Tui kämpft um Finanzierung

Der Strom der Hiobsbotschaften für den finanziell angeschlagenen Reisekonzern Tui reißt nicht ab: Schien es vor einigen Wochen angesichts sinkender Inzidenzen und steigender Impfquoten in Europa noch so, als nehme das Urlaubsgeschäft endlich Fahrt auf, sorgt nun die Delta-Variante für neue Unsicherheiten. Pauschalreisen nach Portugal, wo die neue Mutation des Coronavirus besonders grassiert, wird Tui mindestens bis Ende Juli nicht mehr durchführen. Zwar gibt es wichtigere Märkte für die Hannoveraner als Portugal. Doch für das gerade wieder anziehende Buchungsvolumen ist Unsicherheit Gift. Der Rückschlag mitten in der Sommerreisesaison ist problematisch, denn der Cash-Burn ist immens: Zuletzt verbrannte Tui pro Quartal etwa 800 Millionen Euro an Liquidität – Löcher, die das Finanzteam um den seit Jahresbeginn amtierenden CFO Sebastian Ebel mit immer neuen Finanzierungen stopfen muss. Allein in diesem Jahr hat Tui fast 2 Milliarden Euro frisches Geld eingeworben. Im Januar gab es eine Kapitalerhöhung über 568 Millionen Euro, im April folgte eine Wandelanleihe über 400 Millionen Euro, die erst in dieser Woche um 190 Millionen Euro aufgestockt wurde, und im Mai gab Tui auch noch Tafelsilber ab: Mit dem Verkauf von 21 Hotelimmobilien an den eigenen Großaktionär Riu sicherte sich das Unternehmen 540 Millionen Euro Cash. Die verfügbare Liquidität gab Tui inklusive ungezogener Kreditlinien zuletzt mit 1,7 Milliarden Euro an (Stand 7. Mai), darin ist der Riu-Erlös allerdings noch nicht enthalten. Auch die 50-Prozent-Tochter Tui Cruises hat sich mit einer Anleihe über 300 Millionen Euro für einen weiterhin schwachen Geschäftsverlauf gewappnet. Tui: RCF-Tranchen auf dem Markt Die entscheidende Frage lautet: Reicht das alles aus, um die Ebbe im operativen Geschäft zu überstehen? Und was passiert danach mit den horrenden Schulden? Finanzchef Ebel hatte jüngst erklärt, man sei „insgesamt solide finanziert für den Winter“ und spüre eine „sehr deutliche Belebung des Geschäfts“. Bei einigen Gläubigern scheint die Sorge um Tui aber wieder zu wachsen. So haben bereits die ersten Tranchen eines Kredits den Besitzer gewechselt. Wie der Branchendienst „Debtwire“ kürzlich berichtete, wurden im Juni 65 Millionen Euro verkauft – zu einem Kurs von 86,5. Aus dem Markt ist zu hören, dass im Zuge der Transaktion Hedgefonds eingestiegen seien. Tui bestreitet dies allerdings auf Anfrage von FINANCE: „Es gibt (…) kein Hedgefonds-Eigentum an unserem RCF.“ Bereits im Mai soll eine Schuldscheintranche im Wert von 40 Millionen Euro zu Kursen im unteren 80er-Bereich gehandelt worden sein. In jedem Fall dürfte das Debt Trading die Situation für die Hannoveraner erschweren. Denn bei dem Kredit handelt es sich um die 4,6 Milliarden Euro schwere Revolving Credit Facility (RCF), an der sich auch die staatliche KfW im Zuge von inzwischen schon drei Rettungspaketen mit 1,8 Milliarden Euro beteiligt hat. Die Linie läuft bis Juli 2022, Tui strebt eine Verlängerung an. Ob die Verhandlungen bereits laufen, wollte der Konzern auf Anfrage von FINANCE nicht kommentieren. FINANCE-Themenseite Tui Kaum eine Branche ist so von Corona gebeutelt wie die Tourismus- und Reiseindustrie. Verfolgen Sie hier, wie sich Tui in dieser schwierigen Gemengelage schlägt. Mehr zum Thema Wechselnde Akteure im Kredit machen die Gespräche nicht einfacher. Tui soll daher im Vorfeld sogar