Endlich wieder ein Familienmitglied auf dem Chefposten: Jan Rinnert, bislang CFO bei Heraeus, tritt an diesem Samstag offiziell seinen Job als neuer Unternehmenschef an. Doch sein Einstand könnte erfreulicher ablaufen. Anfang Mai präsentierte Rinnert gemeinsam mit dem scheidenden Vorstandschef Frank Heinricht wie erwartet eine durchwachsene Bilanz für das Jahr 2012. Angesichts der Krise in der Solarbranche, von deren Nachfrage nach Silberpaste für Solarzellen auch Teile des Heraeus-Umsatzes abhängen, waren die Einbrüche bei den Produktumsätzen (- 13 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro) und der Einbruch beim EBIT (- 25 Prozent auf 365 Millionen Euro) keine wirkliche Überraschung.
Dass ihn an der Unternehmensspitze kein gepflügtes Feld erwartet, war für Rinnert absehbar. Der 44-Jährige, der aus Norddeutschland stammt und mit Julia Heraeus verheiratet ist, war bereits länger als nächster CEO gehandelt worden. Gleichzeitig stand seit geraumer Zeit fest, dass er trotz der neuen Belastung sein Amt als Finanzgeschäftsführer ebenfalls behalten wird. Die Kombination, die in jedem anderen Unternehmen schon selbsterklärend eine immense Belastung mit sich bringen würde, geht bei Heraeus noch mit weiteren erschwerenden Bedingungen einher: Anfang des Jahres hat das Unternehmen die Umsetzung des lange geplanten Mega-IT-Projekts „Magellan“ begonnen, das konzernweit für zentrale IT-Strukturen sorgen soll. Die Verantwortung für das auf sieben Jahre veranschlagte Projekt liegt ebenfalls bei Rinnert.
Stimmung der Heraeus-Mitarbeiter auf dem Tiefpunkt
Wenig Freunde macht sich der Konzern zudem derzeit bei den Mitarbeitern. Grund für die miese Stimmung der Belegschaft sind diverse Umstrukturierungen, die wohl nötig sein dürften, damit die „vorsichtig optimistische“ Prognose, die Rinnert für den weiteren Verlauf des Jahres ausgab, nicht verpufft. An den Standorten Hanau und Kleinostheim sollen bis Ende 2014 in der Sparte Materials Technology Arbeitsplätze wegfallen, im Gegenzug soll in starken asiatischen Niederlassungen aufgestockt werden – in Asien erwirtschaftete Heraeus im vergangenen Jahr bereits 52 Prozent des Gesamtumsatzes.
Auch den Verkauf der Dentalsparte dürften zahlreiche Mitarbeiter dem Management übel nehmen. Die Belegschaft fürchtete einen Stellenabbau. Zwar war der Verkauf des Dentalgeschäfts für 450 Millionen Euro an die japanische Mitsui Chemicals bereits im April – und damit noch unter der Leitung von Heinricht – unter Dach und Fach gebracht worden, zugeschrieben wird die Entscheidung aber Rinnert. Der konnte bei der Bilanzvorlage immerhin vermelden, dass die Transaktion entgegen der ursprünglichen Erwartung keine Entlassungen nach sich ziehen wird.
Trotzdem zeigen sich die Mitarbeiter insgesamt alles andere als gut gelaunt. Bei der Anfang des Jahres durchgeführten jährlichen Befindlichkeitsumfrage des Verbandes angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA) rutschte kein Unternehmen so weit ab wie Heraeus: Nach dem 10. Rang 2011 liegt das Familienunternehmen aktuell auf dem 17. von insgesamt 22 Plätzen.