzerns wäre diese Verwässerung der Uniper-Anteile bitter, der Börsenkurs des Unternehmens bewegt sich derzeit um 9,30 Euro.
Umlagesystem könnte Entlastung für Uniper bringen
Alexander Theusner zufolge bieten sich dem Staat und Uniper aber noch weitere Möglichkeiten, das Unternehmen finanziell wieder auf feste Füße zu stellen. Eine davon: Am 12. Juli trat eine Novelle des Energiesicherungsgesetztes in Kraft. Dieses erleichtert unter anderem den Einstieg des Bunds bei strauchelnden Unternehmen wie Gasimporteuren. Die Novelle bietet aber auch die Möglichkeit eines Umlagemechanismus. Damit könnten die gestiegenen Kosten bei Uniper gebündelt und in regelmäßigen Abständen an alle Kunden in der gesamten Lieferkette verteilt werden. Laut Theusner bevorzugt Uniper einen „Mix aus finanzieller staatlicher Hilfe und dem Umlagesystem“.
Vermeiden wollen sowohl der Staat als auch Uniper eine dritte Option, die auch in der Energie-Novelle geregelt ist. Diese sieht vor, dass Gasimporteure ihre erhöhten Kosten direkt an ihre Abnehmer, zumeist Stadtwerke, weitergeben könnten. Theusner bezeichnet diese dritte Möglichkeit, den Preisanpassungsmechanismus, als „Damoklesschwert“. „Wenn dieser zum Zuge kommt, regelt die Situation der Markt, dann kann einiges passieren“, sagt der Anwalt. Stadtwerke und Kommunen haben sich schon deutlich gegen eine solche Lösung positioniert.
Unipers „Deal of Last Resort“
Eine andere Lösung schwebt dem finnischen Uniper-Großaktionär Fortum vor. Dieser würde gerne das kriselnde deutsche Gasgeschäft von Uniper an den Bund verkaufen. Theusner hält diese Variante aus Sicht der Bundesregierung jedoch nur für das letzte aller Mittel. Der Anwalt sieht eine Parallele zu Bad-Bank-Konstrukten: „Wenn ein Unternehmen einen notleidenden Teil abspaltet, ist das für einen staatlichen Investor natürlich weniger attraktiv.“ Auch der Bund wolle als Investor sein Geld wieder zurückbekommen, und mit dieser Option sei dies alles andere als wahrscheinlich.
Allgemein sei aus staatlicher Sicht eine „möglichst wenig invasive“ Lösung zu bevorzugen. „Ich halte es für vorstellbar, dass man politisch erstmal schaut, wie man auf den Umlagemechanismus verzichten kann“, sagt Theusner. Aus zeitlicher Perspektive könnte es laut dem Branchenkenner schnell gehen: „Ich wäre nicht überrascht, wenn die wesentlichen Einigungen innerhalb von Tagen erzielt werden“, also möglicherweise sogar noch vor dem kritischen Tag, an dem sich abzeichnet, ob Russland wieder Gas in die Nord-Stream-Pipeline einspeist.
Was die Sache noch komplexer macht, ist, dass Uniper nicht der einzige Fall in Deutschland ist, der von der Gasknappheit betroffen ist. Bei dem Gashändler VNG aus Leipzig muss der Bund möglicherweise auch mit einer Bürgschaft von bis zu 2 Milliarden Euro einspringen. Auch Stadtwerke könnten von der Gaskrise in Mitleidenschaft gezogen werden. „Die Nervosität in der Branche ist groß“, sagt Theusner. Und welche Lösung für Uniper gefunden wird, gibt auch den Weg für die Rettung der ganzen Branche vor.
paul.siethoff[at]finance-magazin.de
Paul Siethoff ist Redakteur bei Finance und schreibt vorrangig über Transformations-Themen. Er hat Kommunikationswissenschaften und Journalismus in Erfurt und in Mainz studiert. Vor seiner Zeit bei FINANCE schrieb Paul Siethoff frei für die Frankfurter Rundschau für die Ressorts Wirtschaft und Politik.
