Wer noch immer glaubt, dass das Auftauchen des selbst ernannten Karnevalsvereins Mainz 05 im Bundesliga-Establishment nur ein Strohfeuer ist, kann jetzt wohl einpacken: Der FSV Mainz 05 hat einen Vermarktungsvertrag mit der Agentur Infront geschlossen, der zehn Jahre läuft und dem Klub Einnahmen von 250 Millionen Euro garantiert. On top kommt noch ein sofortiger Signing-Bonus von 10 Millionen Euro Cash. Der Bundesligist wird zudem an allen Marketingerlösen beteiligt, die den festgelegten Wert von 25 Millionen Euro im Jahr übersteigen.
Der Deal sieht gut aus und hat nicht viel gemein mit den bitteren Verträgen, die andere Vereine – aus einer Position der Schwäche heraus – in der Vergangenheit mit Agenturen wie Infront oder Sportfive abgeschlossen haben. Eintracht Frankfurt zum Beispiel trägt noch immer schwer an der bis 2020 laufenden Allianz mit Sportfive, mit der sich der Klub 2002 die damals dringend benötigte Liquidität gesichert hatte. Die Eintracht-Führung versucht sich derzeit krampfhaft durchzuwurschteln, bis der Sportfive-Vertrag endlich ausläuft und die Eintracht selbst wieder ihre Hand auf das Geld bekommt, mit dem sich Sportfive zurzeit im Umfeld der Eintracht eine goldene Nase verdient.
Manager Christian Heidel macht den Sack zu
Als „Quantensprung“ und „Mega-Deal“ wird die Mainzer Vereinbarung in den Medien gefeiert. Sicher, 260 Millionen Euro sind eine enorme Zahl für Mainz 05. Doch tatsächlich ist der Infront-Deal keineswegs ein wildes Angriffssignal in Richtung Bundesliga-Elite, sondern ein zutiefst defensiver Schachzug des Mainzer Erfolgsmanagers Christian Heidel. Denn Mainz 05 hat seine Vermarktungserlöse gerade aus eigener Kraft schon auf über 20 Millionen Euro im Jahr hochgeschraubt, manche sprechen sogar von 23 Millionen Euro.
Damit sei Mainz 05 „ausverkauft“, sagt Heidel, und in diesem Kontext muss man auch den Infront-Deal sehen: Indem er für die kommenden zehn Jahre Vermarktungserlöse von 25 Millionen Euro im Jahr fest einloggt, sichert Heidel das Erreichte ab – nicht mehr und nicht weniger.
An der möglichen Upside werden die Mainzer nur zum Teil partizipieren, das ist der Preis der Sicherheit. Denn von allen Vermarktungserlösen, die über 25 Millionen Euro im Jahr hinausgehen, wird Infront den Löwenanteil selbst einstreichen. Das Kalkül des von einem Blatter-Neffen geführten Schweizer Rechtevermarkters, der vergangenes Jahr einen ähnlichen Deal mit dem 1.FC Köln abgeschlossen hat, liegt auf der Hand: Wenn der Bundesliga-Boom anhält, dürfte es den Schweizern nicht schwer fallen, so viele Zusatzeinnahmen für Mainz 05 zu generieren, dass auch sie selbst einen schönen Profit einstreichen.
Christian Heidel ist keine schwäbische Hausfrau
Bei dem Infront-Deal geht es für Heidel aber noch um viel mehr: Mainz 05 leistet sich den Luxus, gleich zwei Stadien zu besitzen. Beide hat der Klub in den zurückliegenden zehn Jahren neu errichtet (Coface-Arena) beziehungsweise ausgebaut (Bruchwegstadion).
Das ist zweifellos Ballast, ein Fußballstadion in Stand zu halten, ist nicht billig. Und von den 49 Millionen Euro, die der Bau der Coface-Arena den Klub in Form vn Darlehen gekostet hat, muss Heidel noch fast die Hälfte abtragen. Die jährliche Zins- und Tilgungslast für die Coface-Arena beträgt 3,3 Millionen Euro. Heidel hätte jetzt zum Beispiel die Möglichkeit, die Infront-Millionen wie sein CFO-Kollege Thomas Treß von Borussia Dortmund in die Hand zu nehmen, um damit die Stadionschulden abzutragen.
