Gewinnwarnungen, Werksschließungen, Insolvenzen – die deutsche Wirtschaft liefert seit geraumer Zeit untrügliche Zeichen eines Abschwungs. Die Gründe dafür sind vornehmlich exogener Natur: Handelskonflikte, die ungelöste Brexit-Frage und disruptive Veränderungen in Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie sorgen dafür, dass der für Deutschland so wichtige Export überproportional leidet.
Der Industriesektor ist den Konjunkturdaten der vergangenen Monate zufolge bereits in einer Rezession. Ob dieses Schicksal auch die Gesamtwirtschaft einholt, ist noch nicht ausgemacht – wie lange der Abschwung anhält und ob sich die maue Konjunktur zu einer echten Krise auswächst, ebenfalls nicht.
Zahl der Restrukturierungsfälle steigt rasant
So viel steht Stand heute jedoch fest: Die Anzahl der Restrukturierungsfälle steigt rasant an. Das ist ein Ergebnis des 15. Restrukturierungsbarometers, das FINANCE in Zusammenarbeit mit dem Beratungshaus Struktur Management Partner (SMP) in den vergangenen Wochen durchgeführt hat. Den Antworten der 110 Restrukturierungsexperten zufolge haben 59 Prozent der Befragten in den vergangenen sechs Monaten mehr Restrukturierungsfälle zur Bearbeitung bekommen. Das ist der höchste Wert, der seit dem Beginn dieser Befragung im Herbst 2012 registriert wurde. Nur 5 Prozent der Befragten sehen rückläufige Fallzahlen.
„Die Umfrage zeigt eine auffallend pessimistische Einschätzung der Restrukturierungsexperten.“
Im Fokus der Restrukturierungsabteilungen stehen vor allem zwei Schlüsselbranchen der deutschen Wirtschaft: Fahrzeugbau und -zubehör sowie Maschinen- und Anlagenbau. Jeweils 58 Prozent der befragten Banker machen in diesen Sektoren zurzeit die größten Probleme aus. Der Bereich Textil und Bekleidung (34 Prozent) – lange Zeit Sorgenkind in den Work-out-Abteilungen der Banken – hat dagegen vergleichsweise an Gewicht verloren.
Der seit Herbst 2017 bestehende Trend bei den Erwartungen neuer Restrukturierungsfälle hat zuletzt noch einmal massiv an Dynamik gewonnen: Inzwischen gehen 83 Prozent der befragten Banker von zunehmenden oder deutlich zunehmenden Zahlen aus (Frühjahr 2019: 70 Prozent). „Die Umfrage zeigt eine auffallend pessimistische Einschätzung der Restrukturierungsexperten und spiegelt die Erwartung eines deutlichen Konjunkturrückgangs“, kommentiert SMP-Partner Georgiy Michailov.
Unternehmenskredite im Fokus der Restrukturierer
In das aktuelle Bild beim Thema Restrukturierung passt, dass insbesondere Unternehmenskredite im Fokus der Work-out-Abteilungen stehen. In dieser Assetklasse rechnen die Restrukturierungsexperten in den nächsten sechs Monaten mit besonders hohen Ausfällen. 72 Prozent der Umfrageteilnehmer sind dieser Ansicht (Frühjahr 2019: 68 Prozent) – das ist der höchste Wert seit Befragungsbeginn im Jahr 2012.
Vor dem Hintergrund zunehmender Unternehmenskrisen verwundert es nicht, dass viele Banken neue Kreditengagements zurzeit generell kritischer prüfen. 47 Prozent der befragten Restrukturierungsexperten bejahten das, 38 Prozent verneinten dies, und 15 Prozent enthielten sich einer Antwort. Die den Kreditnehmern auferlegten Bedingungen reichen von höheren Dokumentationsanforderungen (27 Prozent) über strengere Kreditklauseln (23 Prozent) und kürzere Laufzeiten (17 Prozent) bis hin zu höheren Margen (16 Prozent). Immerhin 13 Prozent der Banker, die neue Kreditengagements kritischer prüfen, bestätigten zudem, einzelne Branchen zurzeit generell auszuschließen.
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Anhaltspunkte, welche Branchen das betreffen dürfte, liefern die Antworten auf die Frage, wo neue Finanzierungen aktuell besonders schwierig sind. Das betrifft – wenig überraschend – die Problemsektoren Fahrzeugbau und -zubehör (63 Prozent), Maschinen- und Anlagenbau (47 Prozent) sowie Textil und Bekleidung (42 Prozent). Aber auch der Handel und der für zyklische Schwankungen anfällige Logistiksektor stehen unter Beobachtung.
Schwierige Finanzierungssituation
Als zunehmend schwierig wird zudem die Finanzierbarkeit von Restrukturierungsfällen bewertet. So ist der Anteil der Befragten, die das als schwierig oder sehr schwierig einschätzen, mit 43 Prozent noch einmal höher ausgefallen als im Frühjahr 2019 (40 Prozent). Lediglich 5 Prozent berichten von einfachen oder sehr einfachen Finanzierungsbedingungen (Frühjahr 2019: 5 Prozent). „Einmal mehr zeigt sich: Es gibt kaum noch einfach finanzierbare Restrukturierungsfälle“, so Michailov.
„Es gibt kaum noch einfach finanzierbare Restrukturierungsfälle.“