Gutes Timing ist alles, das gilt auch für Finanzchefs. Kommen sie zu einem angeschlagenen Unternehmen an der Schwelle zum Turnaround, kann eine gelungene Restrukturierung dem eigenen Namen in der CFO-Szene Glanz verschaffen. Noch schöner dürfte es sein, eine CFO-Position anzutreten, just bevor ein Unternehmen aus dem Dornröschenschlaf erwacht.
Dies ist im Juli 2016 Enno Spillner gelungen. Der heute 49-jährige gab damals den Chefposten bei dem Biotech-Unternehmen 4SC auf, um Finanzvorstand bei dem wesentlich größeren Branchennachbarn Evotec zu werden.
Unter Spillner wird Evotec zum Börsenstar
Bis zum Jahr davor hatten die Hamburger, die auf eigene Kosten und im Auftrag von Pharmakonzernen Medikamentenwirkstoffe erforschen, mit einem Umsatz von 128 Millionen und einem Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) im einstelligen Millionenbereich operativ und an der Börse ein eher dezentes Dasein gefristet.
Doch 2016 begannen die früheren Forschungsanstrengungen Früchte zu tragen, und Evotec startete in eine Phase großer Umsatz- und Gewinnsprünge: Für das Jahr 2018 präsentierte Spillner schon einen Umsatz von 375 und ein bereinigtes Ebitda von über 95 Millionen Euro – verbunden mit dem Versprechen, im laufenden Jahr bei beiden Kennzahlen mindestens weitere 10 Prozent drauf zu packen. Den Kapitalmarkt begeisterte Spillner außerdem noch damit, dass er die Gewinnprognosen aus dem Frühjahr im Jahresverlauf regelmäßig anhebt.
Die Früchte dieser Arbeit ernten die Aktionäre: Seit Spillners Amtsantritt explodierte die Evotec-Aktie von 4 auf aktuell knapp 25 Euro. Die Leerverkäufer, die Evotec in diesem Frühjahr ins Visier genommen und eine Netto-Short-Position von über 5 Prozent aufgebaut hatten, haben das Kräftemessen einstweilen verloren. Die Aktie steht auf einem All-time-High, und Evotec bringt es inzwischen auf eine Marktkapitalisierung von rund 3,7 Milliarden Euro.
Biotech-Hockey-Stick: Evotec-Kurs seit Spillners Amtsantritt
Schuldschein rückt Spillner ins Rampenlicht
Am Finanzierungsmarkt blieb diese Erfolgsstory lange unentdeckt – was in erster Linie daran lag, dass Evotec entgegen der Branchenusancen zuletzt kaum größeren Finanzierungsbedarf hatte. Allein 2018 fuhren die Hamburger einen freien Cashflow von fast 130 Millionen Euro ein. So eine Ertragsstärke macht verwässernde Kapitalerhöhungen unnötig. Größere Akquisitionen wie die des US-Wirkstoffentwicklers Aptuit für 250 Millionen Euro vor zwei Jahren finanzierte Spillner über Brückenkredite, die er rasch wieder zurückgeführt hat. Für die Rückzahlung des Aptuit-Kredits benötigte der dreifache Familienvater gerade einmal zwei Jahre.
Doch jetzt hat Spillner Evotec ins Rampenlicht gerückt – mit einer überraschenden Transaktion: Das Biotech-Unternehmen emittierte vergangene Woche einen Schuldschein. Eine hohe Nachfrage trieb das Emissionsvolumen von geplanten 100 auf 250 Millionen Euro nach oben und drückte den durchschnittlichen Zinssatz unter die Marke von 1,5 Prozent. Das sind Schuldscheinkonditionen eines Dax-Konzerns.
Selbst nach Abzug des fälligen Kaufpreises von zunächst 60 Millionen Dollar für die Übernahme des US-amerikanischen Bioinformatikspezialisten Just Bio bleiben Spillner aus der Emission noch fast 200 Millionen Euro übrig, die ihm vor allem als Reserve für weitere M&A-Manöver dienen dürften. Angesichts einer Eigenkapitalquote von 55 Prozent ließe die Bilanz des TecDax-Mitglieds weitere Zukäufe ohne weiteres zu – und die Liquidität jetzt auch.
FINANCE-Köpfe
Spillner muss heterogene Investorenschaft bedienen
Für Spillner selbst bedeutet das Debüt am Fremdkapitalmarkt wesentlich mehr Sichtbarkeit. Die Kommunikation mit den vielen neuen Investoren aus dem deutschen Bank- und Versicherungswesen dürfte ihm leicht fallen: Schon heute ist der jugendlich, dann und wann auch verschmitzt wirkende Manager, der fast sein ganzes Leben in der Biotech-Branche verbracht hat, auf vielen Investorenkonferenzen Evotecs Gesicht am Kapitalmarkt.
Dennoch wird es nicht einfach sein, die zwei Investorengruppen, die er nun bedienen muss, unter einen Hut zu bringen. Die Biotech-affinen Equity-Investoren dürften auf weitere Zukäufe und einen deutlichen Ausbau der Wirkstoffentwicklung auf eigene Rechnung drängen – sie suchen nach noch mehr Kursdynamik.
Die risikoscheuen Schuldscheingeber dagegen haben an riskanten F&E- und M&A-Wetten wenig Interesse. Sie setzen auf das vergleichsweise risikoarme und breit diversifizierte Geschäft mit Forschungsaufträgen großer Pharmakonzerne. Gelingt Spillner im Zusammenspiel mit CEO Werner Lanthaler der Spagat zwischen diesen beiden Investorengruppen, könnte Evotec in einigen Jahren in eine andere Gewichtsklasse aufsteigen – von der Biotech-Firma zum Pharmakonzern.
Info
Mehr Infos zur Vita des immer bekannter werdenden Evotec-CFOs bietet das FINANCE-Köpfe-Profil von Enno Spillner.
Eine Übersicht über alle bisherigen CFOs des Monats gibt es auf der dazu gehörigen FINANCE-Themenseite „CFO des Monats“.