Während die meisten anderen Airlines im abgelaufenen Geschäftsjahr deutlich bessere Ergebnisse als in den Jahren davor erzielen konnten, rutscht Air Berlin immer tiefer in die roten Zahlen. Unter dem Strich mussten die Berliner heute einen Rekordverlust von 447 Millionen Euro bekanntgeben. Das sind noch einmal 70 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.
Besonders bitter sind die Hintergründe des Rekordverlustes. Die nochmalige Verschlechterung lag nicht etwa am Marktumfeld, rückläufigen Preisen oder Restrukturierungskosten, sondern in erster Linie an hausgemachten Fehleinschätzungen – ausgerechnet in der Finanzabteilung der sanierungsbedürftigen Fluglinie.
Air Berlin mit zu hoher Hedging-Quote beim Ölpreis
Der heute vorgelegte Geschäftsbericht belegt, wie sehr Air Berlin beim Eingehen von Sicherungsgeschäften Ende 2014 die Dynamik des Ölpreisverfalls unterschätzt und den Kerosinpreis auf einem viel zu hohen Niveau gehedgt hat. Und Kerosin ist der mit Abstand größte Kostenposten von Air Berlin, die Treibstoffkosten machen über 20 Prozent der Gesamtkosten aus.
Konzernchef Stefan Pichler geht gleichwohl nur dezent auf diesen Punkt ein: „Air Berlin konnte nur im geringen Umfang von der günstigen Entwicklung des Kerosinpreises profitieren“, lässt sich Pichler in der Mitteilung zu den Jahreszahlen zitieren. Zur Begründung verwies er auf „bestehende Hedging-Transaktionen, verbunden mit dem starken US-Dollar“.
Air Berlin hatte für 2015 rund 71,5 Prozent des Kerosineinkaufs abgesichert und damit die deutlich höheren Preise vom Vorjahr eingeloggt. Auf den daraufhin einsetzenden weiteren Ölpreisverfall konnten die Berliner dann kaum noch reagieren. Ein Sprecher von Schwierholz‘ Vorgänger Ulf Hüttmeyer hatte bereits Anfang 2015 angekündigt, man prüfe die Hedging-Quote zu senken, um vom sinkenden Ölpreis zu profitieren.
Der frühere Lufthansa-Manager Arnd Schwierholz ist seit dem 1. April vergangenen Jahres CFO von Air Berlin und hat die Hedging-Strategie mittlerweile geändert: „Wir setzen beim Hedging jetzt stärker auf das Instrument der Zero-Cost-Collars und sichern uns damit größere Bandbreiten“, erläuterte Schwierholz gegenüber FINANCE.
Damit setzt sich Air Berlin zwar stärker als in der Vergangenheit dem finanziellen Impact wieder steigender Ölpreise aus. Auf der anderen Seite kann die Airline nun aber auch im Rahmen bestehender Hedges zumindest teilweise von fallenden Ölpreisen profitieren. Kurz: Die gehedgten Preise von Air Berlin reagieren stärker auf Veränderungen des Spot-Markt-Preises als in der Vergangenheit.
Lufthansa-CFO Menne sticht Air-Berlin-CFO Schwierholz aus
Die Bilanz für 2015 fällt aber dennoch ernüchternd aus. So liegt der Preis, den Air Berlin im vergangenen Jahr im Schnitt für eine Tonne Kerosin zahlte, laut Aussagen von Schwierholz bei 822 US-Dollar. Die Lufthansa zahlte dank einer rückblickend wesentlich besseren Hedging-Strategie, die den Dax-Konzern auch an der Upside durch die immer weiter verfallenden Ölpreise partizipieren ließ, lediglich 704 Dollar. Das sind gut 15 Prozent weniger als Air Berlin.
Dadurch konnte Lufthansa-Finanzchefin Simone Menne die Kerosinrechnung der Lufthansa von 6,75 auf 5,8 Milliarden Euro drücken. Obwohl die Lufthansa ihre Kapazitäten um 2,2 Prozent ausweitete, ging ihre Kerosinrechnung also um 14 Prozent zurück. Der durchschnittliche Spot-Markt-Preis lag im Jahr 2015 laut Angaben von Schwierholz bei 603 Dollar pro Tonne Kerosin.