versucht haben, den Kredit so zu strukturieren, dass Kreditgeber ihre Anteile nicht verkaufen können, berichten Insider gegenüber FINANCE. Das ist allerdings offensichtlich nicht gelungen. Covenant Holiday für Tui-Kredit läuft aus Und es geht nicht nur um die Verlängerung des Kredits in einem Jahr. Noch wichtiger ist eine Deadline, die bereits am 30. September 2021 ansteht. Denn dann läuft der „Covenant Holiday“ aus, der derzeit für den RCF gilt. Mit anderen Worten: Ab September würde die Einhaltung der Kreditklauseln wieder geprüft, sollte es Tui nicht gelingen, eine Verlängerung der Aussetzung durchzusetzen. Die Frage, ob es einen Plan B für diesen Fall gebe, wollte Tui ebenfalls nicht kommentieren. Hier zeigen sich Beobachter aus Finanzkreisen mit Blick auf die politische Dimension des Falls und betroffene Arbeitsplätze aber recht optimistisch. Die vielen offenen Fragen rund um den RCF dürften erklären, warum Tui derzeit alles daran setzt, diesen Finanzierungsbaustein möglichst zügig zu refinanzieren beziehungsweise die Ziehungen zurückführen. Hatte der Konzern Ende März noch 3,8 Milliarden Euro des RCF gezogen, liegt der Wert nun noch bei etwa zwei Drittel des Volumens, wie ein Sprecher des Konzerns auf Anfrage mitteilte. Dies wären rund 3,2 Milliarden Euro. Möglich wurde diese Rückführung durch Mittelzuflüsse aus der im April aufgelegten und gerade aufgestockten Wandelanleihe, die inzwischen 590 Millionen Euro schwer ist. Beobachter: Kapitalerhöhung brächte nicht viel Auch an einer Kapitalerhöhung scheint Tui zu feilen, wie jüngst die Nachrichtenagentur „Bloomberg“ berichtete. Im Raum stünde ein Betrag von 1 Milliarden Euro, die letztliche Höhe könne sich aber ändern, hieß es in dem Bericht von Mitte Juni. Doch selbst diese Summe würde nicht ausreichen, um die ramponierte Bilanz zu sanieren. Stand Ende März lag die Nettoverschuldung von Tui bei 6,8 Milliarden Euro – bei einem Ebitda von minus 813 Millionen Euro im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2020/2021, das bei Tui im September endet. Angesichts dessen bezeichnet ein Beobachter die in Aussicht gestellte 1 Milliarde Euro fresh equity gegenüber FINANCE als „Tropfen auf dem heißen Stein“. Zudem stelle sich die Frage, von wem das Geld überhaupt kommen solle. Daher müsse nun sogar über eine Zerschlagung diskutiert werden. Die Einzelteile des Reisekonzerns könnten mehr Wert sein als deren Summe: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Tui wieder in seine Kapitalstruktur hineinwächst“, meint er. Wann gelingt Tui der Turnaround beim Cashflow? Die Crux: Angesichts der auf 4,75 Milliarden Euro geschrumpften Marktkapitalisierung hat Tui nur wenig Spielraum. Eine Kapitalerhöhung über 1 Milliarde Euro würde die bestehenden Aktionäre dann schon zum zweiten Mal schwer verwässern. Und die Hoffnung auf höhere Kurse wird durch die Ausbreitung der Delta-Variante gehemmt. Somit bleibt die Situation angespannt. Tui rechnet aber weiterhin damit, dass der Turnaround im Cashflow im vierten Quartal des Geschäftsjahres – also im Zeitraum von Juli bis September – gelingen wird. Es gebe keinen Grund von dieser Prognose abzurücken, sagte Finanzchef Ebel vergangene Woche der Nachrichtenagentur dpa. Allerdings: Entscheidend sei es, in den kommenden Monaten „operativ einen guten Job zu machen“. desiree.buchholz[at]finance-magazin.de

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