Es ist noch nicht allzu lange her, da haben CFOs und Treasurer händeringend versucht, gebundenes Kapital freizusetzen. Doch die Zeiten der Finanzkrise sind vorbei, und Working Capital Management (WCM) büßt derzeit in vielen deutschen Unternehmen an Priorität ein. Das zeigen nicht nur diverse Studien zum Thema, es spiegelt sich auch in Gesprächen mit Finanzverantwortlichen. Überraschend ist dieser Befund nicht: Die Zinsen sind auf einem historisch niedrigen Niveau, manches deutsche Unternehmen zahlt inzwischen gar Strafzinsen auf seine Bankeinlagen.
Da fragen sich nicht wenige CFOs und Treasurer, weshalb sie mit teuren Maßnahmen Betriebskapital freisetzen sollen, das sie ohnehin kaum gewinnbringend anlegen können. Selbst wenn das Unternehmen mit dem freigesetzten Cash das eigene Wachstum finanzieren möchte, sinkt der Anreiz zur Innenfinanzierung: Bankkredite sind in Deutschland derzeit so preiswert wie nie.
Hinzu kommt, dass deutsche Finanzchefs trotz der Euro-Krise und steigender geopolitischer Risiken positiv in die Zukunft schauen: Im CFO-Panel, das FINANCE zweimal im Jahr erhebt, rechneten im Frühjahr 42 Prozent der Befragten mit einer besseren Geschäftsentwicklung in den nächsten sechs Monaten, nur 16 Prozent befürchteten eine Verschlechterung.
Working Capital Management steht Kopf
Unter diesen Umständen sind Unternehmen eher gewillt, Lagerbestände aufzubauen, um ein Hochfahren der Produktion sicherzustellen, wenn die Nachfrage anzieht. Gegenüber Kunden zeigen sie sich möglicherweise großzügiger in Bezug auf Zahlungsziele, während sie die eigenen nicht ausreizen. Im Gegenteil: Unternehmensberater und Softwareanbieter bewerben derzeit vermehrt Lösungen, mit denen Unternehmen ihre Lieferanten früher bezahlen können – und nicht wie laut Working-Capital-Lehrbuch später.
Das funktioniert so: Erkennt ein Treasurer aus der Liquiditätsvorschau, dass sein Unternehmen in den kommenden Wochen „cash rich“ sein wird, gibt er ein Angebot ab, den Lieferanten früher zu bezahlen. Der Abschlag (Skonto) ist dabei dynamisch: Je früher gezahlt wird, desto höher ist er.
CFOs und Treasurer sollten aufpassen
So kommt es, dass im Moment vor allem Unternehmen an den Rändern des wirtschaftlichen Erfolgsspektrums ihr Working Capital optimieren: Hochverschuldete Firmen, die aus der Krise kommen, nutzen WC-Programme, um ihre Schulden abzubauen. Auch nach großen Akquisitionen gewinnt das Thema daher häufig an Bedeutung. Auf der anderen Seite wollen erstklassig geratete Unternehmen gebundenes Cash freisetzen, um ihre gute Bonitätsbewertung bei Ratingagenturen zu halten.
Doch auch die breite Masse der Unternehmen sollte aufpassen, dass sich das Working Capital nicht aufbläht. Das gilt nicht zuletzt, weil die Effektivität der WC-Programme durchaus verbesserungswürdig ist, wie eine Studie von FINANCE-Research aus dem August des vergangenen Jahres ergeben hat: Obwohl 60 Prozent der 122 befragten europäischen Treasurer ein WC-Programm installiert haben, ist der Cash Conversion Cycle – eine der wichtigsten Working-Capital-Kennzahlen – nur in knapp jedem fünften befragten Unternehmen zurückgegangen. Ziehen die Zinsen wieder an und steigt der Druck zur Optimierung, kann diese mangelnde Effektivität zum Problem werden.