Bei Air Berlin gingen die gesamten Treibstoffkosten zwar auch um 9,6 Prozent auf 930 Millionen Euro zurück. Allerdings haben die Berliner auch die angebotenen Kapazitäten um 6,8 Prozent gekappt, so dass netto kaum etwas von dem Preis-Crash am Ölmarkt in der GuV von Air Berlin ankam. Die Folge: Während Air Berlin die Verluste sogar noch ausweitete, konnte die Lufthansa ihren bereinigten Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) im Jahr 2015 von 1,2 auf über 1,8 Milliarden Euro steigern, allein getrieben durch die Einsparungen beim Kerosineinkauf.
Die Kosten der „entgangenen Chance“, wie das Management die hohen verbuchten Kerosinpreise nennt, beziffert Air Berlin auf 200 Millionen Euro. Die Zahl errechnet sich aus der gesamten Kerosinrechnung von rund 1 Milliarde Euro und der Differenz zwischen dem eigenen Kerosinpreis und dem Marktpreis von 219 Dollar pro Tonne. Schlecht für Air Berlin: Ungehedgte Airlines hätten ihre überlegene Kostenposition ausgenutzt, um die Ticketpreise nach unten zu treiben, beklagt Pichler.
Air Berlin verspricht stark sinkende Kerosinkosten 2016
Für das laufenden Jahr verspricht Air Berlin seinen Investoren Besserung und stellt Einsparungen beim Kerosineinkauf von 250 Millionen Euro in Aussicht. Im Jahresverlauf soll der gehedgte Einkaufspreis pro Tonne Kerosin, der derzeit noch rund 600 Dollar beträgt, auf unter 450 Dollar zurückgehen. Für das laufende Geschäftsjahr hat Air Berlin laut Geschäftsbericht 58 Prozent des Kerosineinkaufs abgesichert. Da der Marktpreis in den ersten vier Monaten mit 400 bis 450 Dollar deutlich unter den gehedgten Preisen lag, dürfte der von Air Berlin im Schnitt bezahlte Kerosinpreis auch in diesem Jahr unterhalb der Hedging-Preise liegen.
Damit kann Air Berlin in diesem Jahr bei dieser Kostenposition womöglich wieder zur Lufthansa aufschließen. Lufthansa-Finanzchefin Menne gab für den deutschen Branchenprimus als Prognose kürzlich einen Durchschnittspreis von 557 Dollar je Tonne Kerosin aus. Das wären auch bei der Lufthansa über 20 Prozent weniger als 2015, was eine Reduzierung der Kerosinrechnung um eine weitere Milliarde von 5,8 auf 4,8 Milliarden Euro erwarten lässt. Wegen des Nachholeffekts kann Air Berlin in diesem Jahr jedoch auf eine größere Kostenentlastung hoffen als die Lufthansa.
Air Berlin: Eigenkapitalquote von minus 56 Prozent
Ob dies Air Berlin aber noch retten wird, ist nach der verpassten Chance am Ölmarkt ungewisser denn je. Denn das verlustreiche Jahr 2015 hat die Finanzlage noch brisanter gemacht, als sie vorher schon war. Die Nettofinanzverschuldung der Berliner beträgt mittlerweile 878 Millionen Euro nach 804 Millionen Euro im Jahr 2014.
Das negative Eigenkapital beläuft sich inzwischen auf über 799 Millionen Euro, und dort sind sogar schon 325,7 Millionen Euro Hybridkapital enthalten, die Großaktionär Etihad 2014 in Air Berlin gepumpt hatte. Ohne die vollständige Erfassung der hybriden Finanzierungsinstrumente im Eigenkapital wären es minus 1,12 Milliarden Euro. Ende 2014 lag das negative Eigenkapital noch bei minus 415,6 Millionen Euro. Die Eigenkapitalquote von Air Berlin sinkt damit auf bemerkenswerte minus 56 Prozent.
Info
Schwer angeschlagen und am Tropf von Großaktionär Etihad: Alles Wichtige zur Finanzlage von Deutschlands zweitgrößter Airline finden Sie auf der FINANCE-Themenseite Air Berlin.
Hintergründe zu Vita und Karriere des Air-Berlin-CFOs gibt es im FINANCE-Köpfe-Profil von Arnd Schwierholz.