Kein Tag vergeht zurzeit, an dem nicht neue Meldungen über Probleme in der deutschen Industrie auftauchen: Lieferengpässe bestimmen den Alltag in den Unternehmen, Produktionslinien stehen still, Mitarbeiter werden in Kurzarbeit geschickt. Der Hauptgrund ist der Mangel an Halbleitern – es ist bereits von der großen „Chipkrise“ die Rede.
Betroffen davon sind insbesondere die Automobilindustrie und dort speziell die Zulieferer. Bis zu 11 Millionen Fahrzeuge werden in diesem Jahr nicht hergestellt werden können – so lauten zumindest die Schätzungen. Verschärft wird die Situation durch den Umsatzeinbruch in einem der wichtigsten Absatzmärkte, in China.
Rohstoffpreise setzen Automotive-Branche zu
Ein zweites Problem für die Branche: die Ressourcenknappheit und die gestiegenen Rohstoffpreise. Die Probleme bei Rohmaterialien beschäftigen viele Betriebe schon seit geraumer Zeit, sei es bei der Beschaffung von Seltenen Erden, Kautschuk, Holz oder Papier. Die Coronavirus-Pandemie hat diese Probleme noch weiter verschärft, es herrscht bei vielen Rohstoffen eine extreme Verknappung.
„Es herrscht bei vielen Rohstoffen eine extreme Verknappung.“
Das wiederum führt weltweit zu höheren Preisen, längeren Lieferzeiten und geringeren Verfügbarkeiten. Steigende Transportkosten, beispielsweise durch die hohe Nachfrage nach Übersee-Containern und die teilweise verzögerte Entladung von Containerschiffen, treiben die Spirale weiter an.
Probleme für die zweite Zulieferer-Reihe
Aufgrund der Krise schließen Automobilhersteller ganze Werke, denn die Automobilindustrie kommt ohne Halbleiter nicht aus. Halbleiter sind der Hauptbestandteil von Chips, die verwendet werden, um beispielsweise den Antrieb und das Fahrverhalten zu regeln, den Reifendruck zu kontrollieren, den Airbag auszulösen oder die Klimaanlagen zu steuern.
Die Konsequenzen für viele Zulieferunternehmen klingen paradox, sind aber Realität: volle Auftragsbücher und trotzdem Umsatzeinbrüche. Durch die Krise werden Aufträge, die Zulieferer fest in ihre Planungen einkalkuliert haben, kurzfristig storniert oder verschoben. Und das trifft alle Zulieferer – vom Aluminiumproduzenten über Kunststoffhersteller bis zum Zylinderkomponentenanbieter.
Besonders prekär ist die Lage auch für Tier-2-Zulieferer, also Unternehmen aus der zweiten Reihe der Zuliefererpyramide. Im Normalfall legen die OEMs die Reihenfolge von Abrufen mehrere Wochen oder Monate im Voraus fest, und damit auch die „Frozen Zone“. Das ist die Zeit, in der an diesen „verbindlichen“ Abrufen nichts mehr geändert werden sollte.
Zulieferer kämpfen gegen Mangel an Verbindlichkeit
Doch die Realität sieht derzeit in vielen Unternehmen anders aus: Vor allem bei Tier-2-Zulieferern, die kurze Durchlaufzeiten in ihrer Produktion haben, werden Aufträge Woche für Woche geschoben – und eine Planung wird somit immer schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich. Die Zulieferer stehen vor einem Balanceakt: Sie wollen ihren Lieferverpflichtungen nach kommen, müssen andererseits aber Verluste vermeiden und die Kosten bestmöglich in den Griff bekommen.
„Vor allem bei Tier-2-Zulieferern werden Aufträge Woche für Woche geschoben.“
Die Produktionsstopps bedeuten aber nicht nur Umsatzprobleme. Denn die Zulieferer haben die Rohstoffe für die Bauteile in der Regel bereits eingekauft und teils sogar schon verarbeitet. Sie haben nun volle Läger – das bindet Kapital, und es entstehen enorme Mehrkosten.
Dazu kommt der Finanzierungseffekt: Aufgrund der Rohstoffknappheit in den vergangenen Monaten haben viele Zulieferer größere Mengen an Rohmaterialien bestellt, die nun auch finanziert werden müssen. Die Lieferungen treffen ein, können aber kaum noch bezahlt werden, weil jetzt Liquidität fehlt. Eine gefährliche Spirale beginnt.
Liquiditätsplanung für Automobilzulieferer entscheidend
Was kann ein Automobilzulieferer nun tun? Derzeit ist kurzfristiges Krisenmanagement gefragt. Die Unternehmen müssen schnell und zielgerichtet gegensteuern. Wichtige Sofortmaßnahmen drehen sich um Cash Management und Liquiditätssicherung.
Insbesondere eine integrierte Unternehmensplanung ist unerlässlich, auch wenn die Rahmenbedingungen und Vorhersagen derzeit schwierig sind. Eine solch fundierte Unternehmensplanung gibt Aufschluss über die kurz- und mittelfristige Entwicklung der Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage des Betriebes. Sie sollte als modernes Planungs- und Frühwarnsystem bereits vor der eigentlichen Krise eingesetzt werden. In einer Krise ist die professionell erstellte integrierte Unternehmensplanung zwingende Voraussetzung für einen ganzheitlichen Restrukturierungsansatz.
Unternehmensplanung: Das gehört dazu
Eine integrierte Unternehmensplanung sollte unterschiedliche Planungen für Themen wie Absatz, Investitionen und Personal verbinden und sie in eine integrierte Ertrags-, Vermögens- und Liquiditätsplanung überleiten. Diese Planung muss aktuelle Herausforderungen, beispielsweise Rohstoffknappheit und Auftragsstornierungen, unbedingt miteinbeziehen. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass vor allem eine 13-Wochen-Liquiditätsplanung sehr wichtig ist. In dieser werden sämtliche Zahlungsströme innerhalb dieses Planungszeitraums erfasst. Nur so erhält die Unternehmensleitung einen umfassenden Überblick und kann, sofern es erforderlich ist, die richtigen Entscheidungen für Gegenmaßnahmen treffen.
„Erste Unternehmen aus der Zuliefererbranche mussten bereits Gläubigerschutz beantragen.“
Ein Unternehmen sollte zudem stichtagsbezogen die liquiden Mittel den fälligen Verbindlichkeiten gegenüberstellen. Stellt es eine Unterdeckung von mehr als 10 Prozent fest, die sich nicht innerhalb von drei Wochen nachhaltig schließen lässt, sollte sich die Geschäftsführung schnell Hilfe suchen – denn dann steht der Auslöser einer Insolvenz im Raum und die Geschäftsführung sollte sich ernsthaft mit Insolvenzszenarien befassen, auch um eigene Haftungsrisiken zu vermeiden.
Erste Unternehmen aus der Zuliefererbranche mussten bereits Gläubigerschutz beantragen. Häufig ist ein Verfahren in Eigenverwaltung ein guter Weg für einen Neuanfang. Entscheidend dabei ist, dass Unternehmen sich frühzeitig mit dieser Option befassen: Der Erfolg von Sanierungen hängt davon ab, dass die Weichen schnell und professionell gestellt werden.
Marcus Katholing ist Partner und Geschäftsführer der PLUTA Management GmbH. Der Diplombetriebswirt und Bankkaufmann ist spezialisiert auf die Erstellung von Sanierungsplänen und Umsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen. Der Sanierungsexperte verfügt über langjähriges Know-how als CRO und CEO in der Automobilzulieferindustrie.