Wie viel ist meine Abschlussprüfung wert? Diese Frage dürften sich aktuell immer mehr Unternehmen stellen. Zum einen führt die seit einigen Jahren geltende Abschlussprüferrotation zu mehr Prüferwechseln. Die vereinbarten Honorare mit dem jahrelang vertrauten Prüfer gelten nicht mehr, eine neue Grundlage ist aber schwer zu ermitteln. Denn die Höhe des Honorars ist nicht gesetzlich fixiert und kann frei verhandelt werden – das macht es sowohl für Prüfer als auch Unternehmen oftmals schwer.
Zum anderen verändert die Digitalisierung die Prüfungsleistungen: Weil statt Menschen zunehmend Maschinen die Zahlen prüfen, werden manche Arbeiten heute schneller erledigt als früher. Gleichzeitig müssen die Wirtschaftsprüfer jedoch große Summen in die Hand nehmen, um ihre Prüfung auf den neusten technischen Stand zu heben – und das muss sich eigentlich durch ein höheres Honorar amortisieren.
Baker Tilly: „Der Markt ist reif“
Für Baker Tilly war daher jetzt der richtige Zeitpunkt, das Produktmodell Wirtschaftsprüfung komplett neu zu definieren. „Der Markt ist reif“, sagt Ralf Gröning, Sprecher des Management Boards bei der achtgrößten Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deutschlands. Baker Tilly hat dafür alle wiederkehrenden Prüfungsschritte standardisiert sowie weitestgehend digitalisiert. Auf dieser Basis bietet das WP-Haus unter dem Namen „Audit on Demand“ jetzt drei verschiedene Servicelevel an: Standard, Comfort und Premium.
Je nachdem, wie komfortabel ein Unternehmen seine Prüfung gestalten will, wählt es ein Servicelevel aus. „Jede Prüfung entspricht natürlich allen berufsrechtlichen Anforderungen. Egal ob Standard- oder Premium-Level: Das Testat hat immer den gleichen Wert“, betont Thomas Edenhofer, Head of Audit & Advisory und Mitglied des Management Boards von Baker Tilly, und vergleicht es mit dem Preismodell einer Fluggesellschaft: „Unabhängig davon, ob man Holz- oder Luxusklasse fliegt, man kommt gleich sicher am Ziel an.“
Baker-Tilly-Testat: Standard, Comfort oder Premium?
Die Differenzen in den einzelnen Levels sind dabei teilweise enorm – sie unterscheiden sich in Rahmenbedingungen, die die Prüfung für Baker Tilly mehr oder weniger aufwendig und somit teurer machen. So bekommt ein Unternehmen bei einem Standard-Level etwa als zentralen Ansprechpartner einen Manager und die vornehmliche Kommunikation findet per E-Mail und Telefon statt. Zudem beginnt die Prüfungsphase ab Mai ohne verbindlichen Endtermin, oder das Unternehmen muss bereits zu Beginn der Prüfung alle Unterlagen bereitstellen. Generell ist der Ablauf stark standardisiert und wenig an das Unternehmen angepasst.
Die mittlere Comfort-Variante passt sich den Bedürfnissen der Unternehmen schon besser an: So ist der Senior Partner der zentrale Ansprechpartner, die vornehmliche Kommunikation läuft per Videokonferenz, die Prüfungsphase beginnt schon im April samt verbindlichem Endtermin. Zudem muss das Unternehmen zwar auch in dieser bequemeren Variante viele Unterlagen gleich zu Beginn der Prüfung bereitstellen, Anhang und Lagebericht sind davon aber ausgeschlossen.
Wer sich hingegen für die Premium-Variante entscheidet, bekommt die individuellste und flexibelste Option. Man kommuniziert auf Partner-Ebene und hat Anspruch auf zusätzliche Spezialisten, die Kommunikation findet vornehmlich persönlich vor Ort statt. Das Unternehmen kann den Termin für die Prüfungsphase selbst wählen, alternativ kann es die Unterlagen erst sukzessive im Laufe der Prüfung bereitstellen.
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Kapitalmarktorientierte Unternehmen mit ihrer ohnehin sehr anspruchsvollen Prüfung sind dazu verpflichtet, sich für die Premium-Variante zu entscheiden. Wer zusätzlich noch prüfungsnahe Beratungsleistungen haben möchte, muss diese – unabhängig vom Servicelevel – extra über „Audit+“ hinzubuchen.
„Audit on Demand“ soll mehr Transparenz bringen
Das neue Konzept bezeichnen Gröning und Edenhofer als „innovativ“: „Unseres Wissens nach hat kein anderer Wirtschaftsprüfer so ein Modell. Wir sind die ersten.“ Ein Jahr lang hat Baker Tilly an dem Konzept gearbeitet, Leistungen abgegrenzt und die Preise festgelegt. Eine nicht-repräsentative FINANCE-Umfrage unter WP-Häusern – sowohl aus den Big Four als auch aus den Next Ten – zeigt, dass dieses Konzept tatsächlich einzigartig zu sein scheint.
