Scharfe Kritik am Aufsichtsrat von Brenntag: Primestone Capital bezweifelt in einem offenen Brief an den Aufsichtsrat vom Dienstag, dass dieser seine Aufsichtsfunktion erfülle, und fordert selbst Sitze in dem Gremium. Der aktivistische Investor bekräftigt in dem Brief zudem die Forderung, den Chemikalienhändler aufzuspalten, die Primestone auch mit anderen Investoren teilt, und kritisiert Kommunikation sowie Führung des Unternehmens.
Das Schreiben folgt nach einem Treffen zwischen Primestone Capital und Brenntag CEO Christian Kohlpaintner, bei dem der Investor erfolglos eine Trennung vom Geschäftsbereich Brenntag Essentials forderte. Grundsätzlich bemängelt der Investor die „jahrelange unzureichende Performance“, fragwürdige Entscheidungen bezüglich der Unternehmensstrategie wie etwa der geplanten und schnell wieder verworfenen Übernahme des Konkurrenten Univar sowie einer „besorgniserregenden Verschlechterung der Kostenbasis und der Ertragskraft“.
Aufspaltung soll Brenntag-Performance verbessern
Brenntag besteht aktuell aus zwei großen Geschäftsbereichen: „Specialties“ und „Essentials“. In ersterem vertreibt Brenntag Spezialchemikalien, in zweiterem chemische Grundstoffe. Mit einer Herauslösung von Brenntag Specialties „könnte der Teufelskreis der unzureichenden Performance dieses Geschäftsbereichs durchbrochen werden“, um Brenntag wieder in die Lage zu versetzen, „auf Augenhöhe mit seinen leistungsstärkeren auf ihr Kerngeschäft fokussierten Wettbewerbern zu konkurrieren“, ist Primestone Capital überzeugt.
Darüber hinaus fordert der Hedgefonds, dass sich der Aufsichtsrat stärker auf die Leistung des Managements und die Kosteneffizienz konzentrieren solle. Dem aktuellen Aufsichtsrat fehle es nicht nur „an digitalem Fachwissen“, sondern auch an „Urteilsvermögen und Entschlusskraft“. Primestone verlangt deshalb, dass schon auf der diesjährigen Hauptversammlung über neue Kandidaten für den Aufsichtsrat abgestimmt werden solle und nicht erst wie vorgesehen 2024. Primestone hält eigenen Angaben zufolge knapp 2 Prozent der Brenntag-Aktien.
Kritik an Kommunikation des Brenntag-Aufsichtsrats
Kritisiert wird zudem eine „zweideutige, irreführende oder fehlerhafte Kommunikation“ des Brenntag-Vorstands. Strategische Richtungswechsel würden den Aktionären gegenüber nur unzureichend kommuniziert, bemängelt Primestone Capital. Das fehlende Bewusstsein „für die Dringlichkeit“, sieht Primestone im geringen Aktienbesitz der Aufsichtsratsmitglieder begründet.
Erst kürzlich hatte Engine Capital ebenfalls die Aufspaltung Brenntags und auch einen Sitz im Aufsichtsrat gefordert. Der aktivistische Investor sieht Brenntag ebenfalls deutlich unterbewertet und erhofft sich von einer Zerschlagung eine Verdoppelung des Aktienkurses.
Brenntag bestätigte die Kenntnis des Briefs. „Wir schätzen den konstruktiven Dialog mit allen unseren Aktionären, werden einzelne Inhalte des Briefs aber nicht weiter kommentieren“, teilte Brenntag auf FINANCE-Nachfrage mit.
Der Chemikaliengroßhändler hatte Ende November angekündigt, den US-Konkurrenten Univar übernehmen zu wollen. Doch nach scharfer Kritik an dem Deal, unter anderem von Primestone Capital, hatte Brenntag die Übernahme wieder abgeblasen.
Brenntag will weiter zukaufen
Brenntag will ungeachtet der gescheiterten Univar-Gespräche weiterhin am M&A-Markt aktiv bleiben. „Wir halten an unserer Strategie, auch durch Zukäufe zu wachsen, weiterhin fest“, kündigte Brenntag-CFO Kristin Neumann Anfang Februar im Gespräch mit FINANCE an. Das jährliche M&A-Budget sei verdoppelt worden auf 400 bis 500 Millionen Euro, die für Akquisitionen zur Verfügung stünden.
Rund 300 Firmen hätte Brenntag zurzeit im Visier. „Spannend sind für uns Branchen wie Life Sciences, sprich Nutrition, Pharma und Personal Care“, sagte Neumann und betonte, dass der Net Leverage 2x dabei nicht überschreiten soll.
Falk Sinß ist Redakteur bei FINANCE. Er hat Soziologie, Politologie und Neuere und Mittlere Geschichte in Frankfurt am Main sowie in Mainz Journalismus studiert, wo er auch einen Lehrauftrag inne hatte. Vor seiner Zeit bei FINANCE war Falk Sinß drei Jahre Redakteur der Zeitschrift Versicherungswirtschaft und zehn Jahre für verschiedene Medien des Universum Verlags tätig.
