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KMU-Finanzierung: USA 1, Scale 0

Kapitalmarktmekka New York: Die Amerikaner zeigen uns mal wieder, wie Mittelstandsfinanzierung geht, meint FINANCE-Kolumnist Olaf Schlotmann.
Allard1 / Thinkstock / Getty Images

Die EU-Kommission und die Deutsche Börse sind sich in dieser Sache sehr einig: Dass sich Mittelständler bislang hauptsächlich über Banken finanzieren, ist die Achillesferse für einen nachhaltigen Konjunkturaufschwung in Europa. Kapitalmarktunion lautet Brüssels Antwort auf diese Problematik, und die Deutsche Börse schickt das neue Marktsegment Scale an den Start, in dem Mittelständler seit März ihre Aktien und Bonds listen können.
  
Mit Scale  will die Deutsche Börse eine effiziente und nachhaltige Möglichkeit bieten, Fremdkapital schon ab einem Emissionsvolumen von 30 Millionen Euro über die Börse aufzunehmen. Scale und das hauseigene Venture Network betrachtet Börsenchef Carsten Kengeter sogar als ein komplettes Ökosystem, um das Wachstum in Deutschland und Europa anzukurbeln.

Haben die Amerikaner eine Innovation wie Scale etwa verschlafen?

Ich habe das Privileg, die ersten Schritte von Scale in Ruhe aus der Distanz beobachten zu können. Ich lebe zur Zeit für ein paar Monate in den USA, dem Mekka der Kapitalmarktfinanzierung und dem Land mit den entwickeltesten Finanzmärkten der Welt, wo in der Vergangenheit häufig die nächsten Entwicklungsschritte im Kapitalmarktbereich eingeleitet wurden.

Und das Verblüffende ist, dass diese Republik der Schuldner bei der Finanzierung kleiner Unternehmen heute einen ganz anderen Weg als Europa geht: Kein Mid-Cap oder KMU (engl. SME) käme in den USA je auf die Idee, im Sinne von Scale einen Corporate Bond über 30 Millionen Dollar zu emittieren.

Zwar beträgt der Marktanteil von Corporate Bonds an der Fremdkapitalfinanzierung in den USA ungefähr 70 Prozent, und es gibt einen etablierten High-Yield-Markt mit maßgeschneiderten Emissionen. Aber unter 100 Millionen Dollar Dealvolumen läuft hier regelmäßig gar nichts, und laxe Emissionsstandards gibt es nicht. Investmentbanken, Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien und (echte) Ratingagenturen haften für ihre Dienstleistungen in sauber strukturierten Deals mit institutionellen Investoren. Den Haftungsrisiken entsprechend sind die Gebühren für kleinere Emissionsvolumina prohibitiv hoch.

Wie aber finanzieren sich dann US-Mittelständler im Langfristbereich? Den Löwenanteil stemmen die Banken, und weil sie zu Teilen staatlich garantiert werden, spielen Verbriefungen von SME-Krediten eine große Rolle. Hat der US-Finanzmarkt etwa eine Innovation wie Scale verschlafen?

Banken sind in der modernen Kreditökonomie unverzichtbar

Natürlich nicht! Ewigkeiten bevor in Europa nach der Finanzkrise Banken zu Paria gemacht wurden, hatten Ökonomen wie Schumpeter und Minsky entdeckt, dass es keine wirtschaftliche Entwicklung ohne Banken gibt. Minsky etwa schrieb: „Banking and finance can be highly disruptive forces in our economy, but the flexibility of finance and its responsiveness to business, which are needed for a dynamic capitalism, cannot exist without the banking process.“

Tatsächlich sind in unserer modernen Kreditökonomie Banken unverzichtbar, und US-Finanzierungslehrbücher listen die Vorteile von Banken bei der Finanzierung auf: Auf Grund ihres hohen Kreditumschlags reduzieren Banken die Informationskosten und internalisieren die Kosten der Kreditanalyse und des Monitorings. Sie können Unternehmen maßgeschneiderte Kredite geben und notleidende Kredite effizient restrukturieren – viel besser jedenfalls als der Bondmarkt, wo aufgrund der Vielzahl an Gläubigern Schuldenrestrukturierungen schwierig sind. 

Es ist also ziemlich dumm, auf die Banken drauf zu hauen und auf zunehmende Disintermediation bei der KMU-Finanzierung zu setzen. Das Zurückschrauben der ausufernden Bankenregulierung durch die neue US-Regierung ist da schon folgerichtiger, wenn das Ziel lautet, das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen.

Scale beseitigt Moral Hazard nicht

Da macht Europa aber nicht mit, die Politik redet lieber der Kapitalmarktfinanzierung sowie dem „Originate and Distribute“-Konzept den Mund. Dieses Konzept, Kredite zu schaffen und dann zu platzieren, war ursprünglich mit dem ehrenwerten Ziel gestartet, durch Verbriefung in Wertpapieren die Risiken weltweit so zu verteilen, dass sie am Ende von denen gehalten werden, die sie am besten tragen können. Das heißt hier und heute nun nicht weniger, als dass die Deutsche Börse mit Scale und die EU-Kommission mit ihrer neuen Prospektverordnung glauben, dass  KMU-Kreditrisiken in Europa nicht bei den Banken, sondern bei Privatanlegern und semiprofessionellen Anlegern in den besten Händen sind.