„Wir vereinbaren mit jedem Mandanten ein individuelles Honorar“, sagt beispielsweise ein WP-Vertreter. „Implizit hängt dieses natürlich auch von Faktoren wie Prüfungszeitpunkt oder dem Anteil der Vor-Ort-Tätigkeit ab – allerdings ist das für den Mandanten nicht so transparent.“ Oder wie es ein anderer Vertreter sagt: „Bisher war die Prüfung und ihre einzelnen Dienstleistungen samt Preise eine Blackbox für die Unternehmen.“
„Wenn die Kunden mehr wollen, sollten sie auch mehr bezahlen.“
Das will Baker Tilly mit der neuen Produktpolitik ändern und mehr Transparenz bei den Honoraren schaffen. Davon profitiert auch das WP-Haus selbst: „Mit ‚Audit on Demand‘ wissen wir im Vorfeld, welche Leistungen aufgerufen werden. Wir können den tatsächlichen Aufwand exakt tracken und bei Bedarf nachkalkulieren“, sagt Ralf Gröning. Für Baker Tilly ist das natürlich auch ein Versuch, dem zunehmenden Preiskampf etwas entgegenzusetzen: „Die Kunden wissen genau, was sie zu welchem Preis bekommen – wenn sie mehr wollen, sollten sie auch mehr bezahlen“, sagt Gröning.
Wirtschaftsprüfer-Branche zeigt sich skeptisch
Die Idee, dem Preiskampf mit mehr Transparenz in der Honorargestaltung zu begegnen, begrüßen daher auch von FINANCE befragte WP-Häuser grundsätzlich. „Wir investieren viel Geld in die Digitalisierung der Prüfung, und auch die zunehmende Regulatorik verlangt uns einiges ab. Zudem ist es immer schwerer, Nachwuchs zu finden“, konstatiert ein Vertreter. „Gleichzeitig will der Mandant immer niedrigere Preise – und um wettbewerbsfähig zu bleiben, ziehen wir Wirtschaftsprüfer da auch noch mit, das ist doch nicht logisch.“ Und ein anderer Prüfer bringt es auf den Punkt: „Wir haben hochqualifiziertes Personal und verscherbeln es.“
Mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung des Baker-Tilly-Konzeptes in punkto Honorar-Politik sind die Befragten jedoch skeptisch. Ein Wirtschaftsprüfer glaubt sogar, dass der geringe Vor-Ort-Anteil von 40 Prozent in der Standard-Variante die Qualität des Testats gefährdet. „Gerade die persönlichen Gespräche mit den Mitarbeitern sind sehr wichtig, um alle Vorgänge im Unternehmen zu verstehen und nachprüfen zu können. Da kann es nicht sein, dass man sich von Vorneherein einschränkt“, so seine Kritik. „Nicht der Kunde entscheidet, wie viel wir vor Ort sein müssen, sondern wir als unabhängige Prüfer – und wenn das mehr kostet, dann ist es eben so.“
Andere Merkmale der Standard-Variante – wie die vornehmliche Kommunikation über E-Mail und Telefon oder aber dass man nicht zu Kundenveranstaltungen eingeladen wird – hält ein WP-Vertreter wiederum sogar für schädlich für die Beziehung zwischen Prüfer und Unternehmen. „Der Mandant wird wie ein Kunde zweiter Klasse behandelt“, so die harten Worte eines Konkurrenten.
Ein anderer glaubt, dass das Modell darauf ausgerichtet ist, dass die Kunden teuer nachbuchen müssen – deshalb sei der Leistungsumfang beim Standard- oder Comfort-Variante so knapp kalkuliert. So mancher vermutet auch, dass man die Standard-Variante bewusst unattraktiv gestaltet habe, um die Kunden zu den teureren Levels zu locken.
„Der Mandant wird wie ein Kunde zweiter Klasse behandelt.“
„Können Mehraufwand transparent in Rechnung stellen“
„Wir freuen uns, dass wir in der Branche offenbar für einiges Aufsehen und Diskussion gesorgt haben. Nur so bewegt sich etwas“, sagt Thomas Edenhofer zur Kritik seiner Wirtschaftsprüfer-Kollegen aus anderen Häusern. Die genannten Kritikpunkte seien ja genau die Schwachstellen, die man in den Griff bekommen möchte. „Natürlich ist der persönliche Kontakt im Prüfungsprozess nach wie vor wichtig. Aber wenn wir als unabhängiger Prüfer entscheiden, dass mehr Vor-Ort-Präsenz als ursprünglich mit dem Kunden vereinbart notwendig ist, können wir den Mehraufwand nun auch ganz transparent in Rechnung stellen. Da ist bislang viel unter den Tisch gefallen“, rechtfertigt er sich. Oftmals sei es dem Kunden nämlich gar nicht bewusst, wenn er bei den Prüfern Mehrarbeit verursacht.
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„Zudem muss der Kunde in unseren Augen nun einmal in Kauf nehmen, dass er ‚nur‘ 2. Klasse fliegt, wenn er ‚nur‘ 2. Klasse bezahlt. Wenn ich in ein Flugzeug steige, ist das ja auch nicht anders. Da kann ich mich jederzeit entscheiden, upzugraden, um die Beine ausstrecken zu können“, so Edenhofer weiter. „Und wie bei einer Fluggesellschaft auch, ist bei uns jetzt ganz klar und transparent geregelt, was und wieviel ein solches Mehr an Komfort kostet.“
Wird sich das Baker-Tilly-Modell durchsetzen?
Ob es unter dem neuen Produktmodell für Kunden tendenziell teurer oder günstiger wird, kann Baker Tilly auf Nachfrage noch nicht einschätzen, denn das Konzept gibt es erst seit Oktober. Während Bestandskunden nach und nach zu der neuen Produktpolitik wechseln, sollen Neukunden direkt in das neue System eingeordnet werden, so der Plan. Laut Thomas Edenhofer sei das Feedback der Mandanten aber durchweg positiv.
Fakt ist, dass die Branche dem zunehmenden Preisdruck etwas entgegensetzen muss – ob das Modell von Baker Tilly die Lösung ist, beobachten die Konkurrenten genau. Baker Tilly selbst zeigt sich aber überzeugt und will den „maßgeschneiderten Service“ in Zukunft auch für die Beratungsleistungen anbieten.
Info
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Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.