Seit etwas mehr als sieben Monaten ist die neue Marktmissbrauchsverordnung der EU in Kraft. Für Unternehmen gelten nun strengere Regeln in Sachen Ad-Hoc-Pflichten, außerdem werden Insiderhandel und Marktmanipulation härter bestraft. Die größten Veränderungen haben sich dadurch für Unternehmen ergeben, die im Freiverkehr notiert sind. Sie waren vor dem Inkrafttreten der Verordnung von vielen Vorschriften und Publizitätspflichten ausgenommen.
„Bei einigen dieser Unternehmen hat das Management die neuen Ad-Hoc-Pflichten noch nicht verinnerlicht“, beobachtet Rechtsanwalt Thorsten Kuthe von Heuking Kühn Lüer Wojtek. Dass zum Beispiel auch Patentrechtsstreitigkeiten, mögliche Produktrückrufe oder Aktienkäufe durch Familienmitglieder des Managements als Directors Dealings sofort gemeldet werden müssen, hätten noch nicht alle Unternehmen in ihre Prozesse übertragen. Deshalb landeten, seitdem die Marktmissbrauchsverordnung im Juli 2016 in Kraft getreten ist, deutlich mehr Fälle auf seinem Tisch, in denen Unternehmen sich mit einer Verwarnung oder einer kritischen Nachfrage der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz Bafin, auseinandersetzen müssen.
Bafin prüft auch Firmen im regulierten Markt genauer
Doch die neuen Regeln machen nicht nur den kleineren Unternehmen zu schaffen: „Anders als erwartet, legt die Bafin auch gegenüber Unternehmen im regulierten Markt in den vergangenen Monaten eine härtere Gangart an den Tag und setzt die Verordnung mit Nachdruck durch“, sagt der Rechtsexperte. „Nach der Veröffentlichung einer Ad-Hoc-Mitteilung fragt die Bafin nun häufiger per E-Mail nach“, beschreibt er. Wenn zum Beispiel ein Vertragsabschluss gemeldet wird, muss das Unternehmen im Nachgang genau belegen, warum nicht schon früher im Verhandlungsstadium berichtet wurde. „Wenn etwas entdeckt wird, das möglicherweise schon früher hätte gemeldet werden müssen, folgt sofort die Nachfrage.“
Auch bei der Veröffentlichung von Prognosen verschärfe die Bafin die Anforderungen für die Praxis, berichtet Kuthe. „Kursrelevante Prognosen mussten zwar bereits vor Inkrafttreten der Marktmissbrauchsverordnung umgehend veröffentlicht werden“, sagt er. „Es war allerdings gängige Praxis, dass Unternehmen selbst entschieden, ob sie eine Prognose für die Öffentlichkeit erstellten und veröffentlichten oder nur interne Planzahlen für den eigenen Gebrauch.“
Nicht wenige Unternehmen stellten eine Mehrjahresplanung auf, ohne die Erkenntnisse daraus für das laufende oder nächste Jahr zu publizieren. Die Bafin habe deutlich gemacht, dass sie diesen Spielraum nicht mehr gewährt. Kursrelevante Prognosen müssten sofort nach der Fertigstellung veröffentlicht werden. Das Management müsse sich deshalb nun vorher genau überlegen, zu welchem Zeitpunkt es solche Prognosen überhaupt erstellen lässt.
Unternehmen drohen höhere Strafen
Ein anderer Bereich, auf den die neue Richtlinie deutliche Auswirkungen zeigt, sind die sogenannten Market Soundings, bei denen Unternehmen mit einzelnen Investoren die Rahmenbedingungen und Erfolgsaussichten für eine geplante Finanztransaktion abklopfen. Durch die neuen Dokumentationsregelungen für die Weitergabe von Insiderinformationen ist der Prozess für Investoren deutlich aufwendiger geworden. „Viele Investoren lehnen es deshalb nun ab, an solchen Market Soundings überhaupt teilzunehmen“, sagt Kuthe. Gerade für kleinere Unternehmen könnte das zu einer geringeren Planbarkeit für Finanzierungen führen, wenn sie nur noch wenige Teilnehmer für diese Prozesse finden.
Noch halte sich die Bafin bei Regelverstößen mit Bußgeldern zurück und spreche zunächst Verwarnungen aus. „Diese Karenzphase wird aber sicher nicht ewig dauern“, meint Kuthe. Durch die neue Verordnung drohen den Unternehmen nun deutlich höhere Geldstrafen als zuvor. Gerade Unternehmen im Freiverkehr sollten deshalb noch genauer mit ihren Pflichten auseinandersetzen. Im Bereich der Ad-Hoc-Veröffentlichung sieht Kuthe besonderen Nachholbedarf.
Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.