Diese Entscheidung ist ein Fehler. Nicht nur missachtet sie die oben skizierten Vorteile der Banken bei der KMU-Finanzierung, sondern hilft auch noch dabei, dass sich Dienstleister bei Mittelstandsanleihen dank ökonomischer Fehlanreize weiterhin verantwortungslos oder leichtsinnig verhalten – Moral Hazard in Reinkultur. Und mithilfe der 1.000er-Stücklung werden dann auch noch in der Kreditanalyse überforderte Privatanleger als Investoren geködert. Das ist der europäische Weg. 

So hätte die Deutsche Börse Scale-Investoren besser schützen können

Während Banken selbst nach einer Syndizierung in der Regel einen nennenswerten Eigenanteil von KMU-Krediten auf ihren Büchern behalten, übernimmt kein einzelner Berater des sehr arbeitsteiligen Geflechts von Coaches, Listing-Partnern, Arrangeuren, Börsen, Zahlstellen, Vertriebsagenten, Anwälten, Kommunikations- und IR-Beratern bei Kapitalmarktfinanzierungen ein anderes Risiko,  als dass er seine Dienstleistung nicht bezahlt bekommt, sollte die Emission nicht zustande kommen. Manche erhalten ihre Gebühren sogar unabhängig von der Platzierung. Für Berater stellt sich die Frage nicht, ob der Kreditnehmer die Anleihe überhaupt zurückbezahlen oder refinanzieren kann. Wichtig ist allein, dass die Gebühren überwiesen werden.

Die jetzt von der Deutschen Börse verlangte Mithaftung der beantragenden Kapitalmarktpartner bei prospektähnlichen Emissionsunterlagen greift zu kurz, allein schon deshalb, weil die meisten Unternehmen die Emission mit einem Prospekt durchführen werden, den die Kapitalmarktpartner nach wie vor nicht mit unterschreiben müssen. Das Moral-Hazard-Problem löst Scale so nicht.

Revolutionär wäre es gewesen, wenn man den Anlegern für eine begrenzte Zeit im Default-Fall Zugriff auf die Gebühren der Berater eingeräumt hätte. Die Börse hätte die Dienstleister auch anhalten können, als Signal einen bestimmten Betrag transparent und dauerhaft in die von ihnen mitstrukturierten Anleihen zu investieren, etwa über ihre Pensionsfonds oder Versorgungswerke. Auch hätten private Gesellschafter der Emittenten veranlasst werden können, mitzuhaften. Die emittierenden Unternehmen hätten auch einen Teil der Emission als Sicherheit hinterlegen können – alles leider nicht passiert.

Profis werden auch über Scale keine schwachen KMUs finanzieren

Einmal mehr wäre es also besser gewesen, von Amerika zu lernen, indem man den Finanzierungsvorteil von Banken bei der KMU-Finanzierung in den Vordergrund gestellt hätte. Das Moral-Hazard-Problem bei Verbriefungen wäre einfach zu lösen: Den Banken müsste man bei Verbriefungen nur auferlegen, einen noch höheren Eigenanteil der Emission oder einen noch größeren Teil des First-Loss-Tranche zu behalten.

Instrumente dafür gäbe es in Europa genug, sei es vom Europäischen Investitionsfonds (EIF) oder der Europäischen Investitionsbank (EIB). Dies würde dazu beigetragen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, da die Verbriefungen die Liquidität der Finanzinstitute erhöhen – und bei ihnen auch neues Kapital für die Kreditvergabe freisetzen, sofern die Verbriefungen bei Nichtbanken platziert werden.

Stattdessen hoffen die Politiker und die Börsenbetreiber auf den Bondmarkt und den Appetit der Kleinanleger. Solange sich hinter dem von der Deutschen Börse zu schaffenden Ökosystem aber eine Schar von Unternehmen verbirgt, die aufgrund ihres Risikos bisher kreditrationiert sind und in Wahrheit Eigenkapital oder echtes, individuell ausgehandeltes nachrangiges Fremdkapital von Private-Debt-Fonds bräuchten, wird das zumindest im Anleiheteil von Scale nicht funktionieren.

Institutionelle Investoren werden solche Unternehmen angesichts der zu erwartenden hohen Ausfallrisiken einfach nicht mit Fremdkapital finanzieren. Dass stattdessen deutsche Privatanleger noch einmal in größeren Mengen Kapital für Mittelstandsanleihen bereitstellen, ist ebenfalls nicht zu erwarten. Blühende Landschaften werden wir bei Scale nicht sehen.

redaktion[at]finance-magazin.de

Info

Was Olaf Schlotmann von Mini-Bonds, Gold und Bitcoins hält und warum die EZB nicht für alles Übel in der Finanzwelt verantwortlich gemacht werden kann, lesen Sie in weiteren Beiträgen von Schlotmanns FINANCE-Blog „Für eine Handvoll Euro“.

Mehr Infos, Interviews und andere Meinungen zu dem umstrittenen neuen Börsensegment finden Sie auf der FINANCE-Themenseite zu Scale.