Der Klub wäre damit ein hohes Finanzrisiko los, denn bei Mainz wird zwar erfolgreich, aber beileibe nicht so konservativ gewirtschaftet, wie viele glauben. Heidel ist Sportmanager durch und durch und hat mit einer schwäbischen Hausfrau ungefähr so viel gemeinsam wie sein Zögling Jürgen Klopp mit dem Dalai Lama. Heidel gibt unumwunden zu, dass sich Mainz 05 inzwischen einen Kader leistet, der für die laufenden, gesicherten Einnahmen, die der FSV Mainz 05 aus eigener Kraft generieren kann, eigentlich zu teuer ist.
Mainz setzt auf Transfers, die man nicht planen kann
Heidel weiß, dass dieser Kurs nur dann nicht in der Krise endet, wenn regelmäßig hohe Transferüberschüsse erzielt werden. Diesen Sommer ist das gelungen, dank der Verkäufe von Johannes Geis, Shinji Okazaki und Sebastian Polter hat Mainz fast 20 Millionen Euro mehr eingenommen als ausgegeben.
Aber Transfer-Coups lassen sich nicht planen. Außerdem steht und fällt die Strategie damit, dass auf der Mainzer Bank ein exzellenter Trainer sitzt, der es versteht, junge Spieler weiterzuentwickeln. Mit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel hat das überragend funktioniert. Aber es wäre verwegen, davon auszugehen, dass Mainz 05 ständig solche Trainertalente aus dem Hut zaubern kann und dass auch der neue Trainer Martin Schmidt wieder eine Granate von diesem Kaliber ist.
Ohne die Last der Stadionfinanzierung hätte Heidel jedoch 3 Millionen Euro mehr für die Mannschaft zur Verfügung, das entspricht mehr als einem Zehntel des Lizenzspieleretats, den sich Mainz derzeit gut 25 Millionen Euro im Jahr kosten lässt. 3 Millionen Euro mehr wären ein großer Schritt, um die laufenden Einnahmen wieder mit den Kosten in Einklang zu bringen, ohne dafür Abstriche an der sportlichen Wettbewerbsfähigkeit machen zu müssen.
Die neue Mainzer Welt nach dem Infront-Deal
Die neue Mainzer Welt nach dem Infront-Deal ist also eine ganz behagliche: Ein Drittel des aktuellen Umsatzes von 75,7 Millionen Euro auf Jahre hinaus fest garantiert, ein bald abbezahltes Stadion, weniger Risiko bei den Spielergehältern und in Kürze wohl über 30 Millionen Euro Eigenkapital auf der hohen Kante. Als Sahnehäubchen obendrauf kommt noch ein nach unten solide abgesicherter neunter Platz im TV-Gelder-Ranking, der den Mainzern 30 Millionen Euro TV-Einnahmen im Jahr beschert. Heidel ist damit tatsächlich das Kunststück gelungen, den Mini-Standort Mainz wirtschaftlich auf Jahre hinaus fest in der Bundesliga zu etablieren.
Die Gefahren, die der Infront-Deal birgt, sind weniger wirtschaftlicher, sondern eher emotionaler Natur. Weil die Mainzer Werbeflächen ausverkauft sind, wird Infront nur dann Geld verdienen, wenn die Agentur aus ihrem internationalen Netzwerk neue Sponsoren nach Mainz lockt, die deutlich mehr bezahlen als die jetzigen.
Das könnte damit enden, dass Mainz 05 nach und nach den Kontakt zu seiner regionalen Basis und seinem bisherigen Sponsorenumfeld verliert. Schließlich werden die Werbeetats der Unternehmen aus der Region kaum mit denen der großen Infront-Kunden mithalten können. Der Infront-Deal hat also besonders eine Konsequenz: Die Zeit der Mainzer Fußballromantik ist vorbei. Seit Freitag ist der FSV Mainz 05 seinem alten Umfeld entwachsen.
Info
Schuldenberg bei Schalke 04, Hoffnungszeichen beim HSV, wackelige Finanzen beim VfB Stuttgart: Mehr Beiträge aus dem FINANCE-Blog „3. Halbzeit“ finden Sie hier. Folgen Sie 3. Halbzeit auch auf Facebook und diskutieren Sie mit.